Von Robert Hartmann
Die Welt außerhalb der ostafrikanischen Hochebenen schaut dem Treiben
der dort aufgewachsenen Lauftalente nur noch ungläubig und staunend zu.
Ein Europäer oder Amerikaner kann sich heute überhaupt nicht mehr
dorthin denken, geschweige denn laufen, wo am Pfingstmontag der knapp 22 Jahre
alte Äthiopier Kenenisa Bekele mit seinem 5000-m-Weltrekord ankam, nicht
unerwartet übrigens, nämlich bei der Zeit von 12:37,35 Minuten. In
den Zirkeln seiner jungen Generation diskutieren sie schon das nächste
große Ziel, nämlich 12:30 Minuten. Jede 400-m-Runde wollen sie in 60
Sekunden zurücklegen.
In der Nostalgie-Ecke liegt unter vielen Spinnweben die Weltrekordzeit des
Finnen Paavo Nurmi, der Jahrhundertgestalt. Im Jahr 1924 erzielte er 14:28,2
Minuten. Sein Rundendurchschnitt: 69,4 Sekunden. In einem virtuellen Rennen
wäre er um über anderthalb Runden abgehängt worden. Es war ein
gütiges Geschick, dass er und seinesgleichen wie die „tschechische
Lokomotive“ Emil Zatopek noch nichts wussten von dem so lange
verschollenen Menschheitserbe des ausdauernden Rennens. Erst mit der
Unabhängigkeit der jungen Länder trat es allmählich und
schließlich mit Macht hervor.
In Hengelo erlebte die olympische Saison ihre erste echte Bestandsaufnahme
auf den Mittel- und Langstrecken. Vorneweg Äthiopier und Kenianer, die
über 3000-m-Hindernis einen verrückten 18-Jährigen
präsentierten, Kipruto Brimin, der nach seinen 8:05,52 Minuten ein
ernsthafter Medaillenkandidat ist.
Ein Blick in die Ergebnislisten macht deutlich, wohin die Reise geht.
Länder wie Ruanda, Eritrea, Uganda tauchen auf. Hinzu stoßen werden
noch Läufer aus Tansania und Burundi, ja aus dem geschundenen Sudan.
Sobald dort die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet sind, schicken sie
ihre hungrigen, willensstarken und im übrigen gut erzogenen Läufer in
die Welt.
Die ostafrikanischen Umwälzanlagen arbeiten Tag und Nacht. Neue Namen
werden schier aus dem Nichts herausgeschleudert, vertraute Namen verschwinden
schnell. Zu bewundern sind dann die Stars, die länger in diesem System
überleben. Einer heißt Haile Gebreselassie, der beliebteste
Leichtathlet der Welt, Vorgänger von Bekele. Er unterlag in Hengelo dem
ebenfalls erst 21 Jahre alten Sihine Sileshi über 10000 m.
Bald wird es heißen: Wachablösung. Dabei ist Gebreselassie erst 31.
Jetzt denkt er an Flucht, er kann ja noch Marathon laufen.