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Paula Radcliffe bricht erneut Marathon-Weltrekord

Paula Radcliffe läuft in einer eigenen Dimension. Im dritten Marathonlauf

ihrer Karriere rannte die Engländerin zum zweiten Mal eine Weltbestzeit

und zum dritten Mal unter 2:20 Stunden – eine Zeitbarriere über die

klassische Distanz von 42,195 Kilometer, die erst vor eineinhalb Jahren in

Berlin zum ersten Mal von Japans Olympiasiegerin Naoko Takahashi unterboten

worden war. Inzwischen gibt es insgesamt schon sieben Zeiten unter 2:20

Stunden. Doch keine war bisher so schnell wie Paula Radcliffe beim

London-Marathon: Mit 2:15:25 Stunden verbesserte sie ihren eigenen, im

vergangenen Oktober in Chicago aufgestellten Weltrekord um 1:53 Minuten und

gewann vor der Kenianerin Catherina Ndereba, die in 2:19:55 Stunden ebenfalls

zum dritten Mal in ihrer Karriere unter 2:20 Stunden blieb.

Rang drei ging im schnellsten Frauen-Marathon aller Zeiten an Deena Drossin.

Die US-Amerikanerin steigerte sich in ihrem zweiten Marathonrennen auf

erstklassige 2:21:16 Stunden und brach den Uralt-US-Rekord. Drossin war

fünf Sekunden schneller als Joan Benoit 1985 in Chicago. Der

London-Marathon hat einmal mehr gezeigt, dass der Frauen-Marathon sich enorm

entwickelt hat, nachdem es zuvor jahrelang einen Stillstand gegeben hatte. Die

schnellsten Frauen, allen voran natürlich Paula Radcliffe, nehmen die

nächste Zeitbarriere ins Visier: 2:15 Stunden. “Paula ist eine

Inspiration für alle anderen Läuferinnen – ihre Leistung war

sehr eindrucksvoll“, sagte Deena Drossin, die sich um gut

fünfeinhalb Minuten steigerte. Die US-Amerikanerin sorghte unfreiwillig

für ein Novum: Nie zuvor wurde eine Läuferin in einem Marathon mit

einer Zeit von 2:21:16 Stunden nur Dritte – auch das zeigt die

Entwicklung in dieser Disziplin.

Der schnellste unter über 33.000 Londoner Marathonläufern war

schließlich der Olympiasieger Gezahegne Abera. Der Äthiopier setzte

sich in einem seltenen Endspurt am Buckingham Palast auf der Zielgeraden gegen

vier Konkurrenten durch und lief 2:07:56 Stunden. Das Finale war ähnlich

spannend wie bei der Weltmeisterschaft in Edmonton im August 2001, als sich

Abera und Simon Biwott (Kenia) einen atemberaubenden Kampf geliefert hatten.

Damals war der Kenianer der Leidtragende, dieses Mal war es ein Italiener:

Zeitgleich hinter dem 24-jährigen Abera wurde der Italiener Stefano

Baldini Zweiter. Nur eine Sekunde zurück lag Joseph Ngolepus (Kenia), der

Sieger des Berlin-Marathons 2001. Fünf Läufer waren insgesamt nur

sieben Sekunden hinter dem Sieger im Ziel.

War das Frauenrennen vom Alleingang von Paula Radcliffe geprägt,

entwickelte sich bei den Männern ein ganz anderes Rennen. Auch die

Männer waren anfangs auf Weltrekordkurs, doch je länger das Rennen

dauerte, desto mehr entwickelte sich ein taktisches Rennen. Den 10-km-Punkt

hatte die große Spitzengruppe nach 29:47 Minuten erreicht – dieses

Tempo wäre gut gewesen, um auch den Männer-Weltrekord von Khalid

Khannouchi zu brechen. Der US-Amerikaner war vor einem Jahr in London 2:05:38

Stunden gelaufen, so dass London nun sogar beide Weltbestzeiten hält.

Khannouchi musste aufgrund einer Mandelentzündung auf seinen Start in

London verzichten.

