Keine sportliche Disziplin hatte es so schwer wie der Marathon, sich über
den Erdball auszubreiten. Denn er begann mit einem toten Mann, dem Boten eben,
der 490 vor Christi den Sieg seiner Athener über die Perser
verkündete. Seit den Olympischen Spielen moderner Zeitrechnung 1896 steht
der klassisch gewordene Lauf wieder auf der Agenda. Seine ersten Jünger
galten als Sonderlinge und Käuze mit einem kleinen Heldenstatus. Wegen der
42,195 km langen Strecke.
Das ist eine verteufelte Länge, wie uns die Vorläufer
erzählen. Der Kenianer Moses Tanui sagt, niemand könne vorhersehen,
"was zwischen 38 und 41 km mit ihm geschieht". Auf hoher See, vor
Gericht und, um ein defätistisches Sprichwort zu verlängern, am Ende
eines Marathons ist der Mensch schutzlos höheren Gewalten
ausgeliefert.
Es grenzt an Aberwitz, dass ausgerechnet diese um mindestens vier Kilometer
zu lange Strapaze einem offensichtlich menschlichen Bedürfnis entgegen
kommt. Am Sonntag beginnt die Herbstsaison der Klassiker mit dem
Berlin-Marathon, und wenn die Teilnehmerzahl bei 32.752 liegt, dann nur
deshalb, weil der Kurs keinen Jogger mehr aufzunehmen vermag. Auf Berlin folgen
New York und Chicago mit den gleichen luxuriösen Problemen.
Alles hat einmal mit einem ersten Schritt begonnen. Man hat sich irgendwann
nicht mehr wohl in seinem aus dem Leim gehenden Körper gefühlt und
nach langem Stillstand das Laufen wieder ausprobiert. Ein Weg, ein Paar Schuhe,
ein T-Shirt und eine Hose, mehr bedurfte es als Investition nicht. Ganz langsam
ging es los, wie bei Außenminister Joschka Fischer. Vom Deutschen
Leichtathletik-Verband wissen wir, dass seine Sportart die Kinder und die
Senioren anlockt. Man geht wieder mit 14 und kommt zurück mit 40.
Dazwischen dümpelt der Leistungssport.
Ist das dringendste Bewegungsbedürfnis zufrieden gestellt, rührt
sich bei den Millionen Joggern zutiefst Erfreuliches: Sie sind zufrieden und
stolz auf sich, und den Ehrgeizigeren drängt sich irgendwann ein
verwegener Gedanke auf: Marathon. Ihre Zahl wächst seit dreißig
Jahren rasant. Sonst hätte die deutsche Ausgabe der Fachzeitschrift
"Runners World" keine verkaufte Auflage von zuletzt 62 200
Exemplaren. Dort wird die einfachste Sache der Welt hin und her gewendet: das
Laufen. Zurück zu den Anfängen.
Von Robert Hartmann