Der bisher stärkst besetzte Marathon bei einer Weltmeisterschaft endete
gleich in zweierlei Hinsicht mit einem Novum: Mit Gezahegne Abera wurde zum
ersten Mal ein Olympiasieger auch Weltmeister im Marathon, und zudem gab es ein
bei internationalen Meisterschaften einmaliges Sprint-Finish. Der
Äthiopier gewann in 2:12:42 Stunden und hatte schließlich nur eine
Sekunde Vorsprung vor dem real,- BERLIN-MARATHON-Sieger des vergangenen Jahres,
Simon Biwott (Kenia). So war dieser Marathon vielleicht Gold wert. Nicht nur
für den Sieger, der sich die erste 60.000-Dollar-Prämie der
Titelkämpfe sicherte, sondern für die
Leichtathletik-Weltmeisterschaften insgesamt. Genau das hatten die
Titelkämpfe nämlich zum Auftakt gebraucht, um die kanadischen
Zuschauer zu begeistern und von der Spannung der Leichtathletik zu
überzeugen. Da das Rennen über die klassischen 42,195 km zudem zum
ersten Mal in eine WM-Eröffnungsfeier eingebunden worden war, war das
Stadion mit 40.000 Zuschauern ausverkauft.
Das bisher engste Finish bei einem WM-Marathon hatte es bei den Frauen vor
zwei Jahren in Sevilla gegeben. Damals hatte die Nordkoreanerin Jong Song-ok in
2:26:59 Stunden drei Sekunden Vorsprung vor Ari Ichihashi (Japan). Bei den
Männern betrug der kürzeste Abstand fünf Sekunden. In Athen
gewann 1997 Abel Antón in 2:13:16 vor seinem spanischen Teamkollegen
Martin Fiz. Nicht einmal die mit Tragödien, Triumphen und Kuriosa reich
bestückte Geschichte des olympischen Marathonlaufes hat ein derartiges
Finish wie das in Edmonton zu bieten.
Im Stile von 800-m-Läufern rannten der Olympiasieger Abera und der
Berlin-Marathon-Sieger des vergangenen Jahres, Simon Biwott, ins voll besetzte
Commonwealth-Stadion. Der Äthiopier und der Kenianer, die die beiden
stärksten Langstrecken-Nationen der Welt präsentierten, lieferten
sich einen unglaublichen Sprintkampf auf den letzten 350 Metern. Biwott lief
einen Schritt vor Abera in die Arena, auf der Gegengerade schob sich der
Äthiopier heran, aber noch nicht vorbei. Das gelang ihm erst in der
letzten Kurve, obwohl Biwott innen lief. 100 Meter vor dem Ziel sprach alles
für Abera, er hatte einige Meter Vorsprung. Doch 50 Meter vor dem Ziel sah
es so aus als könnte sich Simon Biwott plötzlich in Paul Tergat bei
einem 10.000-m-Rennen verwandeln. Aberas Vorsprung von wenigen Metern
verringerte sich plötzlich wieder. Und hätte der Äthiopier nicht
nochmals etwas zulegen können, dann wäre der Kenianer vielleicht noch
einmal vorbei gekommen. Aber schließlich reichte es nicht mehr für
Simon Biwott. Abera gewann mit einer Sekunde Vorsprung.
„Ich habe alles versucht, aber er war so stark, dass ich ihm nichts
mehr entgegensetzen konnte“, erzählte Simon Biwott später.
„Als ich ins Stadion einlief, wollte ich Gold gewinnen – aber ich
war dann auch sehr glücklich über die Silbermedaille.“ Der erst
23-jährige Gezahegne Abera war sich seiner Sache dagegen sicher.
„Als ich ins Stadion kam, wusste ich, dass ich gewinnen würde, denn
ich habe einen sehr starken Sprint. Das war ein wirklich schönes Rennen
für mich“, sagte der Äthiopier, der in diesem Jahr beim
Boston-Marathon lediglich den 16. Platz belegt hatte.
„Wir respektieren uns, wir sind Nachbarn. Und wenn wir uns treffen,
gibt es immer einen großen Wettkampf“, sagte Simon Biwott auf die
Frage nach dem Verhältnis zwischen den Kenianern und den Äthiopien.
