Dr. David Martin ist Sportwissenschaftler an der Georgia State University in
Atlanta. Er hat immenses Wissen im medizinischen Bereich und über den
Marathonlauf überhaupt und ist Autor des Marathon-Klassikers "The
Marathon Footrace". Außerdem ist er Chefstatistiker von AIMS.
Marathonläufe gibt es heute in einer Zahl wie nie zuvor. Es scheint,
als müsse jede große - und wohl auch bald jede kleine - Stadt
"ihren" Marathon haben. Dabei ist es nicht gerade ein Kinderspiel,
einen Marathon zu schaffen. Bei weitem nicht jeder ist in der Lage und bereit,
reichlich 42 Kilometer zu laufen und als Belohnung nicht mehr als eine kleine
Medaille zu erwarten. Wochen und Monate des Trainings werden nicht nur den
Eliteläufern, sondern genauso allen, die dahinter kommen, abverlangt. In
einem langen Prozess müssen die Muskeln "lernen", mehr Energie
zu speichern, und müssen Sehnen wie Bänder auf die stundenlange
Belastung mit 185 bis 200 Schritten pro Minute vorbereitet werden. Marathon zu
laufen, ist und bleibt eine Demonstration einzigartiger Fitness.
Oder etwa doch nicht? Beim Honolulu-Marathon 1999 benötigte der Letzte
eine Zeit von 14:35:05, um das Ziel zu erreichen. Angesichts eines
"Tempos" von 20:44 Minuten auf den Kilometer muss man sich fragen:
Kann man so etwas als Marathon l a u f e n bezeichnen? Ganz sicher nicht, denn
selbst langsames Spazierengehen ist schneller. Doch für diese und andere
"Dauerläufer" müssen endlos lang Straßen gesperrt
werden, freiwillige Helfer auf ihren Positionen ausharren, Polizei und
Sicherheitskräfte im Einsatz bleiben. Es hat den Anschein, als werde der
Marathon zunehmend als gesellschaftliches Ereignis gesehen, während der
sportliche Wettstreit in den Hintergrund rückt. Die Frage ist nun: Ist es
für die Zukunft unseres Sports gut, diesem Trend zu folgen? Sollte sich
wirklich so gut wie jeder einer solch harten physischen Herausforderung
unterziehen dürfen, auch wenn er/sie gar nicht die entsprechende
Vorbereitung absolviert hat oder Gefahr läuft, gesundheitliche
Schäden davonzutragen? Immer mehr Untrainierte, die unter normalen
Umständen kaum ein solches "Abenteuer" in Angriff nehmen
würden, lassen sich von bestimmten Interessengruppen (Motto: Laufen
für eine gute Sache) dennoch dazu verleiten. So gibt es zum Beispiel in
Amerika ein "Team in Training", das Geld für die Leukämie-
und Lymphoma-Gesellschaft sammelt, oder ein Programm "Joints in
Motion" für die Arthritis-Stiftung. In Großbritannien treten
bei Marathonläufen Caritas-Verbände wie den "National Meningitis
Trust" und "Sargent Cancer Care for Children" in
Erscheinung.
Leider schließen sich diesen sehr wohl guten Zwecken häufig
Menschen an, die alles andere als fit sind oder mit Behinderungen laufen. Und
was noch bedenklicher ist: Sie fühlen sich selbst bei Verletzung oder
Krankheit verpflichtet, u n b e d i n g t anzukommen - zum Beispiel einer
bestimmten Person zu Ehren, die von der Krankheit betroffen ist, gegen die die
jeweilige Stiftung zu Felde zieht. So nobel die Teilnahme mit dem Ziel eine
gute Sache zu unterstützen auch sein mag, so bürdet sie doch am
Wettkampftag den städtischen Angestellten wie auch den Anwohnern, die
immer längere Straßensperrungen erdulden müssen, eine
erhebliche Last auf. Von möglichen Folgen für die eigene Gesundheit
ganz zu schweigen!
In jüngster Zeit greift vornehmlich unter den langsameren Teilnehmern
ein zunehmend Besorgnis erregendes medizinisches Problem um sich: die
Hyponaträmie. Die Läufer werden besonders bei wärmeren
Temperaturen ermutigt, viel zu trinken, um gut hydriert zu bleiben. Nun ist ihr
Lauftempo jedoch oft so niedrig, dass sie über die lange Zeit auf der
Strecke zu viel Wasser trinken und insbesondere viel Natrium über den
Schweiß verlieren, ohne diese Mineralverluste durch geeignete
Elektrolytgetränke auszugleichen. Die Folge sind gehäufte Fälle
von Kollaps in Zielnähe, meist im Bereich um die 5 Stunden, die das
medizinische Personal und die zur Verfügung stehenden Einrichtungen
schlicht überfordern.
Was ist nun die Lösung? Sollten Marathonläufe all denen
vorbehalten bleiben, die im Marathon einen sportlichen Wettbewerb sehen und
tatsächlich bestrebt sind, die vollen 42 195 Meter im Laufschritt
zurückzulegen? Oder sollte man versuchen, immer größere
Teilnehmerfelder zu gewinnen - ob fit oder nicht, trainiert oder untrainiert -
und sich dabei zunehmend der Gefahr von Verletzungen, gesundheitlichen
Schäden oder gar Todesfällen aussetzen? Gerade die so wichtigen
Sponsoren sind eher dann zur Unterstützung bereit, wenn es sich um Formen
"bekömmlicher Unterhaltung" handelt und dürften sich
zunehmend zurückziehen, sollten sich medizinische Problemfälle
häufen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Organisatoren von
Marathons die Frage, wer eigentlich ein Marathonläufer ist, gründlich
überdenken.