Paul Tergat war fünfmal Weltmeister im Cross und zweimal im Halbmarathon,
er gewann vier Silbermedaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen,
er hielt zwischen 1997 und 1998 den 10.000-m-Weltrekord und hält seit 1998
jenen im Halbmarathon, aber in Kenia ist er erst jetzt, nach dem
Fabelweltrekord beim real,- BERLIN-MARATHON, ein Nationalheld.
Kenias Tageszeitungen
hatten von Tergats Reise nach Berlin kaum Notiz genommen. Umso ausgelassener
war die Freude und der Jubel, als die Meldung vom Weltrekord schließlich
die Runde machte. Und als der Held von Berlin an jenem Mittwochmorgen im Jomo
Kenyatta Airport in Nairobi eintraf, warteten hunderte von Menschen auf ihn.
Verwandte und Nachbarn kamen durch die Nacht hindurch in Bussen von seinem
Geburtsort Riwo. Unbeschreibliche Szenen spielten sich ab. Es war der
größte Empfang für einen kenianischen Sportler seit der
Unabhängigkeit vor 40 Jahren.
Sportminister Balala leitete die Gratulationscour im überfüllten
VIP-Raum und versprach dem neuen Weltrekordhalter, dass schon in Kürze
“eine bedeutende Strasse in Nairobi“ in “Paul Tergat
Street“ umbenannt werde. Vor dem Flughafengebäude wurde Tergat von
traditionellen Tänzern mit den Insignien eines “Warriors“,
eines erfolgreichen Kriegers, versehen und bekam von seiner Mutter, wie es die
Tradition verlangt, eine mit “Mursiik“ (Sauermilch) gefüllte
Kalabasse. Dann gings in eine benachbarte Halle, wo eine Rede der anderen
folgte; Kenianer reden unglaublich gerne. Sammy Korir und Titus Munji, der
zweite und der dritte von Berlin, immer an Tergats Seite (“Diesen beiden
habe ich soviel zu verdanken, sie sind ein Teil des Erfolgs“).
Am Nachmittag gabs “en famille“ im Hause Tergat das
ARD-Marathon-Video. “What did they say now?“ (Was haben sie jetzt
gesagt), wollte Tergat ständig wissen. Gebannt schaute er auf den
Bildschrm und sagte dann: “Ich habe jederzeit alles unter Kontrolle
gehabt – ausgenommen vor dem Brandenburger Tor.“ Und seine
müden Augen leuchteten: “Finally I did it!“ (Endlich habe ich
es geschafft.) Am nächsten Morgen holte ihn der Wecker bereits um 6 Uhr
aus den Träumen. Flug nach Eldoret, Konvoi in die Stadt, Empfang beim
Bürgermeister, Eintrag ins goldene Buch. Dann weiter auf abgesperrten
Strassen mit etwa 40 Fahrzeugen zum Geburtsort von Sammy Korir. Selbst
Dollar-Millionär Tergat bekam die traditionellen Geschenke: eine Kalabasse
in die Hand und zwei, drei Wolldecken umgehängt.
Nach diesen zwei anstrengenden Tagen (Tergat: “Es braucht viel, um
einen Weltrekord zu brechen, aber was nachher kam, war noch viel
härter“) ließ sich der neue Marathon-Held eine Woche Zeit, bis
er die letzte Runde in Angriff nahm: Ein Triumphzug im offenen Landcruiser von
seinem Zweitwohnsitz Kabarak bei Nakuru zum drei Autostunden entfernten Riwo im
Baringo-Distrikt. Die Feier fand auf dem Areal der “Riwo Primary
School“ statt, dort, wo Paul Tergat bis vor 20 Jahren selbst die
Schulbank gedrückt hatte. Schulkinder und Frauengruppen sangen und
tanzten, es gab viele, viele Reden und dann folgte der Höhepunkt: Tergat
wurde von den Stammesältesten in ein Tierfell gekleidet und zum
“Tugen Elder“ ernannt. Das bedeutet: Wenn es in in der
Tugen-Gemeinschaft, zu der sein Geburtsort Riwo gehört, ein Problem gibt,
wird der Marathon-König künftig zu Rate gezogen.
Jürg Wirz, Nairobi