Für ihn war eine Sprintentscheidung im Prinzip nichts neues. „Ich
habe auch meine letzten beiden Marathonläufe in Berlin und Paris mit einem
langen Spurt gewonnen, aber dies hier war das härteste Rennen meines
Lebens“, sagte Biwott. Fünf Sekunden Vorsprung hatte er beim real,-
BERLIN-MARATHON im vergangenen September, und in Paris im April war sein
Landsmann David Kirui sogar zeitgleich Zweiter. Bei den großen
City-Marathonläufen hat es schon manches Mal so knappe Entscheidungen wie
jetzt in Edmonton gegeben. Die Kenianerin Joyce Chepchumba gewann
beispielsweise 1997 den London-Marathon mit einer Sekunde Vorsprung vor der
Britin Liz McColgan.
Bei Temperaturen von 28 Grad waren auf der welligen Strecke durch Edmonton
96 der 103 Läufer an den Start gegangen. Darunter waren sechs Athleten mit
Bestzeiten von unter 2:07 Stunden und 14 weitere, die zwischen 2:07 und 2:08
gelaufen waren. Nachdem der Spanier Antonio Pena die große Gruppe der
Favoriten über die Halbmarathonmarke geführt hatte (1:06:00 Minuten),
gab es den ersten ernst zu nehmenden Vorstoß gab es erst kurz hinter dem
25-km-Punkt (1:19:14). Der New-York- und London-Marathon-Sieger Abdelkader El
Mouaziz löste sich und versuchte es wie bei seinen großen Siegen im
Alleingang. Aber der Marokkaner konnte sich nicht weit genug absetzen, als
zwischen Kilometer 27 und 29 die größte Steigung der Strecke
überlaufen wurde. Der Höhenunterschied betrug hier gut 40 Meter.
Verfolgt wurde er von einer Fünfergruppe: Abera, Tesfaye Tola
(Äthiopien), Biwott, Shigeru Aburaya (Japan) und Stefano Baldini
(Italien). Abera war es dann, der bei etwa Kilometer 30 (1:34:51) Druck machte,
die Verfolgergruppe auseinander zog und die Lücke schloss. Wenig
später liefen alle sechs an der Spitze. Es folgte ein
Ausscheidungsrennen.
Weiter hinten im Feld hatten zu diesem Zeitpunkt schon eine Reihe von
prominenten Läufern das Rennen beendet. Auch Khalid Khannouchi, der in
Chicago 1999 mit 2:05:42 Stunden die Weltbestzeit aufgestellt hatte, kam nicht
ins Ziel. Bei seinem ersten Start für die USA stieg der gebürtige
Marokkaner, der im Vorfeld an einem Rückenproblem laborierte, nach gut 25
km aus. Josephat Kiprono (Kenia), Gert Thys (Südafrika) und Bong-Ju Lee
(Korea) sind weitere bekannte Namen, die ebenfalls ausstiegen.
Mit seinem kurzzeitigen Alleingang hatte sich El Mouaziz dieses Mal
übernommen, er fiel als erster aus der Spitzengruppe zurück, etwa
nach 35 km (1:50:46). Vier Kilometer vor dem Ziel verlor auch der Japaner
Aburaya, der schon einmal zuvor einen kleinen Rückstand wieder aufgeholt
hatte, den Kontakt. Biwott war es dann, der mit seinem Antritt kurz danach die
Spitzengruppe teilte. Nur Abera konnte folgen. Während der Kampf um Platz
drei zwischen Tola und Baldini schnell zu Gunsten des Italieners entschieden
war, ging vorne zunächst der Äthiopier am Kenianer vorbei. Doch
Biwott holte mehrere Meter Rückstand wieder auf und ging bei Kilometer 40
(2:06:10) selbst am Olympiasieger vorbei. Abera schien hier eine kleine
Schwächephase zu haben. Doch er kam etwa 500 Meter später ebenfalls
wieder heran, aber nicht mehr vorbei an Biwott. Das schaffte er erst auf den
letzten 200 Metern.
Eine gute halbe Stunde nach dem Sprintduell von Gezahegne Abera und Simon
Biwott, schien es noch einmal um Medaillen zu gehen, so laut wurde es im
Stadion. Doch die Zuschauer feierten lediglich die beiden letzten Läufer
dieses denkwürdigen Marathons: es waren zwei Kanadier.
