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"United we run"

Sieben mal war ich schon anlässlich des City Marathons in New York. Einmal

genoß ich den Zieleinlauf als Finisher im Central Park. Immer war es ein

ganz besonderes Erlebnis, beim größten und bedeutendsten Marathon

der Welt anwesend zu sein. Auch für den letzten Herbst war eine Reise nach

New York geplant, diesmal mit Vertretern der Sponsoren des Vienna City

Marathons, um die Stimmung und Begeisterung, welche dieser großartige

Marathon ausstrahlt, einzufangen und um vielleicht die eine oder andere Idee

für Wien mitzunehmen. Ein gemeinsames Abendessen mit Allan Steinfeld, dem

Präsidenten des New York City Marathons, der mir im Herbst 1999 in Wien

einen Besuch abstattete, war geplant. Wenn es da nicht die schrecklichen

Ereignisse des 11. September 2001 gegeben hätte. Mit einem Schlag wurde

weltweit ein neues Fenster der Gewalt aufgetan und Prioritäten neu

gesetzt. Auch ich hinterfragte unsere Reise nach New York. Die Frage war, ob

wir eine Marathonveranstaltung vorfinden werden, die sich durch ihre besondere

Begeisterung und ihren Flair einen Weltruf geschaffen hatte. Diese Stadt New

York, ein Schmelztiegel der Nationen, trauert um Opfer aus 60 verschiedenen

Nationen.

Anlässlich des real,- BERLIN-MARATHONs diskutierte ich mit meinen

europäischen Veranstaltungskollegen über Gefahren und Sicherheit, und

das Für und Wider einer Abhaltung des New York City Marathons 2001. Die

Meinungen waren sehr unterschiedlich. Eine klare Meinung hatte allerdings New

Yorks Bürgermeister Gulliani. Er hatte den Organisatoren des New York Road

Runners Club sehr schnell mitgeteilt, dass der New York Marathon stattfinden

muß.

Ich entschied mich gegen eine Reise nach New York und wartete mit gemischten

Gefühlen und Spannung auf die Fernsehübertragung aus den USA. In

Anlehnung an den Slogan "united we stand", der in New York seit dem

schrecklichen Terroranschlag auf das World Trade Center den amerikanischen

Patriotismus symbolisiert, stellten Allan Steinfeld und Horst Milde den real,-

BERLIN-MARATHON und den New York City Marathon unter das Motto "United we

run". Und New York wurde ein Marathon der Rekorde. Obwohl es

natürlich auch viele Stornos von Teilnehmern, vor allem aus Europa gab,

waren über 30.000 am Start in Staaten Island vor der Verrazano-Narrows

Bridge. Erstmals nahmen Läufer und Läuferinnen aus 110 Nationen teil.

Noch nie zuvor waren so viele Zuschauer der 8 Millionen Metropole New York an

der Strecke, um die Teilnehmer anzufeuern und um ihnen Kraft zu spenden.

Gesichert wurde diese Veranstaltung von über 10.000 (!) Polizisten, sogar

die National Garde wurde zur Sicherheit der Läufer abgestellt. Es

herrschte Alarmstufe 1. Und ich saß zu Hause vor dem Fernseher und

erlebte eine Marathon TV Übertragung, die es meisterhaft verstand, in

einer Gemeinschaftssendung den Spagat zwischen Politik und Sport zu spannen.

Man nützte den Laufsport geschickt als Plattform für

Hintergrundgeschichten, die mir bisher in der Berichterstattung über die

Ereignisse in New York verborgen blieben.

Sehr bewegte mich die Geschichte eines jungen Amerikaners, dessen Bruder

Noel sich schon besonders auf den Start in New York mit der Startnummer 8334

freute. Leider war er eines der vielen Opfer vom 11.September. Jetzt lief sein

Bruder mit dieser Nummer den New York Marathon, obwohl er nie vor hatte, einen

Marathon zu laufen. Er tat es, um seine Trauer um den geliebten Bruder

aufzuarbeiten. Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals eine

Sportveranstaltung gab, der eine so wichtige politische Botschaft zuteil wurde,

die in so viele Länder getragen wurde.

Nachdem sich bei mir die Anspannung und die Ängste, die sich nach den

neuerlichen Terrorwarnungen in den USA aufgebaut hatten, legten, begann ich es

zu bedauern, dass ich nicht doch nach New York geflogen bin. Langsam wurde in

mir die Gewissheit wach, dass 30.000 Läufer/innen aus 110 Nationen mehr

Kraft besaßen als lediglich die 42,195 Meter von New York zu laufen.

Diese Läufer haben ein Zeichen der Unbesiegbarkeit gegen den Terrorismus

gesetzt. Dass sowohl der schnellste Läufer und die schnellste

Läuferin an diesem schönen Herbsttag in New York neue Streckenrekorde

liefen, spielte nur eine Nebenrolle und ist aus den Sportnachrichten zu

entnehmen. Der New York City Marathon war der Impulsgeber für die vielen

City Marathons, die es heute weltweit gibt. Wir vom Vienna City Marathon werden

dem Ruf aus Berlin und New York folgen. Wir wollen zeigen, wie friedlich das

Miteinander aller Nationen, egal welcher Rassen, egal welcher Hautfarbe und

Religion, im Rahmen dieses völkerverbindenden Laufsports ist. "United

we run".

Wolfgang Konrad

Race Director

Vienna City Marathon