Der deutsche Marathonherbst zeigt sich von seiner schönsten Seite. Trotz
der immer dichter werdenden Marathon-Landkarte steigen die Teilnehmerzahlen
allen Ortes, zumeist im zweistelligen Bereich. Das weltweit führende
Laufmagazin „Runner’s World“ bezifferte die deutsche
Laufszene auf 16 Millionen Menschen, die mehr oder weniger
regelmäßig, in unterschiedlicher Intensität und
Streckenlänge joggen. Und Wettkämpfe bestreiten. Die meisten
bevorzugen die kürzeren Distanzen, viele davon aber stellen sich der
Herausforderung Marathon. Und es werden Jahr für Jahr mehr. Beim
Marktführer „real,- BERLIN-MARATHON“ wollten mehr als 35.000
Läufer ins attraktive Ziel unweit des Brandenburger Tores einzulaufen.
Beim „Ford Köln-Marathon“ schrieben sich für das erste
Oktober-Wochenende 18 000 Läufer ein, beim
„medien.marathon.münchen“ waren dies 10.400, die durch die
bayerische Landeshauptstadt laufen wollten. In Frankfurt erwarten die
Organisatoren zum Finale im deutschen Marathonherbst wiederum 10.000 Starter.
Aber es gibt nicht nur die Großen der Szene, die steigende
Teilnehmerzahlen zu verzeichnen haben. Auf der Ebene der mittleren und kleinen
Veranstalter kann der „Baden-Marathon“ in Karlsruhe auf 2.000, der
„Fränkische Schweiz-Marathon“ in Forchheim auf 1.200
Läufer verweisen. Der traditionsreiche Marathon „Rund um den
Baldeneysee“ in Essen blieb parallel zu München mit seiner 41.
Austragung ebenso in diesem Bereich.
Die Startfreudigkeit der deutschen Freizeit- und Hobbyläufer steht
allerdings im krassen Gegensatz zum Leistungsniveau. Während sich die
Finisherdichte längst in Richtung Vier-Stunden-Marke verschoben hat, weil
sich vorrangig die Einstellung zum leistungsorientierten Laufen zugunsten des
Spaßfaktors und des Erlebniswertes geändert hat, ist die
Leistungsspitze auffällig eingebrochen. Im Weltrekordrennen von Berlin von
Paul Tergat und dessen Pacemaker Sammy Korir landete der frühere 5000
m-Olympiaachte Jirka Arndt als 23. mit 2:16:28 Stunden im abgeschlagenen
Verfolgerfeld, als einziger der nationalen Elite. In Köln scheiterte der
als Mitfavorit gehandelte Carsten Eich an der auf 2:11:00 Stunden vom DLV
festgeschriebenen Olympianorm deutlich. Der Leipziger, als Deutscher Meister
über 10 km und auf der Halbmarathondistanz derzeit unser
Aushängeschild im Straßenlaufbereich, lief mit 2:15:28 als Neunter
ins Ziel am Roncalliplatz und schimpfte über die Doppelzüngigkeit der
Verbandsfunktionäre, ohne sich selbst und sein Leistungspotential kritisch
zu hinterfragen. In München gab es unter dem Aspekt der „local
hero“-Pflege ehedem kaum Interesse an Spitzenzeiten, sieht man einmal vom
gescheiterten Versuch des für Quelle Fürth startenden früheren
Marokkaners Habib Bukechab ab.
Bleibt noch eine letzte Möglichkeit zur Bilanzaufbesserung in
Frankfurt, wo mit Sebastian Bürklein einer der hoffnungsvollen
DLV-Läufer in Richtung Olympianorm laufen möchte. Wäre da nicht
mit Carsten Schütz auf dem Baldeney-Kurs in Essen ein Debütant dank
der tatkräftigen Mithilfe seines Wattenscheider Teamkollegen Bürklein
eine 2:14:56 Stundenzeit gelaufen. Derzeit sogar DLV-Jahresbestzeit.
Bei den Frauen ist die Lage ähnlich misslich, wenngleich nicht ganz so
hoffnungslos. Ulrike Maisch hat sich als WM-Zwanzigste in Paris nicht nur
medial in Szene gesetzt, sondern auch in einer Punktlandung in 2:31:21 Stunden
die Olympia-Anforderungen erbracht. Ein geplanter Start in Frankfurt muss aus
Verletzungsgründen ebenso ausfallen, wie der von der stets bei
internationalen Auftritten mit ansprechenden Leistungen aufwartenden Sonja
Oberem vor wenigen Wochen in Berlin. Andere Leistungsträger wie Melanie
Kraus und Claudia Dreher sind heuer durch Verletzungen nicht in Erscheinung
getreten, während bei Kathrin Weßel auf der Berliner Hausstrecke
lediglich 2:38:15 herauskamen. Im gleichen Leistungsbereich bewegt sich auch
nach Schwangerschaftspause Manuela Zipse, die in Köln hinter der
früheren Weltrekordlerin Tegla Loroupe mit 2:38:06 zumindest als Zweite
einlief. Einen Lichtblick lieferte die 22jährige Romy Spitzmüller in
Essen ab, die mit 2:34:55 Perspektiven aufzeigte.
Bliebe noch die EM-Zweite Luminita Zaituc. Die Braunschweigerin blickt
allerdings auch auf eine schwache WM-Saison zurück, die eher durch
Verletzungs-Zwangspausen geprägt ist als durch Leistungsnachweise. Mit der
Hypothek eines vorzeitigen Ausstiegs bei der Halbmarathon-WM in Vilamoura
versucht sie es allerdings noch einmal in Frankfurt, jenem Ort, an dem sie vor
zwei Jahren mit 2:26:01 Stunden ein sensationelles Marathondebüt gegeben
hatte.
Wilfried Raatz