von Robert Hartmann
NAIROBI, - 5 000-m-Weltmeister Eliud Kipchoge benötigte nur
13:14,0 Minuten, um seine schon ängstlich gewordenen Landsleute
davon zu überzeugen, dass die Kenianer nicht von den schier
übermächtigen Äthiopiern verhext worden sind.
Bei der Olympiaausscheidung im Kasarani-Stadion bei Nairobi nahm der
24-Jährige die vielleicht größte Herausforderung an, die bei
den Spielen in Athen auf einen Läufer wartet. "Wegen Bekeles
Rekorden habe ich keine Angst", sagte Kipchoge.
Der Äthiopier Kenenisa Bekele hatte in dieser Saison die Konkurrenz
förmlich in Grund und Boden gerannt und die Weltrekorde über 5 000
Meter (12:37,35 min) und 10 000 Meter (26:20,32 min) verbessert.
"In einem wohlpräparierten Wettkampf kann Kipchoge auch einen
Weltrekord aufstellen", merkte dessen Trainer Joseph Chelimo an.
Schließlich besaß der Kenianer keinen Tempomacher. Und
außerdem setzte er schon nach zwei Runden zu einem brachialen
Zwischenspurt an, der bewusst eine bessere Zeit verhinderte, aber seine Gegner
zermürbte. Es ging eben vor allem um den Sieg.
Dominanz über die Hindernisse
Die Furcht, im August vielleicht ohne eine Medaille aus Athen heimkehren zu
müssen, verflüchtigte sich in Kenias drei stärksten Wettbewerben
schnell.
Neben Kipchoge imponierte auch der 800-m-Sieger Wilfred Bungei mit Zeiten
von 1:44,90 und 1:44,37 Minuten, wobei der Vierte mit der Weltklasseleistung
von 1:44,97 Minuten ausschied. Da Weltmeister Stephen Cherono alias Shaheen
für seine neue Heimat Katar keine olympische Starterlaubnis erhält,
zeichnet sich zumindest im 3 000-m-Hindernislauf ein glatter Erfolg für
Kenia ab. Der WM-Zweite Ezekiel Kemboi (8:16,5 Minuten in atemraubenden 1 670
Metern Höhe) distanzierte erst im Spurt den 19-jährigen Brimim
Kipruto.
Der Jahresweltbeste Paul Koech landete zwar lediglich auf Platz elf, doch
die Offiziellen wissen, dass er nur auf Meereshöhe sein ganzes Können
abrufen kann, nicht jedoch in dieser dünnen Luft von Nairobi. So
vertrauten sie ihm ohne Vorbehalte und benannten ihn für das
30-köpfige Team.
Sechs bis acht Medaillen darf sich das Volk der Läufer wohl bei
den Olympischen Spielen ausrechnen.
Wie üblich gab es in Nairobi etliche
Überraschungen. Neben Kipruto stehen zwei weitere junge Leute vor
ihrer ersten Olympiateilnahme. Der 1500-m-Sieger Isaac Songok (3:35,4) ist
Zwanzig, der 10 000-m-Zweite Mosop Moses (28:07,0) sogar erst Achtzehn. Zwei
aus der Schar hungriger kenianischer Talente. Angesichts dieser Konkurrenz
nimmt es nicht wunder, dass die beiden kenianischen Olympiasieger von Sydney
2000, Noah Ngeny (1 500 m) und Reuben Koskei (3 000 m Hindernis) bei der
Ausscheidung nur hintere Plätze belegten.
Songok und Moses sind neue Beispiele dafür, dass talentierte
Läufer nach Schulschluss die Chance nutzen, eine Läuferkarriere
einzuschlagen und Vollprofi zu werden. Auch hier ragen die ersten
Vorbilder heraus. Moses Kiptanui, der 1995 als Erster die Acht-Minuten-Barriere
über die Hindernisse bezwang, baut zurzeit in der Läufer-Hauptstadt
Eldoret im Nordwesten des Landes am Rande des Marktplatzes ein 50 Meter langes
und 25 Meter breites Einkaufszentrum mit sechs Verkaufsebenen. Es sind die
Läufer, die die luxuriösesten Villen besitzen. 95 Prozent der
Läufer kommen aus armen Familien, für sie ist dies die große
Chance.
Die Funktionäre haben sich offensichtlich die jüngsten
Leistungssteigerungen der Äthiopier zu Herzen genommen. Die eigene
Olympiaausscheidung wurde erstmals als Einladungswettkampf ausgetragen. Es gab
nur Finals, keine Vor-und Zwischenläufe. In den Jahren zuvor hatten sich
viele Athleten bis zum internationalen Großereignis nicht mehr von diesen
Strapazen erholt.
Die nationale Trainervereinigung von Athletics Kenya, in der frühere
Stars wie Patrick Sang und Ibrahim Hussein neuerdings das Wort führen,
fand nach über zehnjährigem Kampf endlich Gehör.
Vom 4. Juli an rückt die kenianische Mannschaft nun ins Trainingslager.
In zwei Wochen sollen fast alle an den Afrika-Meisterschaften in
Brazzaville/Kongo teilnehmen. Vereinzelt werden den Olympiateilnehmern auch
Starts bei den lukrativen europäischen Sportfesten zugebilligt.
Zum erstenMal lässt sich das für den Sport zuständige
Ministerium nicht lumpen und lobt Prämien für Medaillen und
Endkampfplätze in Athen aus. Das Höchstgebot von 300 000 Schillingen
(rund 3 200 Euro) ist freilich nicht mehr als eine Geste.
Besser wäre es, das Geld in die Nachwuchs- und Frauenarbeit zu stecken.
Nur sieben weibliche Vertreter zeigen, dass Kenias Läuferwelt
weiter von Männern dominiert wird.
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"Die äthiopische Explosion kam wie die Stichflamme auf dem
Herd. Aber wir haben jetzt genug Mittel, sie zu
löschen."
Mike Kosgei, Nationaltrainer