Die Kontraste dieses Laufes könnten ausgeprägter nicht sein: Auf der
einen Seite die Großstadt Marseille, hektisch und lärmend, deren
durchaus vorhandener Charme sich zumindest dem Kurzzeitbesucher hartnäckig
verschließt. Auf der anderen Seite das malerische Hafenstädtchen
Cassis mit seinen verwinkelten Gassen, kleinen Cafés und
Fischrestaurants, das gerade im Spätherbst, wenn die Tourismus-Saison
vorüber ist, friedliche Ruhe ausstrahlt und zum Müßiggang
animiert. Dazwischen der Col de la Gineste, ein fast 400 Meter hohes
Bergmassiv, dessen ausgedehnter Pass schon in der Antike dem Fuhrweg zwischen
der Rhone-Niederung und den Küstenstädten des zentralen
Mittelmeerraumes die Bahn wies.
Heute verbindet beide Orte eine gut ausgebaute Straße, die
alljährlich Ende Oktober von 15 000 Läufern unter die Füße
genommen wird, was Marseille-Cassis mittlerweile zum Klassiker Nr. 1 unter den
französischen Laufveranstaltungen avancieren ließ. Startkarten sind
heiß begehrt, da wie bei einigen großen Stadtmarathons logistische
Gründe ein Teilnehmerlimit setzen, das der Nachfrage nicht gerecht werden
kann. Bereits bei der Premiere 1979 waren tausend Läufer am Start, und wer
sich heute nicht spätestens im Juni seine Startnummer sichert, kann sich
nur noch in die rund 2000 Wanderer einreihen, die am Vortag des Rennens auf
zwei abseits der Straße durch Pinienwälder und an den
fjordähnlichen Calanques entlang führenden Routen mit herrlichen
Ausblicken auf das Meer nach Cassis ziehen.
Der Lauf selbst schöpft seinen Reiz vor allem aus dem Streckenprofil,
das die 20,3 Kilometer von den Zeiten her mit einem Halbmarathon vergleichbar
macht. Seit Jahren schon jagen deshalb die zahlreich herbeiströmenden
Eliteläufer, von denen bei der diesjährigen 23. Auflage von
Marseille-Cassis allein zwei Dutzend aus Marokko, Algerien und Kenia dabei
waren, vergeblich dem Jackpot nach, der für eine Zeit unter einer Stunde
ausgelobt ist. Dabei erscheint die Strecke auf dem ersten Teil aus Marseille
heraus eher leicht. Vom Stade dOr (ehemals Vélodrome), der für die
Fußball-WM 1998 großzügig modernisierten Heimstatt des Clubs
Olympique, geht es auf breiter, schnurgerader Straße zunächst sacht
bergan. Genug Zeit für die Läufermassen, um sich nach dem gut
organisierten Blockstart so zu verteilen, dass auf der später schmaleren
Bergstraße Behinderungen ausbleiben. Nach dem fünften Kilometer wird
es plötzlich steil. Die nun folgenden, lang gestreckten Serpentinen halten
Kräfte zehrende Steigungen von bis zu zehn Prozent bereit, gestatten dem
Läufer im Pulk jedoch auch einen beeindruckenden Blick auf das schier
endlose Band der Mitstreiter - vom Ersten bis zum Letzten!
Die folgenden Kilometer sind durch ein welliges Profil geprägt. Wann
der höchste Punkt des Passes mit 320 Metern über dem Meeresspiegel
erreicht ist, erkennt man neben einem Verpflegungspunkt nur an der Stimmung
verbreitenden Band mit leicht bekleideten Samba-Tänzerinnen, die viele der
weniger ambitionierten Läufer zu einem kleinen Lockerungstänzchen
animieren.
Erst auf den letzten fünf Kilometern geht es wieder spürbar
bergab. Der verlockende Ausblick aus der Höhe auf Cassis und die
Schwerkraft ziehen die Läufer nun wie ein Magnet zum Ziel. Wer jedoch
schon beim Aufstieg zu viel Kraft gelassen hat, kann sich an den steilsten
Abschnitten nur mit Mühe auf den Beinen halten. Zwei kurze, giftige
Steigungen gilt es noch im Ort selbst zu überwinden, bevor die von
Tausenden Zuschauern eng gesäumte Hafenpromenade das nun wohl von jedem
ersehnte Spruchband mit der Aufschrift "Arrivé" erkennen
lässt.
Ergebnisse und weitere Informationen findet Ihr unter der Internetadresse
www.marseille-cassis.com