Am Freitag Abend werden in Edmonton die 8. Weltmeisterschaften der
Leichtathleten feierlich eröffnet. Zum ersten Mal in der Geschichte der
Titelkämpfe wird die erste Entscheidung in die Eröffnungsfeier
integiert: der Marathon der Männer. Das Rennen über die klassische
Distanz ist glänzend besetzt, findet allerdings ohne deutsche Läufer
statt. Während die deutschen Läufer zurzeit nur drittklassig sind,
haben die US-Amerikaner bei der ersten Leichtathletik-WM auf dem amerikanischen
Kontinent einen Mitfavoriten im Marathon: Khalid Khannouchi.
Vom Tellerwäscher zum Millionär - Khalid Khannouchi hat sie
gemacht, diese amerikanische Traumkarriere. Und obendrein erfüllt sich
für den gebürtigen Marokkaner, der seit dem Chicago-Marathon 1999 mit
2:05:42 Stunden die Weltbestzeit über die klassische Distanz hält,
heute noch ein anderer Traum. Denn zum ersten Mal wird der 29-Jährige
für die USA starten. Khalid Khannouchi läuft beim Marathon, der
ersten Entscheidung bei den Weltmeisterschaften. In Edmonton wurde das Rennen
der Männer, das ohne deutsche Beteiligung stattfinden wird, in die
Eröffnungsfeier integriert.
Ein Traum wäre es freilich für Khalid Khannouchi auch, wenn er bei
seinem ersten großen Meisterschaftsrennen gleich eine Medaille gewinnen
könnte, zumal diese Titelkämpfe zum ersten Mal auf dem amerikanischen
Kontinent stattfinden. Unter normalen Umständen zählt Khalid
Khannouchi zu den Anwärtern auf Gold, doch ein Rückenproblem hatte
ihn Anfang Juli zu einer achttägigen Trainingspause gezwungen. "Ich
hatte damals meine Hoffnung und meinen Glauben verloren, aber ich erhielt
Unterstützung von allen Seiten. Jetzt bin ich wieder da, ich bin
konzentriert, und ich werde alles geben, um ein großes Rennen zu
zeigen", sagte Khalid Khannouchi in einer Telefon-Pressekonferenz.
Vor gut einem Jahr hatte Khannouchi schon einmal Pech mit einer Verletzung.
Damals platzte ein Traum - vom Olympiastart im US-Trikot. Der Läufer hatte
nicht mehr an den rechtzeitigen Erhalt der Staatsbürgerschaft vor Sydney
geglaubt, war beim lukrativen London-Marathon im April gestartet und dort
Dritter geworden. In der Folge litt er unter einer Knöchel- und
Sehnenverletzung, als er plötzlich kurz vor dem US-Ausscheidungsrennen in
Pittsburgh doch Amerikaner wurde. Niedergeschlagen verzichtete Khalid
Khannouchi auf einen Start, bei dem ihm eine knapp zehn Minuten langsamere Zeit
als seine Weltbestzeit zur Olympiateilnahme gereicht hätte.
Freilich hätte der bis dahin beste marokkanische Marathonläufer
auch für sein Heimatland rennen können. Nach seinem ersten Sieg in
Chicago 1997 hatten sich Marokkos Verbandsfunktionäre um ihn bemüht -
zu spät. "Khalid ist in die USA gezogen, weil er mit dem
marokkanischen Verband nichts mehr zu tun haben wollte," erklärte
seine Frau Sandra Natal, die zugleich seine Trainerin und Managerin ist. In den
Jahren vor seinem ersten großen Triumph hatten sich die Marokkaner
offenbar nicht um ihr Lauftalent gekümmert, was ihnen Khalid Khannouchi
übel nimmt. "Mein Vater möchte, dass ich für Marokko laufe.
Aber als ich die Unterstützung des Verbandes brauchte, habe ich sie nicht
bekommen. Die Leute hier in den USA haben mir wirklich geholfen - sie haben es
verdient, mich als Amerikaner laufen zu sehen", sagt Khalid Khannouchi.
"Trotzdem bin ich stolz, ein Marokkaner zu sein. Millionen Landsleute
werden sich über meine Leistungen freuen, aber mit den Verband will ich
nichts mehr zu tun haben."
Khalid Khannouchi ist als eines von acht Kindern in Meknes in Zentralmarokko
aufgewachsen. Sein Vater war Glaser und nebenbei Fußballtrainer. So kam
Khalid Khannouchi frühzeitig zum Sport. Sein Vater fand ihn zu klein
für einen Fußballer und überredete ihn zum Laufen. Mit 15
Jahren lief Kahlid Khannouchi sein erstes Rennen, einen Cross, und gewann. 1990
wurde er Junioren-Crossmeister seines Landes, doch der Verband nominierte ihn
nicht für die Junioren-Cross-WM. Das demotivierte den Athleten, obwohl er
vom früheren Weltrekordler Said Aouita als Trainer betreut wurde.
Als er 1993 bei der Universiade in Buffalo die 5000 m gewann, lernte er neue
Freunde kennen. Zwei Monate später kam er zurück dorthin, doch als es
ihm im November zu kalt wurde, zog er nach New York. Er lebte mit sechs anderen
Marokkanern in einem Zwei-Zimmer-Appartment in Brooklyn, verdiente sich sein
Geld unter anderem als Tellerwäscher und trainierte spät abends.
"Dort in Brooklyn nachts um 23 oder 24 Uhr zu laufen, war verrückt,
aber ich machte das", erzählt Khannouchi.
Bei einem Straßenrennen in Connecticut lernte er 1994 seine Frau
kennen. Sandra Natal stammt aus der Dominikanischen Republik und war
Marathonläuferin (Bestzeit: 2:46:46). Vor seinem Marathondebüt 1997
war Khalid Khannouchi skeptisch. Doch seine Frau überredete ihn zum Start
in Chicago und prognostizierte ihm eine Weltklassezeit von 2:07:25 Stunden.
"Er dachte, ich bin verrückt", sagte seine Frau. Ihr Mann war 15
Sekunden schneller. Es war damals die schnellste Debützeit eines
Marathonläufers überhaupt.
In Brooklyn braucht der dreifache Sieger des Chicago-Marathons schon lange
nicht mehr nachts zu trainieren. Inzwischen besitzt er ein Haus außerhalb
von New York. In einem großen Park kann er trainieren, und Fotos zeigen,
dass über seiner Eingangstür die amerikanische Fahne weht.
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WICHTIGE SCHRITTE BEI DER ENTWICKLUNG DER WELTBESTZEIT UND DIE BESTZEITEN
SEIT 1981
2:55:18,4, John Hayes, (USA), London, 1908;
2:29:01,8, Albert Michelsen, (USA), Port Chester, 1925;
2:18:40,4, James Peters, (GBR), Chiswick, 1953;
2:14:28, Leonard Edelen, (USA), Chiswick, 1963;
2:12:11,2, Abebe Bikila, (ETH), Tokio, 1964;
2:09:36,4, Derek Clayton, (AUS), Fukuoka, 1967;
2:08:18, Robert de Castella, (AUS), Fukuoka, 1981;
2:08:05, Steve Jones, (GBR), Chicago, 1984;
2:07:12, Carlos Lopes, (POR), Rotterdam, 1985;
2:06:50, Belayneh Dinsamo, (ETH), Rotterdam, 1988;
2:06:05, Ronaldo da Costa, (BRA), Berlin, 1998;
2:05:42, Khalid Khannouchi, (MAR), Chicago, 1999;