Der BERLIN-MARATHON hat Zeit seines Bestehens eine besondere Affinität zu
den Olympiasiegern im Marathonlauf. Von 1974 – 1977 zierten antike
Läuferfiguren die Medaillen des BERLIN-MARATHON. Ab 1978 sind die
Medaillen den Marathon Olympiasiegern gewidmet. Damit sollte den olympischen
Heroen im Marathon ein Denkmal gesetzt und an sie und ihre großen
Leistungen erinnert werden. Sie sind schließlich die berühmten
„Vorläufer“ und Protagonisten der heutigen modernen
Laufbewegung und -entwicklung.
Und diese Serie begann beim BERLIN-MARATHON 1978 mit dem Portrait von Kitei
Son (JPN), dem Sieger von Berlin 1936. Zusätzlich ist die Urkunde für
jeden Teilnehmer mit dem Bild des Olympiasiegers versehen und im Programmheft
ist die Erfolgsgeschichte des Siegers geschrieben.
Kee Chung-sohn (der koreanische Name) wurde vom Veranstalter 1981, wie auch
später Emil Zatopek, zum ersten City-Marathon, zusammen mit seiner Frau
als Ehrengast nach Berlin eingeladen. Beim Start vor dem Reichstag hatte er die
rote Arbeitsjacke der Marathon-Helfer an und wurde von Teilnehmern mit Beifall
überschüttet. Richard von Weizsäcker, damaliger Regierender
Bürgermeister von Berlin, gab den Startschuss ab.
Kee Chung-sohn war dann ebenfalls privat Gast zum Kaffeetrinken beim Race
Director Horst Milde mit seinen Kindern, Laufbilder verschenkend und
Autogrammgebend. Den Besuch wiederholte er dann einige Jahre später als
offizieller Botschafter und Vertreters seines Landes Korea für die
Bewerbung von Seoul um die Olympischen Spiele von 1988.
Im folgenden soll durch einige Berichte der Lauf und der Sieg von Kitei Son
in Berlin beschrieben werden. Berliner Leser sollten sich besonders den
Streckenbericht ansehen, um ermessen zu können, was die damaligen
Olympiateilnehmer leisten mußten.
„An Son und Harper zerbrach Zabala“
ist die Überschrift des Leichathletik Spezialisten Ekkehard zur Megede in
seinem Buch „Die Geschichte der olympischen Leichtathletik“, Band
1: 1896 – 1936, Verlag Bartels & Wernitz, 1968 – und ebenso
wiedergegeben im Programmheft des BERLIN-MARATHON 1983 – unter der
Überschrift „Aus der olympischen MARATHON-Steinzeit“. „
56 Läufer nahmen am 9. August 1936 um 15.00 Uhr den Kampf auf der 42,195
km Distanz auf, darunter auch der Argentinier Juan Carlos Zabala, der seinen
Sieg von Los Angeles 1932 wiederholen wollte. Er hatte sich über die 10
000 m auf 30:56,2 verbessert und war seiner Sache ziemlich sicher. Doch er
hatte die Rechnung ohne die Japaner gemacht. Kitei Son (2:26:42 im Jahre 1935),
Tamao Shiaku (2:26:53,0 zu Beginn des Olympiajahres) und Shorju Nan vertraten
die Farben Nippons. Son stammt übrigens aus Korea, er lebt heute in Seoul
als einer der reichsten Männer Südkoreas, dem fast alle Mühlen
des Landes gehören. Zabala kümmerte sich vom ersten Meter an
überhaupt nicht um seine Konkurrenz, er lief einsam an der Spitze und
passierte die 10 km Marke in 32:30 mit über einer Minute Vorsprung vor dem
Portugiesen Dias. Son lag hier 1:58 Minute zurück an fünfter Stelle.
Doch beim Kontrollpunkt am Kilometer 21 sah die Situation schon anders aus. Der
Argentinier, müde wirkend, kam in 1:11:29,0 zwar noch als Erster vorbei,
doch folgten der 22-jährige Son und der zehn Jahre ältere
Engländer Ernest Harper mit einem Abstand von fünfzig Sekunden
gemeinsam auf dem zweiten Platz. Kurz nach 28 Kilometern erreichten Son und
Harper den Südamerikaner, der unmittelbar darauf einen Kollaps erlitt.
