Der beste Mittelstreckenläufer des letzten Jahrzehnts hat endlich auch
seine olympische Goldmedaille gewonnen. Hicham El Guerrouj heißt der neue
Olympiasieger über 1500 Meter. In einem dramatischen Endspurt schien es
schon, als wenn der Kenianer Bernard Lagat dem Marokkaner das Gold wegschnappen
könnte. Doch auf den letzten Metern konnte El Guerrouj noch einmal
kontern. In 3:34,18 Minuten gewann er schließlich mit zwölf
Hundertstelsekunden vor Lagat. Dritter wurde der Portugiese Rui Silva in
3:34,68.
Bernard Lagat hatte seinen Endspurt offenbar etwas zu früh angesetzt.
Dadurch konnte er am Ende, nachdem er schon an El Guerrouj vorbei war, das
Tempo nicht ganz halten. Dieser kleine Fehler ermöglichte Hicham El
Guerrouj die Erfüllung seines Traumes.
Ein achtjähriger Alptraum hat damit für den Marokkaner ein Ende
gefunden: 1996 war er als Favorit ins olympische 1500-m-Finale von Atlanta
gegangen. Doch dort stolperte er über das Bein seines schärfsten
Rivalen, Noureddine Morceli. Der Algerier wurde Olympiasieger, El Guerrouj kam
als Zwölfter ins Ziel. Vier Jahre später kam ihm ein anderer zuvor:
Der Kenianer Noah Ngeny rang Hicham El Guerrouj auf der Zielgeraden im Spurt
nieder. So groß war die Enttäuschung, dass der Marokkaner seine
Karriere fast beendet hätte.
Im Athener Olympiastadion sah es nun fast so aus, als wenn Hicham El
Guerrouj wieder ein Kenianer in der gleichen Manier wie 2000 in Sydney das Gold
wegschnappen könnte. Nach 700 Metern hatte sich El Guerrouj an die Spitze
gesetzt und führte auch noch eingangs der Zielgeraden. Aus der Kurve
heraus kam der Angriff von Bernard Lagat. „Als er an mir vorbeizog,
dachte ich nur: Sydney… Doch dann hatte ich das Gefühl, dass ich
noch einmal kontern kann. Und ich danke Gott, dass ich es schaffte“,
sagte Hicham El Guerrouj. „Vor vieren Jahren habe ich Tränen der
Enttäuschung geweint, heute waren es Tränen der Freude.“
Bernard Lagat war nicht enttäuscht über die knapp verpasste
Goldmedaille. „Ich habe alles gegeben und bin froh über Silber. Es
war klar, dass es ein ganz hartes Rennen wird. 50 Meter vor dem Ziel dachte
ich, es könnte reichen. Als ich im Ziel war, habe ich aber auch an Hicham
gedacht. Denn er hat diese Goldmedaille wirklich verdient.“
Über 3000 m Hindernis hatten die Kenianer zuvor ihre erste Goldmedaille
gewonnen. Und nicht nur das: zum zweiten Mal in der olympischen Historie
schafften es die Kenianer, alle drei Medaillen zu gewinnen. 1992 in Barcelona
hatten sie das zum ersten Mal geschafft. Nun gewann Ezekiel Kemboi, der
Silbermedaillengewinner von Paris 2003, in 8:05,81 Minuten vor dem erst
19-jährigen Brimin Kipruto (8:06,11) und Paul Kipsiele Koech
(8:06,64).
Auch der vierte im Rennen war eigentlich ein Kenianer: Musa Obaid Amer
startet inzwischen unter seinem neuen Namen für Katar. Ihn aus den
Medaillenrängen herauszuhalten, das war das Ziel der Kenianer, das sie
auch erreichten. „Das war gutes Teamwork, wir haben zusammen gearbeitet
und zusammen für unser Land alle Medaillen gewonnen“, erklärte
Ezekiel Kemboi. Den schärfsten Rivalen hatten die Kenianer freilich schon
vor Olympia ausgeschaltet: Der Weltmeister Saif Saaeed Shaheen (Katar)
wechselte vor gut einem Jahr die Nationalität. Der ehemalige Kenianer
hatte kurz vor Olympia auch das Meeting in Zürich gewonnen. Doch Kenias
Sportfunktionäre erteilten ihm nicht die für Olympia nötige
Freigabe.