Die zehn deutschen Starter haben bei den Hallen-Weltmeisterschaften der
Leichtathleten in Birmingham vier Medaillen gewonnen. Am Schlusstag der
hochklassigen Titelkämpfe von Birmingham lief Grit Breuer (Magdeburg)
über 400 m in 51,13 Sekunden auf Platz drei. Zuvor hatte es im
Stabhochsprung einen Doppelsieg durch Tim Lobinger (Köln) und Michael
Stolle (Leverkusen) gegeben, außerdem holte Kugelstoßerin Astrid
Kumbernuss (Neubrandenburg) Bronze. “Mit der Zahl der Medaillen sind wir
zufrieden, mit der Teilnehmerzahl nicht. Aber die Leistungsdecke ist zurzeit
einfach zu dünn“, sagte DLV-Leistungssportchef Rüdiger Nickel.
Über das immer wieder diskutierte deutsche Mini-Team ärgerte sich
auch Grit Breuer: “Die vier Medaillen für unser Team sollten nicht
darüber hinwegtäuschen, dass hier zu wenig deutsche Athleten am Start
waren. Athleten anderer Nationen haben mich gefragt, wo unsere Läufer und
Sprinter geblieben sind.“
Die deutschen Athleten, die auf Birmingham verzichtet haben, haben die
bisher hochklassigsten, bestorganisiertesten und stimmungsvollsten Hallen-
Weltmeisterschaften verpasst. “Die Engländer haben bei dieser WM
Leichtathletik regelrecht mitgelebt. Die ganze Region stand hinter dieser WM.
Die Stimmung war beeindruckend, Birmingham hat Maßstäbe
gesetzt“, erklärte Helmut Digel, der Vizepräsident des
Weltverbandes IAAF.
Auch Tim Lobinger sah das kleine deutsche Team kritisch. Der Kölner
Stabhochspringer sagte: “Zu viele Athleten schonen sich jedes Jahr
für andere Höhepunkte – da ist mir zu wenig Wille und
Risikobereitschaft vorhanden.“ Und das kann sich die um eine der
olympischen Kernsportart angemessenen Anerkennung immer noch kämpfende
Leichtathletik in Deutschland eigentlich nicht leisten. Der Kredit, den die
deutsche Leichtathletik mit den Europameisterschaften in München im
vergangenen August gewonnen hat, könnte schnell verspielt sein.
Grit Breuer (Magdeburg) war als einzige Sprinterin über 400 m dabei.
Doch kein einziger Läufer stand im DLV-Team. Eine Reihe von Athleten haben
dabei von vornherein auf die Hallen-Titelkämpfe beziehungsweise sogar auf
die komplette Hallensaison verzichtet, um sich langfristiger auf die
Weltmeisterschaften im August in Paris vorbereiten zu können. Darunter
sind beispielsweise der 400-m-Europameister Ingo Schultz (Hamburg) oder
Weitspringerin Heike Drechsler (Karlsruhe). Dem 800-m-Olympiasieger Nils
Schumann (Erfurt) fehlt die Form, sein nationaler Bezwinger bei den Deutschen
Hallenmeisterschaften René Herms (Pirna) macht das Abitur. “Die
Entscheidungen, hier nicht teilzunehmen, sind alle individuell
nachvollziehbar“, sagt DLV-Präsident Clemens Prokop und fügt
hinzu: “Ich wäre bei entsprechender Qualität auch lieber mit 30
Athleten nach Birmingham gefahren. Es ist bedauerlich, dass das Team nicht
größer ist, aber man sollte es in erster Linie an seiner
Leistungsfähigkeit messen.“
Der DLV hat das Team aber auch bewusst klein gehalten, indem der Verband die
Qualifikationsnormen für Birmingham anspruchsvoll bemessen hatte.
“Wir haben einen hohen Leistungsanspruch und sind eher für strenge
Normen. Wir würden den Athleten keinen Gefallen tun, wenn wir sie
nominieren und sie dann gleich in den Vorkämpfen ausscheiden. Da baut sich
schnell ein Frust auf“, erklärt der für den Bereich
Spitzensport zuständige DLV-Vizepräsident Rüdiger Nickel.
Manchmal hat man den Eindruck, als wenn der Verband noch immer unter dem
Göteborg-Symptom leidet. Bei der WM 1995 sah sich der DLV besonders
hämischer Kommentare ausgesetzt, weil das riesige Team mit über 100
Athleten in etlichen Disziplinen mit Abstand der Konkurrenz hintergelaufen war.
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ist das Team zu groß, leidet die
Qualität, ist es zu klein, wird es in den Medien kaum noch wahr genommen.
Ein Mittelweg zwischen Göteborg und Birmingham ist gefragt.
Unerwünschte Nebenwirkungen befürchtet Clemens Prokop angesichts
des Mini-Teams und der geringeren Beachtung in der Öffentlichkeit aber
nicht: “Von der Sponsorenseite sind deswegen keine Schwierigkeiten zu
befürchten. Es ist klar, dass der Maßstab in diesem Jahr die WM in
Paris sein wird, nicht die Hallen-WM in Birmingham.“