Zabala erholte sich noch einmal, lief im Zuckeltrab vier Kilometer und gab dann
völlig erschöpft auf.
Kitei Son ließ Harper nicht lange an seiner Seite. Er fühlte sich
sehr frisch und verschärfte das Tempo. Aus den 16 Sekunden, die er beim
Kilometer 31 vor dem Briten lag, wurden bis ins Ziel mehr als zwei Minuten. Er
betrat das Olympiastadion in guter Verfassung und hatte noch die Kraft zu einem
Endspurt. Mit 2:29:19,2 unterbot er als erster Marathonläufer der
olympischen Geschichte die zweieinhalb Stunden. Auch Harper übertraf noch
Zabalas olympischen Rekord, den der als Dritter eintreffende Japaner Nan nur um
sechs Sekunden verfehlte.
Der Olympiasieger Kitei Son lief übrigens, was damals ziemliches
Aufsehen erregte, in Schuhen, die vorne geteilt waren. Als er zwei Jahrzehnte
später Berlin wieder einmal besuchte, sagte er darauf angesprochen:
„Das war eine Marotte. Ich hatte davon weder einen Vor- noch einen
Nachteil.“
1. Kitei Son (Japan) 2:29:19,2 (OR)
2. Ernest Harper (Großbritannien) 2:31:23,2
3. Shoryu Nan (Japan) 2:31:42,0“
42 Läufer waren im Ziel. Bester Deutscher war als 29. Eduard Braesicke
2:59:33,4. Paul de Bruyn und Franz Barsicke haben das Rennen auf.
Stundendurchschnitt von 17 Kilometern
Die Olympischen Spiele 1936, Band 2, herausgegeben vom Cigaretten-Bilderdienst
Hamburg-Bahrenfeld (1936) kommentieren unter der Überschrift „Der
Klassische Lauf“ und „Japans Triumph“ den Marathonlauf in der
Einleitung: „Ein eigenartiger und starker Nimbus umgibt von jeher den
Sieger im olympischen Marathonlauf. In ihm verkörpern sich der Sieg des
Geistes über die Materie, der Wille zwingt dem Körper Leistungen auf,
die Bewunderung erregen. In keiner anderen sportlichen Übung wird dieser
Grad von Zähigkeit und Ausdauer, von Energie und Organkraft entwickelt und
verlangt. Je mehr die Kräfte des Körpers verbraucht sind, umso
stärker machen sich die Anfälle von Energielosigkeit bemerkbar. Nur
wer ein jahrelanges, disziplinvolles Training hinter sich hat, wer in schweren
Kämpfen Erfahrungen gesammelt und Strapazen, ja selbst
Erschöpfungszustände zu ertragen gelernt hat, kann im olympischen
Kampf bestehen. Wer aber gar im Kampf um den Sieg eine Rolle spielen will,
muß 42,195 Kilometer mit einem Stundendurchschnitt von 17 Kilometern
durchlaufen können, so weit sind die Leistungen von heute
fortgeschritten.“
„The History and Drama of Sport’s Most Challenging
Event“
Weniger lyrisch umschreiben David E. Martin, PhD (Regents’ Professor of
Health Sciences Georgia State University) und Roger W. H. Gynn (Marathon
Statistican Association of Track & Field Statisticians) in ihrem Buch
„The Olympic Marathon“ – „The History and Drama of
Sport’s Most Challenging Event“ (Human Kinetics 2000) unter der
Überschrift “Eine weltumfassende Schlacht an einem warmen Tag
produziert einen Olympischen Rekord”. Um den Leser von heute den Lauf von
1936 wiederzugeben – und was die Läufer der Spiele von 1936 leisten
mußten, kann jeder nachempfinden, der die Streckenbeschreibung in diesem
Buch erfährt.
Die Laufstrecke des olympischen Marathon in Berlin
Die zwar landschaftlich schöne, aber stark hügelige (zwischen 32 m
und 80 m Höhendifferenz) Havelchaussee zu belaufen und dann die AVUS in
ihrer „geraden Schönheit!“ wäre wohl heute keinem
Läufer wettkampfmäßig anzubieten, außer wenn man ihn
trainingsmäßig dort „schinden“! wollte. In Antwerpen und
Amsterdam war das Wetter kühl und teilweise regnerisch. Aber am 9. August
in Berlin war es sonnig und trocken mit Renntemperaturen von 22.3 C (72.1 F) um
15.00 Uhr bis 21 C (69.8 F) zum Ziel hin. Kitei Son hatte die Startnummer
382.
