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WM-AKTUELL: Adere Berhane stürmt zum 10.000-m-Gold

In einem atemberaubenden 10.000-m-Finale hat sich am Ende die Äthiopierin

Berhane Adere die erste Lauf-Goldmedaille bei den

Leichtathletik-Weltmeisterschaften von Paris gesichert. Adere siegte in der

drittschnellsten Zeit aller Zeiten und stellte mit 30:04,18 Minuten nicht nur

eine Jahresweltbestleistung auf sondern auch einen Meisterschaftsrekord und

einen Afrikarekord. Die 30-Jährige, die in Detmold bei Manager Volker

Wagner trainiert und eine Trainingspartnerin von Tegla Loroupe ist, krönte

damit ihre bisherige Laufbahn eindrucksvoll. Lediglich die Chinesin Wang Yunxia

(29:31,78 Minuten/1993) und Paula Radcliffe (Großbritannien), die bei der

EM von München vor einem Jahr 30:01,09 Minuten gelaufen war, sind jemals

schneller gewesen als Adere in Paris. Silber sicherte sich in einem packenden

Zweikampf Aderes Landsfrau Worknesh Kidane in 30:07,15 Minuten vor der Chinesin

Sun Yingjie, die nur fünf Hundertstelsekunden Rückstand hatte. Vierte

wurde Lornah Kiplagat (Kenia) in 30:12,53.

Ein hohes Tempo hatte dieses 10.000-m-Finale von Beginn an. Nach 2:59,62

Minuten war der erste Kilometer gelaufen und das Feld zog sich immer weiter

auseinander. Obwohl Paula Radcliffe nicht dabei war – die Britin hatte

nach Verletzungs- und Krankheitsproblemen in der Folge des London-Marathons

nicht mehr rechtzeitig eine gute Form aufbauen können – wurde es

also schnell. Nachdem anfangs die Ungarin Aniko Kalovics geführt hatte und

das Feld in 2:59,62 Minuten durch die 1000-m-Marke geführt hatte,

übernahm die Chinesin Sun Yingjie die Initiative. In einem Stil, der an

einen Roboter erinnerte, zog die 25-Jährige um die Bahn.

Es war genau zehn Jahre her, als bei der WM in Stuttgart die Chinesinnen die

Läuferwelt schockten, weil sie unglaubliche Zeiten liefen und die

Entscheidungen über 3000 und 10.000 Meter dominierten. Anschließend

brachen sie Weltrekorde über 1500, 3000 und 10.000 m. Diese Zeiten sind

bis heute unerreicht. Allerdings gab es viele Doping-Spekulationen rund um die

Läufergruppe von Trainer Ma Junren. Nun also lief Sun Yingjie in einem

ähnlichen Stil wie damals in Stuttgart ihre Landsfrauen. Sie kommt zwar

aus der gleichen Provinz wie damals die Läuferinnen von Trainer Junren,

aber er ist nicht ihr Coach.

Bis fast zur 5000-m-Marke führte Sun Yingjie – und inzwischen

waren nur noch drei Konkurrentinnen verblieben: Berhane Adere und Worknesh

Kidane (beide Äthiopien) sowie Lornah Kiplagat (Kenia), die nunmehr die

Führungsarbeit übernahm. Adere und Kidane verfügen beide

über einen starken Endspurt, ihnen war es also recht, dass das Tempo etwas

nachließ. Nach 15:06 Minuten war die 5000-m-Marke passiert, nach 18:07,25

die 6000 m. Kurz darauf gab die Titelverteidigerin auf: Derartu Tulu, zweifache

Olympiasiegerin über diese Strecke, ging von der Bahn.

Nachdem zwischenzeitlich Berhane Adere – Trainingspartnerin von Tegla

Loroupe in Detmold – die Initiative ergriffen hatte, wechselte die

Führung innerhalb der Vierergruppe öfter. Sun Yingjie, deren Sponsor

die chinesischen Eisenbahnen sind, ging auch zeitweilig wieder nach vorne. Sie

hat übrigens eine Weltklasse-Marathonbestzeit von 2:21:21 aus dem

vergangenen Jahr.

Nachdem 9 km in 27:14,06 Minuten gelaufen waren, lag das Quartett immer noch

gemeinsam an der Spitze. 750 Meter vor dem Ziel kam ein weiterer Vorstoß

von der Chinesin, doch Berhane Adere heftete sich trotz des unglaublich hohen

Tempos – der letzte Kilometer wurde in 2:50,12 Minuten gelaufen –

an die Fersen der Chinesin, und hinter ihr liefen Kidane und Kiplagat. So ging

es in die letzte Runde. Und dann konnte Adere nochmals zulegen. Ihrem Antritt

war schließlich 250 Meter vor dem Ziel keine mehr gewachsen. „Das

ist meine normale Taktik, 250 Meter vor dem Ziel den Spurt anzuziehen. Ich habe

so lange gewartet. Aber in den anderen Rennen ist das Tempo vorher nie so hoch

gewesen“, erklärte Berhane Adere. „Ich freue mich sehr

über diesen Sieg.“

Über zwei Mittelstrecken standen zuvor die Vorläufe auf dem

Programm. Eine Überraschung gab es dabei schon vor dem ersten

1500-m-Rennen. Denn der Kenianer Bernard Lagat, der in Bestform sogar zu den

Titelaspiranten gehört hätte, verzichtete auf seinen Start.

Souverän setzte sich in seinem Vorlauf Titelverteidiger Hicham El Guerrouj

durch. Der Marokkaner rannte für seine Verhältnisse gemütliche

3:42,24 Minuten. El Guerrouj möchte in Paris für ein Novum in der

WM-Geschichte sorgen. Er könnte als erster Athlet sowohl über 1500 m

als auch über 5000 m eine Medaille gewinnen. Mehdi Baala, die

französische Medaillenhoffnung über 1500 m, kam als Zweiter seines

Vorlaufes ohne Probleme in die nächste Runde. Deutsche Läufer waren

hier nicht am Start.

Anders ist das im 800-m-Lauf der Frauen. Mit Claudia Gesell gibt es hier

eine Läuferin, die durchaus auch im Finale eine gute Platzierung erreichen

könnte – vielleicht sogar mehr, denn die Hallen-Weltrekordlerin

Jolanda Czeplak (Slowenien) hat verletzungsbedingt auf ihren Start verzichtet.

Gesell lief im Vorlauf mit Titelverteidigerin Maria Mutola (Mosambik) und wurde

hinter der großen Gold-Favoritin Zweite in 2:01,06 Minuten. Es war ein

Lichtblick an einem Tag, bei dem es für die deutsche Leichtathletik nicht

gut aussah. Ebenso kein Problem hatte Stephanie Graf (Österreich). Sie

gewann ihren Vorlauf in 2:03,39 Minuten.

Jörg Wenig