Das mit großer Spannung erwartete Auftreten des 5000 m-Olympiasiegers
Dieter Baumann beim 17. Hansaplast-Marathon endete unspektakulär - nach 35
km. „Die Energie war aufgebraucht“, bekannte Dieter Baumann in der
ihm eigenen Offenheit vor einer großen Schar von Medienvertreter ohne
Wenn und Aber. „Ich hatte eigentlich den Eindruck, für den
Marathonlauf gewappnet zu sein. Doch ich muss sagen, der Eindruck war falsch.
Das Experiment ist zunächst einmal gescheitert!“ Seine aufrichtige
Anerkennung galt allen Finishern, vor allem aber den Schnellsten bei der
siebzehnten Auflage des Hamburg-Marathon. Allen voran seiner früheren
Clubkollegin beim TSV Bayer Leverkusen, Sonja Oberem, die als Frauensiegerin
mit 2:26:21 Stunden nur neun Sekunden über ihrer beim Vorjahreserfolg
erzielten Bestzeit blieb. Das gewiss interessante deutsche Duell mit Luminita
Zaituc war bereits nach der Streckenhälfte für die
Bayer-Läuferin entschieden, als die Braunschweigerin etwas
zurückstecken musste. Sechs Tage nach dem Sieg von Rodgers Rop beim
Boston-Marathon durfte der deutsche Manager Volker Wagner schon einen weiteren
Sieg für seinen Detmolder Rennstall feiern: Der 33jährige Christopher
Kandie übernahm nach 37 km erstmals die Spitze einer völlig
auseinander gebrochenen Spitzengruppe und holte sich nach Rang sechs des
Vorjahres völlig überraschend den Sieg in 2:10:17 Stunden,
während die favorisierten Berlin-Marathonersten Joseph Ngolebus und Willy
Cheruiyot abgeschlagen ins Ziel an der Messe einliefen .
Was kann erfolgsorientierte Kenianer noch überraschen? Selbst eine
Steigerung um viereinhalb Minuten und einen Geldsegen an der Hamburger Alster
nahm Christopher Kandie gelassen hin. „Nein, das ist für mich keine
Überraschung!“ bekannte Kandie, der noch reisemüde seine
Deutschland-Auftritte zunächst als Halbmarathon-Sechster in Paderborn mit
1:03:38 begann, aber schon in der Folgewoche beim Berliner Halbmarathon mit
1:01:24 Stunden sein Potenzial andeutete. Der 33jährige vom Stamm der
Keiyo, übrigens unmittelbarer Nachbar in seiner Heimatstadt Iten von
Christopher Koskei, dem 3000 m-Weltmeister von 1999, schafft nun jenseits der
Dreißig den Durchbruch im Rennstall von Volker Wagner, nachdem er bislang
auf seinen Tingeltouren nur bescheiden erfolgreich war. Kandie
überließ seinen zumeist namhaften Laufkollegen wie Ngolebus,
Cheruiyot, Chimusasa, Lagat und Co. die Initiative und hielt sich zumeist am
Ende der rein afrikanischen Spitze auf. In der entscheiden Rennphase entlang
der Außenalster wurde das Rennen merklich langsamer und auf den Kopf
gestellt. So fiel der zeitweise wie ein sicherer Sieger wirkende
Berlin-Marathonerste Ngolepus zurück. Sich selbst ein tolles
Geburtstagsgeschenk machte sich der zweitplatzierte Äthiopier Hailu Neguse
mit einer feinen 2:10:24-Bestzeit. Aus der verfolgenden
„Baumann-Gruppe“ verabschiedete sich nicht nur der
„Chef“ selbst, sondern zudem Regensburg-Sieger Dmitri Kapitonov an
den Streckenrand. Dagegen lief der Pole Piotr Gladki, der Hamburg-Sieger von
2000, im zweiten Wind noch auf Rang fünf vor. Keine Offenbarung für
Bundestrainer Wolfgang Heinig wenige Tage vor Ende des
EM-Qualifikationszeitraumes, denn Michael Wolf musste vorzeitig seine
Hoffnungen aufgeben und Martin Beckmann lief nach gutem Beginn mit lediglich
2:17:24 auf Rang siebzehn.
Auch ohne neuem Hausrekord zeigte sich Sonja Oberem mit ihrem Auftritt
zufrieden, schließlich beendete die 29jährige ihren zwanzigsten
Marathonstart mit einem überzeugenden Sieg . „Ich bin gut gelaufen,
doch leider ist keine Bestzeit heraus gekommen. Ich weiss nicht, wo die
Sekunden geblieben sind. Bei der Hälfte war ich noch zwanzig Sekunden
schneller als im Vorjahr. Vielleicht war ich auch, nachdem die Tempomacher
ausgeschieden waren, einen Tick zu schnell gelaufen! Durch die hohe
Luftfeuchtigkeit hatte ich gerade auf dem ersten Streckenteil den Eindruck, zu
wenig Sauerstoff zu bekommen!“ Zufrieden – und dennoch
enttäuscht eine Luminita Zaituc, die sich nach ihrem Debüt vor
Jahresfrist in Hamburg von 2:28:43 sechs Monate später in Frankfurt auf
2:26:01 steigern konnte – und nicht zuletzt nach ihrer glänzenden
Generalprobe beim Paderborner Osterlauf das „große Ding“ in
Hamburg starten wollte. Im deutschen Duell hatte die Herausforderin von Sonja
Oberem jedoch schon nach wenigen Kilometern Probleme. „Ich bin froh, dass
ich überhaupt durchgekommen bin“, bekannte die amtierende
Marathonmeisterin, „weil ich schon nach fünf, sechs Kilometern
Seitenstiche hatte!“ Bis zur Streckenhälfte lagen Zaituc und Oberem
noch gleichauf neben einander bei einer Durchgangszeit von 1:12:50, dann musste
die Braunschweigerin allerdings abreißen lassen. „Vielleicht laufe
ich in Dessau die 10 000 m, aber mein Ziel ist der EM-Marathon in
München“, wehrte sie Spekulationen über eine Rückkehr auf
die Langdistanzen im Stadion ab.
Merklich mit der Fassung musste Veranstaltungsmanager Wolfram Götz bei
der Pressekonferenz ringen, als ihm der Tod eines jungen Marathonläufers
übermittelt wurde, der im Ziel zusammengebrochen war und trotz rascher
Reanimation verstarb. Entsprechend verhalten seine Genugtuung über eine
Veranstaltung, die mit einer Rekordbeteiligung von 17 500 Startern und 2 000
Inlinern eine maximale Größenordnung erreicht hat. „Ein
weiterer Anstieg hat nur Qualitätseinbußen zur Folge. Wir werden uns
über eine Teilnehmerbeschränkung Gedanken machen müssen, denn
jeder Teilnehmer hat Anspruch auf bestimmte Serviceleistungen, die bei einem
weiteren Zuwachs um fünf- oder sechstausend Läufer nicht mehr
gewährleistet sind!“
Wilfried Raatz