David Martin beschreibt in seinem Buch detailgenau die Laufstrecke des
olympischen Marathon in Berlin:
„Start am 100 m Mal im Stadion – 1 ¾ Runde im Stadion
– durch den Marathontunnel, 2 scharfe Kurven rechts und dann eine linke
Kurve im Tunnel um auf das grasbewachsene Maifeld zu kommen – über
das Maifeld zum Glockenturm – durch das Tor unterhalb des Glockenturms
– über die Glockenturmstraße !!! (sic! - vorbei am real,-
BERLIN-MARATHON- und SCC-RUNNING-Büro!) zur Angerburger Allee zur
Havelchaussee – links zur Havelchaussee – bis Kilometer 13 zur AVUS
(ehem. Autorennstrecke !). Die mittleren 17 Kilometer waren teilweise schattig
– alles andere lag in der knallenden Sonne und auf dem Zement der AVUS.
Der Wendepunkt war weniger als 2 Kilometer vom Stadion entfernt. Zurück
wurde die gleiche Strecke belaufen. Nach dem Einlaufen ins Stadion waren noch
150 m bis zur Ziellinie zurückzulegen“
Das Stadion war mit 100.000 Zuschauer überfüllt, die „New
York Times“ vom 10. August schreibt, daß mehr als 1 Million
Zuschauer die Laufstrecke gesäumt haben sollen ! 15 Checkpoints waren alle
3 Kilometer postiert mit Getränken, medizinischer Hilfe und
Zwischenzeitennahme.
Favorit für Berlin 1936
Kitei Son (Kee chung-sohn) wurde am 29. August 1914 in Sinuiju einem kleinen
Dorf am Yalu in Korea, nahe der Grenze zu China geboren. Er gewann seine
Goldmedaille im Alter von 22 Jahren. Er lief vorher Distanzen zwischen 800 m
bis zu 5 000 Meter und als er sich dem Marathon zuwandte, gewann er gleich die
ersten 3 Läufe, alle in Seoul, aber auf einer zu kurzen Strecke. Dabei
waren aber die ersten beiden Läufe schon die nationalen Meisterschaften.
1935 lief er 7 Marathonläufe, davon 4 in Seoul, 3 in Tokio. Am 3. November
1935 lief er mit 2:26:42 in Tokio seine Bestzeit und wurde damit zum Favoriten
für Berlin. Auch der Dritte des Olympischen Marathon in Berlin Shoryu Nan
(Nam Sung-yong) war ein Koreaner, der für Japan lief, da Japan im Krieg
Korea annektierte. Dave Martin schreibt in seinem Buch weiter mit der
Überschrift:
„Vom leisen Protest zur größten
Ehre“,
daß die beiden japanischen Läufer bei der Siegerehrung auf dem
Podest und dem Abspielen der japanischen Nationalhymne den Kopf senkten –
„aber nicht aus Reverenz zur Flagge und zur Hymne sondern aus Scham und
Schmach“ weil ihr Land unter japanischer Herrschaft lebte.
Beim Bild des Siegers Kitei Son am Tag darauf in der koreanischen
Tageszeitung Dong-a Ilbo war die japanische Flagge auf der Trainingsjacke
wegretuschiert. Dave Martin, schreib weiter: „Zeit heilt Wunden und
für Son, als auch für Korea brachte das Jahr 1988 etwas ganz
Besonderes. Einer der ergreifendsten Momente in der Marathongeschichte
während der ersten modernen olympischen Jahrhunderts kam bei der
Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Seoul. Jetzt 73 Jahre alt, lief
Kee Chung-sohn in das Stadion die Olympische Flamme tragend. 52 Jahre nachdem
er Olympischer Champion wurde lief er wieder auf einer olympischen Laufbahn
aber seine koreanischen Farben tragend. Die 88 000 Zuschauer im Stadion waren
völlig überrascht und erhoben sich um ihm lange zu applaudieren.
Scheinbar, von diesen Emotionen Energien gewinnend, weinte Kee in hemmungsloser
Freude und lief so stolz und kraftvoll, daß er so jung aussah, wie damals
in Berlin. Die wenigsten der Anwesenden werden das je vergessen.“