Newsarchiv

Newsarchiv

Volkslauf-Boom: DLV-Volkslaufberater Claus Baumann will Solidarleistung der Vereine schützen

Der Laufsport verzeichnet bundesweit seit Jahren einen richtigen Boom. Mit exakt 1.722.491 Teilnahmen bei 3638 Veranstaltungen konnte im vergangenen Jahr ein neuer Höchststand erreicht werden. Württemberg weist mit über 12 Prozent die größten Steigerungsraten auf und liegt mit 159 000 Teilnehmern in 300 Volksläufen mit an der Spitze dieser Entwicklung.

Ein prall gefüllter Laufterminkalender vom Neujahrs- bis zum Silvesterlauf bietet eine bunte Palette von Laufangeboten.

Trotz des Laufbooms malt Claus Baumann (Bergatreute/Ravensburg), Volkslaufberater im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), im Gespräch mit Ewald Walker nicht nur rosarot. „Bald überholt uns der Kommerz und die Volkslaufszene verselbständigt sich“, fürchtet Baumann um die Position der Vereine als Veranstalter.


Worin liegen den die Gründe für den noch immer anhaltenden Laufboom?


Baumann: „Der Laufboom hat eine Eigendynamik, die immer mehr Leute anzieht. Natürlich sind die Gesundheitswelle, das Krankenkassen-Bonus-System und auch die Trendsportart Nordic Walking weitere Gründe für das große Interesse an der Laufbewegung.“


Hat der Reiz an einzelnen Veranstaltungen auch zugenommen?


Baumann: „Der hohe Standard der Veranstaltungen ist ein Verdienst jahrelanger Arbeit an der Basis durch alle mit dem Volkslauf verbundenen ehreamtlichen Helfer. Auch Neu-Veranstalter haben durchaus das Potenzial, Läufer anzuziehen, wie die vielen Premieren im Marathon/Halbmarathon (z.B. der Ulmer Einstein-Marathon mit über 6.000 Teilnehmern ) beweisen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich der Breitensportgedanken immer stärker entwickelt, ohne dass der Leistungsgedanke vernachlässigt wird“.


Die Medien haben beispielsweise mit der Sendung „von Null auf 42“ viel Werbung gemacht...


Baumann: „Diese Sendung hat zweifellos Popularität für den Laufsport gebracht. Allerdings stehe ich dem Motto kritisch gegenüber. Besser wäre aus meiner Sicht ‚von Null auf zehn’, ein vor allem für Einsteiger risikoloseres Ziel.“


Sie denken dabei auch an die Todesfälle im Laufsport. Vier gab es beim Halbmarathon in New York, ein 19-Jähriger brach in Hamburg tot auf der Ziellinie zusammen, und auch beim Stuttgarter Halbmarathon gab es zwei tote Läufer ...


Baumann: „Der Laufboom bringt leider auch immer mehr untrainierte Läuferinnen und Läufer zum Laufen. Einen Marathon oder auch Halbmarathon zaubert man nicht so schnell aus dem Körper. Dies bedarf schon eines behutsamen Trainingsaufbaus unter fachlicher Anleitung in Vereinen und Lauftreffs. Zudem ist das unter Managern verbreitete Gehabe, wer ein richtiger Mann sein will, müsse mindestens ein Mal im Leben einen Marathon gelaufen sein, deplaziert und sogar gefährlich“.


Gibt es noch andere negative Aspekte ?


Baumann: „Die Folge untrainierter Teilnehmer ist die Tatsache, dass die Laufzeiten immer länger werden und dies kaum noch zu bewältigen ist. Laufzeiten von 1:15 Stunden über 10 Kilometer, drei Stunden über die Halbmarathonstrecke und sechs Stunden im Marathon sind keine Seltenheit. Während noch einige Aktive auf  der Strecke sind, verlangen die Sieger nach der Siegehrung. Eine Herausforderung für Zieleinlauforganisation und Streckenabsperrungen“.

 

Die Laufbewegung hat nicht nur zugenommen, sie hat sich auch verändert...


Baumann: „Die Läuferklientel hat sich verändert. Vorbei ist an vielen Orten die Zeit, in der man mit Gleichgesinnten zu einem Lauf gefahren ist und danach  Geselligkeit gesucht hat. Heute wird online angemeldet, nach dem Lauf kaum geduscht, zuhause im Internet das Ergebnis und selbst die Urkunde abgerufen. Die Läuferinnen und Läufer sind da zu Kunden geworden. Nachfrage regelt das Angebot und den Markt und die Konkurrenz schläft nicht“.


Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung noch?


Baumann: „Als Konkurrenten sind in den letzten Jahren immer mehr kommerzielle Laufanbieter aufgetreten. Sie üben mit ihrem finanziellen Einsatz Einfluss auf die Veranstaltungen aus. Alle wollen mit der Volkslaufszene Profit machen. Manche Sponsoren und Veranstalter umgehen die Fachverbände und die Verbandsabgaben, die man als Laufausrichter zu entrichten hat. Da besteht die Gefahr, dass sich die Volkslaufbewegung verselbständigt.“


Welche Gründe für diese Abgaben gibt es denn?


Baumann: „Die vielen Vereine, Verbände und deren Ehrenamtlichen haben über vier Jahrzehnte die Infrastruktur der Laufszene aufgebaut. Dies ist eine Solidarleistung die geschützt werden muss. Dazu zählt auch die unabdingbare Terminkoordination der inzwischen über 3500 Veranstaltungen bundesweit. Ich befürchte, dass uns bald der Kommerz überholt und der Volkslauf droht, kaputt zu gehen. Hier muss gegengesteuert werden.“

(Interview: Ewald Walker)