Dieser Marathon war im Gegensatz zu manchem anderen WM-Rennen in
früheren Jahren hervorragend besetzt und bot deswegen ein echtes
Highlight. Möglicherweise zahlt sich das veränderte
Prämiensystem der IAAF aus. Doch es liegt auch daran, dass die Breite in
der Spitze im Marathon in den letzten fünf Jahren enorm zugenommen hat. Es
gab nie auch nur annähernd so viele Läufer mit Bestzeiten von unter
2:08 Stunden. Eine Zeit unter 2:10 ist heutzutage nur noch zweitklassig. Die
besten deutschen Läufer sind in diesem Jahr leider nicht einmal mehr
drittklassig und folgerichtig auch nicht dabei gewesen.
Ergebnisse:
Platz | Name | Nation | Zeit |
1 | Abera Gezahegne | ETH | 2:12:42 |
2 | Biwott Simon | KEN | 2:12:43 |
3 | Baldini Stefano | ITA | 2:13:18 |
4 | Tola Tesfaye | ETH | 2:13:58 |
5 | Aburaya Shigeru | JPN | 2:14:07 |
6 | El Mouaziz Abdelkader | MAR | 2:15:41 |
7 | Jifar Tesfaye | ETH | 2:16:52 |
8 | Morishita Yoshiteru | JPN | 2:17:05 |
9 | Nishida Takayuki | JPN | 2:17:24 |
10 | Alemayehu Simretu | ETH | 2:17:35 |
11 | Leone Giacomo | ITA | 2:17:54 |
12 | Fujita Atsushi | JPN | 2:18:23 |
13 | Zwierzchlewski Benoit | FRA | 2:18:29 |
14 | Syster Ian | RSA | 2:19:38 |
15 | Fernández Oscar | ESP | 2:19:45 |
16 | Bagy Abdelhakim | FRA | 2:20:43 |
17 | Di Cecco Alberico | ITA | 2:20:44 |
18 | Kuzin Oleksandr | UKR | 2:21:26 |
19 | Paredes Benjamín | MEX | 2:22:07 |
20 | Bimro Asaf | ISR | 2:22:36 |
21 | Espinosa Andrés | MEX | 2:23:06 |
22 | Lim Jin-Soo | KOR | 2:23:16 |
23 | Harrison Nicholas | AUS | 2:23:24 |
24 | Peña Antonio | ESP | 2:23:29 |
25 | Ballantyne Pamenos | VIN | 2:24:36 |
26 | Takahashi Ken-ichi | JPN | 2:24:41 |
27 | Tenorio Franklin | ECU | 2:25:15 |
28 | Swartbooi Luketz | NAM | 2:25:40 |
29 | Ziani Kamal | ESP | 2:25:43 |
30 | Moqhali Thabiso Paul | LES | 2:25:44 |
31 | Rudyk Mykola | UKR | 2:26:04 |
32 | Colorado Diego | COL | 2:26:13 |
33 | Saleh Ahmed Adam | QAT | 2:26:32 |
34 | Zeroual Larbi | FRA | 2:26:45 |
35 | Cox Josh | USA | 2:26:52 |
36 | de Highden Roderic | AUS | 2:27:42 |
37 | Rey Julio | ESP | 2:27:59 |
38 | Hellebuyck Eddy | USA | 2:28:01 |
39 | Szalkai Anders | SWE | 2:28:33 |
40 | Michelsson Magnus | AUS | 2:28:36 |
41 | Cortés Francisco Javier | ESP | 2:28:48 |
42 | Bohan Steve | CAN | 2:29:22 |
43 | Ndjissipou Ernest | CAF | 2:29:25 |
44 | Berhe Tesfit | ERI | 2:29:50 |
45 | Bautista Francisco | MEX | 2:29:56 |
46 | Deacon Bruce | CAN | 2:30:22 |
47 | Medvedev Vasiliy | UZB | 2:30:28 |
48 | Dudley Michael | USA | 2:30:45 |
49 | Zabélis Vasílios | GRE | 2:31:34 |
50 | Naumov Andriy | UKR | 2:31:42 |
Quelle: www.IAAF.org