Keine andere olympische Disziplin ist so reich an Kuriositäten,
Sensationen, Pleiten oder Überraschungen wie die des Marathons. Vor allen
Dingen die ersten vier olympischen Marathonentscheidungen hatten es in sich,
doch in Athen kam am Sonntag ein weiteres Drama hinzu:
1896 in Athen:
Schon bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen wurde
Marathon gelaufen, obwohl die Streckenlänge damals noch nicht ganz die
heutige Distanz aufwies. Beruhend auf der Geschichte, demnach ein griechischer
Bote einst von Marathon nach Athen gerannt war, dort die Nachricht des Sieges
überbracht hatte und dann tot zusammengebrochen war, führte die
Strecke 1896 von Marathon nach Athen. Nach knapp drei Stunden war Spiridon
Louis der erste Marathon-Olympiasieger. Der griechische Schafhirte wurde in
seiner Heimat ein Idol. Er hatte im Gegensatz zu seiner Konkurrenz seine
Kräfte richtig eingeteilt. Als noch knapp 10 Kilometer zu laufen waren,
reichte ihm sein künftiger Schwiegervater ein Glas Cognac. Danach war
Spiridon Louis nicht mehr einzuholen.
1900 in Paris:
Einen Skandal gab es in Paris. In seinem Werk „Die Geschichte der
Olympischen Leichtathletik" zitiert Ekkehard zur Megede einen Zeitzeugen:
„Das Rennen war eine Farce, denn wer konnte schon mit jenen Pariser
Läufern konkurrieren, die die Stadt wie ihre Westentasche kannten? Sie
schnitten die Kurven ab und fanden auch sonst allerhand Schliche, um ihren
Konkurrenten gegenüber einen Vorteil herauszuholen." Und der
fünftplazierte Amerikaner Arthur Newton meinte später: „Ich
übernahm auf halber Strecke die Führung, und da mich bis zum Ziel
niemand überholte, fühlte ich mich als Olympiasieger. Wieso einige
andere vor mir da waren, wird mir ewig ein Rätsel bleiben." Der
hinter ihm platzierte Landsmann Dick Grant reklamierte, dass ihn ein
Fahrradfahrer umgefahren hatte, als er einen Franzosen überholen wollte.
Der Pariser Bäckerjunge Michel Théato wurde damals
Olympiasieger.
1904 in St. Louis:
Der Amerikaner Fred Lorz rannte mit etwa einer Viertelstunde Vorsprung ins Ziel
und ließ sich feiern. Doch dieser Olympiasieger sah nach dem Marathon
verdächtig frisch aus. Der Schwindel flog auf, Thomas Hicks (USA) war mit
einer Zeit von 3:28:53 Stunden der wirkliche Gewinner. Lorz hatte nach
fünf Kilometern einen Krampf, wurde von einem Lastwagen mitgenommen und
machte sich später einen Spaß daraus, wieder ins Rennen
einzusteigen. In St. Louis war es übrigens auch, wo der Unfall zweier
Autos die Straße blockierte und die Läufer behinderte. Und obendrein
hatte der zwischenzeitlich zweimal kurz vor einem Zusammenbruch stehende Thomas
Hicks das Ziel nur erreicht, weil er neben Eiern und Brandy von seinen
Betreuern mit einer Kleinstportion Strychnin aufgeputscht worden war. Das Gift
wirkt erregend auf das zentrale Nervensystem. Hicks war ein umjubelter
Olympiasieger, der heutzutage aber keiner Dopingprobe standhalten
würde.
1908 in London:
Der Italiener Dorando Pietri torkelte völlig ausgelaugt, in Führung
liegend ins Stadion. Dort fiel er um, stand wieder auf, taumelte aber erneut.
Als der erste Verfolger, der Amerikaner John Hayes, das Stadion erreichte,
konnten es einige Offizielle nicht mehr mit ansehen. Sie hatten Mitleid mit
Dorando Pietri, stützten ihn und führten ihn über die Ziellinie
– der erste, der die Spannung nicht mehr aushielt und dem Italiener half,
war der Sherlock-Holmes-Kriminalschriftsteller Sir Arthur Conan Doyle. Doch der
Italiener musste deswegen am Ende disqualifiziert werden, der Sieger hieß
Hayes. Seit jenem olympischen Rennen hat der Marathon übrigens seine
heutige Länge. Der Start war damals am Schloss Windsor, und das Ziel
musste unmittelbar vor der königlichen Loge im White City Stadion sein.
Diese Strecke ergab die 42,195 Kilometer.
2004 in Athen:
Bei Kilometer 36 rennt ein bunt angezogener Mann auf die Straße,
drängt den in Führung liegenden Vanderlei Lima an den
Straßenrand und hält ihn einige Sekunden fest, bevor Zuschauer dem
Läufer helfen. Der Brasilianer verliert rund zehn Sekunden, was aber zum
Glück nicht der Grund dafür war, dass er am Ende als Dritter ins Ziel
kam. Der italienische Sieger Stefano Baldini und der US-Amerikaner Mebrahtom
Keflezighi liefen so schnell, dass sie Lima auch ohne die Zwangspause noch
überholt hätten.
Tragisch wäre gewesen, wenn er aufgrund des Angriffs eine Medaille um
wenige Sekunden verpasst hätte. So aber lief Vanderlei Lima jubelnd in das
Panathinaikon-Stadion von Athen und feierte seine Bronzemedaille.
Der Mann, der ihn aufgehalten hatte, war ein irischer Priester, der bereits das
Formel-1-Rennen im englischen Silverstone 2003 unterbrochen hatte, weil er auf
die Strecke gerannt war. Außerdem hat er auf diese Art und Weise offenbar
auch schon ein Pferderennen in Irland gestoppt.
Die gesamte Geschichte des olympischen Marathon von 1896
(MARATHON-ATHEN) - 2000 (Sydney) im Überblick:
www.real-berlin-marathon.com/news/show/002314
- wie sich Legenden weiter halten - oder auch zwischenzeitlich wieder
korrigiert werden:
www.real-berlin-marathon.com/news/show/002343