Am gestrigen Samstagnachmittag sollte in der Sportart Leichtathletik nicht
weniger als eine Wiedergeburt stattfinden. Endlich gab es auch den Europapokal
unterm Hallendach, 38 Jahre nach der Premiere unterm freien Himmel. Das
besonders von den Funktionären herbei gesehnte Ereignis ging in der
hochmodernen Leipzig-Arena über die Bühne, vor ausverkauftem Haus,
betont zuschauerfreundlich konzipiert. Die Deutschen sollten es wieder einmal
richten, wie so oft, wenn Neues eingeführt wird. Und man bedenke, schon
nach zweieinhalb Stunden und 19 Wettbewerben standen mit den Spaniern und den
Russinnen die Sieger fest, denen die Deutschen stehenden Fußes folgten.
Die gute Laune der rund viertausend Zuschauer erinnerte an die erst
fünf Monate zurück liegenden wunderbaren Europameisterschaften in
München, als die olympische Kernsportart den ständigen Regenschauern
zum Trotz ihr vorerst letztes stimmungsvoll-heiteres Fest feierte. Für die
Gastgeber hatte es viele Medaillen geben, jedoch nur zwei Siege, und wer sich
nicht betören lassen wollte, setzte damals schon bei der Schlussfeier
seine rosarote Brille schnell wieder ab. Im Weltstandard hatte es einen
Rückschritt gegeben.
Wichtig für alle Sportarten ist ihre Darstellung in den Medien
geworden, besonders in den elektronischen. Die Leichtathleten mussten es jetzt
als ein Menetekel ansehen, dass sogar ihr Europapokal in die Dritten
ARD-Programme abgeschoben wurde, während das ZDF an seinem Sportnachmittag
zur gleichen Zeit lieber Wettkämpfe vom Biathlon, der Nordischen
Kombination und dem Eisschnellaufen live übertrug.
Es ist ja richtig, dass die Einschaltquoten der Leichtathleten bei den
Groß- und Staatsaktionen wie Europa- und Weltmeisterschaften und
Olympischen Spielen immer wieder mit Rekordergebnissen verblüffen. Aber es
stimmt auch, dass das Interesse bei den nachgeordneten Veranstaltungen
inzwischen dramatisch abfällt. Dieser Entwicklung tragen die Fernsehmacher
gnadenlos Rechnung. Der Grund mag darin liegen, dass die Leichtathletik unter
einem spürbaren Schwund an Stars und Publikumslieblingen leidet.
Das hat auch viel zu tun mit den doch gut greifenden weltweiten
Dopingkontrollen. Nur wer dopt, kann seine Leistungen punktgenau abrufen.
Dagegen sind sozusagen "saubere" Athleten sehr
schwankungsanfällig, wie es nun einmal die menschliche Natur ist. Nun ist
die Zeit der Rekordjagden weitgehend vorbei. Die Rekorde sind fest zementiert
und gerade bei den Frauen ist es sogar völlig utopisch geworden, sie
wieder zu erreichen. Die heutige Athleten-Generation ist die dumme. Als
Individualisten, deren Leistungen strikt mit Stoppuhr und Bandmaß
gemessen werden, tun sie sich überdies schwerer als Mannschaftssportler,
Tennisspieler oder etwa Skisportler, die im Gelände gegeneinander
antreten.
Speziell für Deutschland gilt es festzustellen, dass das DDR-Erbe mit
seinem staatlicherseits alimentierten Spitzensport 13 Jahre nach der Wende
heute so gut wie aufgebraucht ist. Könner wie Grit Breuer, Heike Drechsler
und Lars Riedel sind über dreißig oder nähern sich schon den
vierzig. Sie haben keine Nachfolger gefunden. Die von Sportpolitikern freudig
begrüßte Einführung sportbetonter Schulen hat zumindest bis
jetzt noch keine Früchte getragen. Die Befürchtung wächst, dass
sich diese Einrichtung nicht spürbar in späteren deutschen
Medaillengewinnen niederschlagen wird. Bei den Junioren-Weltmeisterschaften
2002 wurde mit der mageren Ausbeute von einmal Gold und einmal Bronze das
bisher schlechteste Abschneiden festgestellt. Es war ein Schock.
Die Leichtathletik befindet sich auf einer schiefen Ebene, und das liegt
auch daran, dass sie an ihrer Vergangenheit so schwer zu tragen hat.