Naturtalent hat er genug, um eine olympische Goldmedaille zu gewinnen. Aber es
kommt auf die Taktik an. Juri Borsakowski hat früh in der olympischen
Saison beeindruckt: Von dem starken Kenianer Wilfred Bungei, dem WM-Zweiten von
2001, mit einer Weltjahresbestzeit in Sevilla geschlagen, hat sich der
23-jährige Russe beim Auftakt der Golden League in Bergen revanchiert.
"right" />Aber die Gretchenfrage bleibt dieselbe wie zuvor in seiner kurzen
Laufbahn. Läuft er die erste Runde zu langsam, um sich dann im Endspurt zu
beweisen? Obwohl er Variationen dieser Taktik in den letzten zwei Jahren
gezeigt hat, zieht er es immer noch vor, bis zur letzten Runde zu warten. Bei
der WM 2003 in Paris hat diese Taktik "nur" Silber gebracht: 400m vor
Schluss war er Sechster, führte dann kurz vor der Ziellinie, doch Djabir
Said-Guerni (Algerien) übertrumpfte ihn noch. Die Herausforderung bei den
Spielen in Athen sollte auch von dem amtierenden Hallenweltmeister, Mbulaeni
Mulaudzi (Südafrika) und den Kenianern kommen. Es bleibt auch abzuwarten,
wie sich Andre Bucher (Schweiz), der WM-Sieger 2001, nach der Verletzung erholt
hat. Auch in Frage ist die Form des Weltrekordlers Wilson Kipketer
(Dänemark), bei dem in der letzten Saison zu sehen war, dass er nicht mehr
der Stärkste über 800 m ist.
JURI BORSAKOWSKI: LÄUFER PUR
Alles ist locker in seinem Stil. Der Erfolg kam früh, als er 1998 bei
den Jugend-Weltspielen über 800m gewann und im nächsten Jahr mit
seiner Siegeskraft als 18-Jähriger beim Europapokal imponierte. Bis zur
Freiluftsaison 2004 hatte er zweimal den Juniorenweltrekord über 800m in
der Halle gebrochen sowie den Freiluft-Europarekord der Junioren. Seine
Bestzeit über 800m (1:42,47) ist er 2001 beim Golden-League-Meeting in
Brüssel gelaufen. Ein Jahr zuvor in Dortmund hat er einen
Juniorenweltrekord in der Halle mit 1:44,38 aufgestellt.
Lob und Tadel zieht er fast gleichmäßig an sich. Einen
Junioren-Europarekord lief er beim olympischen Halbfinale in Sydney. Doch
Kritik bekam er auch für die Art, wie er das Finale gelaufen ist: Andre
Bucher und Andrea Longo (Italien) führten durch die erste Runde mit 53,43
Sekunden. Kein hektisches Tempo, aber Borsakowski lag weit hinten. Als Nils
Schumann (Deutschland) den Weltrekordler Wilson Kipketer sensationell bezwang,
kam der Russe erst als Sechster ins Ziel.
Als 2002 die EM in München stattfand, war Borsakowski auch dabei, aber
über 400m. Seine alten Kontrahenten, Schumann, Bucher und Kipketer, liefen
über zwei Runden, während sich der Russe für das
400-m-Halbfinale qualifizierte. Mit dem siebten Platz kam er nicht ins Finale,
und man hatte den Eindruck, dass er eine Trainingseinheit absolvierte, statt an
einer Meisterschaft teilzunehmen.