Nach 60:02 Minuten hatte die Spitzengruppe Kilometer 20 erreicht. Und auch

noch auf den letzten 10 km rannte eine kompakte Gruppe an der Spitze.

Inzwischen ging es schon längst nicht mehr um schnelle Zeiten sondern nur

noch um den Sieg. Nach mehreren Tempowechsel wurde die Gruppe zwar kleiner,

aber keine konnte sich lösen. “Mir haben diese Tempowechsel nichts

ausgemacht, ich habe mich bewusst zurück gehalten“, erklärte

Abera später, neben dem zeitweise in dieser Phase auch Paul Tergat (Kenia)

lief.

Fünf Läufer bogen dann am Buckingham Palast auf die Zielgerade

ein. Fast wie bei einer Rad-Sprintentscheidung hatten sie sich zuvor belauert.

Und auch zu Beginn des Schlussspurtes blieb Gezahegne Abera cool und hielt sich

zurück. Erst auf den letzten Metern kam er stark von hinten und fing den

überraschend in die Phalanx der Afrikaner einbrechenden Stefano Baldini

noch ab. Ob er nun in Äthiopien ähnlich populär werden wird wie

Haile Gebrselassie, wurde Abera gefragt: “Nein“, antwortete der

Londoner Sieger, “Haile, das ist noch eine andere Dimension.“ Im

fünften Marathon verpasste Paul Tergat erneut seinen ersten Sieg. Der

zweitschnellste Marathonläufer (2:05:48 Stunden) aller Zeiten gehörte

zu den Geschlagenen im Endspurt und wurde Vierter in 2:07:59 Stunden. “Es

war ein starkes Rennen mit fantastischen Wetterbedingungen (10 bis 16 ° C,

leichter Wind), aber ich hatte leichte Magenprobleme in der zweiten Hälfte

des Laufes“, erklärte Paul Tergat.

Die Frauen liefen in London wie in den Jahren zuvor vorneweg, jedoch war es

dieses Mal kein reines Frauenrennen. Um die Chance auf einen Weltrekord zu

erhöhen, hatten die Organisatoren um David Bedford entschieden, acht

Pacemaker einzusetzen. Jeweils zwei liefen exaktes Tempo für Endzeiten von

2:16, 2:18 und 2:20 Stunden. Zwei weitere rannten ohne feste Zeitvorgabe im

Frauenfeld mit. “Ich glaube nicht, dass ich viel von den Tempomachern

profitiert habe, denn ich laufe immer mein eigenes Rennen. Als wir

streckenweise etwas Gegenwind hatten, waren die Tempomacher allerdings

hilfreich“, erklärte Paula Radcliffe später.

Von Beginn an war Paula Radcliffe die einzige Läuferin, die sich an die

2:16-Hasen hielt. Derartu Tulu (Äthiopien), die Londoner Siegerin von

2001, Susan Chepkemei (Kenia), Adriana Fernandez (Mexiko) und Constantina Dita

(Rumänien) liefen im 2:18-Tempo. Für Catherina Ndereba (Kenia), die

im Oktober 2002 in Chicago das Rennen und den Weltrekord an Paula Radcliffe

verloren hatte, und Deena Drossin sollte es sich auszahlen, mit einer

großen Gruppe von Läuferinnen die 2:20-Variante anzunehmen. Sie

rollten im Laufe des Marathons das Feld von hinten auf. “Sicherlich ist

das hilfreich, wenn man vor sich immer ein Ziel sieht, aber in erster Linie war

ich auf mich selbst konzentriert“, sagte Deena Drossin. Eine

Läuferin blieb freilich außer Reichweite: Paula Radcliffe.

“Man sieht aber an der Startlinie die anderen Läuferinnen nicht

unbedingt als Rivalin, die es zu schlagen geht. Sondern es geht in einem

Marathon eher um die maximale persönliche Leistung“, erklärten

Drossin und Ndereba übereinstimmend auf die Frage, wie man damit umgeht,

wenn eine vemeintlich übermächtige Läuferin wie Paula Radcliffe

am Start steht.