Sie ist inzwischen Vierzig, gilt als die Grande Dame des Marathonlaufes - und
ist noch lange nicht wettkampfmüde. Auch wenn es schwer fällt, sich
immer wieder neu zu motivieren nach der langen, verletzungsbedingten Pause. Vor
allem dann, wenn die Zwangspause immer länger wird und die Anzahl
unspezifischer Trainingstage nicht wirklich abnimmt. „Es ist ein
unregelmäßiges Laufen“ gesteht Katrin Dörre-Heinig dieser
Tage ein, „und kein schmerzfreies zudem! Der Fettstoffwechsel ist kein
Problem, solange ich aber nicht fünfzehn oder zwanzig Kilometer schnell
laufen kann, brauche ich auch keinen Wettkampf zu machen!“ Und diese
Auszeit dauert inzwischen schon über eineinhalb Jahre. Das vorläufige
Aus kam beim Hamburg-Marathon 2000. Aussteigen wollte sie nicht, aber Rang zwei
in 2:33:10 ist für die Weltklasseläuferin, wie es Katrin
Dörre-Heinig praktisch seit ihrem ersten Sieg in Osaka 1984 in 2:31:41
darstellt, gleichzusetzen. Keine vierte Olympia-Teilnahme, keine Rückkehr
im WM-Jahr 2001 – und 2002?
„Ich bin 1999 mit 37 Jahren meine Bestzeit mit 2:24:35 gelaufen. 2000
war ich sogar noch von den Werten her besser denn je. Wäre dieses Resultat
1999 nicht gewesen, dann hätte ich mir gesagt: Das war es halt gewesen!
Ich habe bei dem missglückten Rennen in Hamburg 2000 alles auf den
Fuß geschoben, aber inzwischen weiß ich: Es war Pfeiffersches
Drüsenfieber. Schon nach fünfzehn Kilometer hatte ich Wolfgang (ihrem
Mann und Bundestrainer, Anm. der Red.) zugerufen, es gehe nichts mehr.
Hätte ich die Umstände vorher gewusst, wäre ich natürlich
nicht gelaufen!“ Drei Mal war Katrin Dörre-Heinig seitdem unter dem
Messer: Im Mai 2000 ließ sie sich einen Fersensporn entfernen, in diesem
Frühjahr war die Achillessehne dran, im Oktober folgte noch ein weiterer
Eingriff am Narbengewebe. „Massive Veränderungen am Fuß
erfordern natürlich ihre Zeit. Mit leichten Schmerzen am Fuß
lässt sich natürlich trainieren. Wenn diese aber zu stark werden,
dann höre ich eben auf!“
Die gebürtige Leipzigerin, die als Neunjährige aus Zufall
über eine Freundin zur Leichtathletik kam, sieht inzwischen vieles nicht
mehr mit letzter Konsequenz, wie sie es fast zwei Jahrzehnte auf
Weltklasseniveau betrieben hatte. Schließlich kamen die eindrucksvollen
Siege nicht von ungefähr. Vier Mal Osaka, drei Mal London, Tokio und
Frankfurt, zwei Mal Hamburg und, und, und – eine Erfolgskette ohne
Parallelen. Auch wenn die olympische Medaille fehlt. „Wenn es zum
Frühjahr noch nicht reicht, dann eben im Herbst“ macht sie sich
für das kommende Jahr Mut, „auf jeden Fall versuche ich es nicht mit
aller Gewalt!“ Doch selbst mit Vierzig hat frau noch Träume, und
diese heißen Weltbestzeit für 40jährige. Priscilla Welsh lief
1987 in London die gültige Marke mit 2:26:51 Stunden.
Diese Zeit muss man freilich erst noch einmal genüsslich auf der Zunge
zergehen lassen. Schließlich schafften dies heuer gerade einmal mit
Luminita Zaituc und Sonja Oberem zwei Deutsche. „Ich muss mich eigentlich
nicht mehr beweisen, aber diesen Rekord zu laufen, das wäre noch einmal
eine super Sache!“ Dafür schindet sie sich wieder und immer wieder.
Inzwischen haben ihr die Ärzte „grünes Licht“ gegeben. Es
bedeutet aber weniger die langen Dauerläufe rund um das
Odenwaldstädtchen Erbach, das Katrin mit Ehemann Wolfgang Heinig und der
inzwischen 12jährigen Katharina längst eine neue Heimat geworden ist,
sondern viel eher Radtraining, Lauftraining auf dem
„Elypsengerät“, Krafttraining mit Hantelbank oder Sprossenwand
im hauseigenen Trainingsraum. „Für mich ist diese Phase nicht
zufrieden stellend. Das allgemeine Training mache ich nicht gerne, aber es muss
eben sein. Es ist natürlich eine zwiespältige Hoffnung. Aber wenn ich
nicht laufen kann, dann ist es schon ein beklemmendes Gefühl. Triebfeder
ist natürlich die Hoffnung auf einen ordentlichen Marathon!“
Die Maßstäbe, die sie als „alter Hase“ an sich
persönlich anlegt, die gelten natürlich auch für ihre
(nationalen) Konkurrentinnen. „Wer heute nicht konsequent arbeitet, der
wird scheitern. Ich kann nicht akzeptieren, dass manche behaupten, diese Zeit
hätten sie nicht. Es gehört unendlich viel Disziplin dazu. Viele
wissen einfach nicht, was es heißt, Berufssportlerin zu sein!“
Katrin Dörre-Heinig sieht der Entwicklung im Frauen-Marathon derzeit
gelassen entgegen, schließlich weiss sie mit Sonja Oberem („Leider
ist sie dieses Jahr nicht weiter gekommen“), Luminita Zaituc („Ich
glaube, sie wird noch weit kommen!“), Kathrin Weßel
(„Hochachtung, denn aus eigener Anschauung weiss ich, wie schwer es ist,
mit Kind die Kurve zu kriegen!“), Melanie Kraus oder Claudia Dreher
gestandene Marathonläuferinnen an der Spitze. „Im Nachwuchsbereich
ist leider nichts da! Aber darüber müssen sich eigentlich andere
Gedanken zu machen!“ Dafür macht sich Katrin Dörre-Heinig
Gedanken um Tochter Katharina, die behutsam im Schülertraining beim FSV
Erbach der Leichtathletik zugeführt wird. „Sie hat ein Faible
für Hochsprung. 1,31 m konnte ich früher nicht springen. Beim
Darmstadt-Cross haben wir erstmals festgestellt, dass sie wirklich Lauftalent
hat. Natürlich ist das für die Mutter ein stolzes Gefühl. Aber
wir wollen sie nicht zu zeitig zum Laufen bringen, denn es ist schon
verlockend, wenn auf Anhieb der Erfolg da ist!“
Wilfried Raatz
(aus LA 51-52/01)