Bei den ersten Bahnlauf-Entscheidungen der Leichtathletik-Weltmeisterschaften
in Edmonton, war nur ein einziger Deutscher im Finale. Doch Olympiasieger Nils
Schumann (LG Nike Berlin) hatte Pech, es war nicht sein Rennen. Auf Platz
fünf kam er ins Ziel und war zunächst derart enttäuscht, dass er
an sämtlichen Mikrofonen vorbeilief.
Erst nachdem der 23-Jährige im Zelt hinter dem Stadion seine Sachen
gepackt hatte, sagte er etwas: "Das war Mist!" Damit meinte Nils
Schumann den Verlauf des Rennens, bei dem wahrscheinlich schon nach 180 Metern
eine Vorentscheidung gegen ihn gefallen war. Zu diesem Zeitpunkt war der
Erfurter in der Innenbahn eingeklemmt und lag an siebenter Stelle. Vorne machte
währenddessen der Kenianer Wilfred Bungei Tempo und zog den großen
Favoriten André Bucher hinter sich her. "Ich war die ganze Zeit
eingeklemmt, und das Tempo war die ganze Zeit hoch. Ich kam da nicht raus. Und
mit einem Schritt zur Seite herausgehen und dann außen vorbeilaufen, das
geht bei diesem Tempo nicht", erklärte Nils Schumann. "Vorne
ging die Post ab, das habe ich gemerkt. Ich habe versucht zu kämpfen, aber
ich konnte nichts machen."
Ausgangs der Zielkurve lag Nils Schumann sogar an letzter Stelle. Dann erst
taten sich vor ihm Lücken auf, und der Olympiasieger stürmte immerhin
noch auf Rang fünf in 1:45,00 Minuten. Der neue Weltmeister war nach
1:43,70 im Ziel gewesen: Der Schweizer André Bucher, der bei den
Europameisterschaften 1998 sowie bei den Olympischen Spielen 2000 von Nils
Schumann im Spurt geschlagen worden war und insgesamt bei internationalen
Meisterschaften von fünf Silbermedaillen gesammelt hatte, hatte zum ersten
Mal einen großen Titel gewonnen. "Das ist für mich hier keine
Revanche für die Olympischen Spiele gewesen - dort hat damals der beste
gewonnen. Aber das hier war ein anderes Rennen. Und ich denke, Nils Schumann
hat mit seinem fünften Platz seine Stärke bewiesen",
erklärte André Bucher, der einen Titel längst verdient hatte.
Auch im Vorfeld von Olympia war er sehr stark gelaufen, dann jedoch in Sydney
ohne Medaille geblieben.
Dem Schweizer kam das zu Gute, was Schumann in dieser Saison fehlt: Er hat
einige harte Rennen in den Beinen, und er hatte sie alle gewonnen. Nach einem
guten Saisonauftakt in Hengelo hatte Schumann dagegen bis zum WM-Vorlauf kein
einziges Rennen mehr laufen können. Und seine Muskelverletzung im
Oberschenkel ließ auch die wichtigen Tempo-Trainingseinheiten lange Zeit
nicht zu. Dass sich seine Hoffnung auf ein etwas langsameres, taktisches Rennen
nicht erfüllte, lag in erster Linie am Vize-Weltmeister Wilfred Bungei aus
Kenia. "Bungei lief das perfekte Rennen für mich. Wir wollten beide
ein schnelles Tempo - und am Ende können wir beide froh sein", sagte
André Bucher. Nun war es Schumanns Pech, dass Bungei ausgerechnet bei
der WM ausprobierte, ein Rennen von der Spitze zu laufen. "Das habe ich
vorher nie gemacht, aber hier klappte es wunderbar", freute sich Wilfred
Bungei.
Jos Hermens nahm den fünften Platz von Schumann gelassen.
"Für die Planung ist das nicht schlecht - so glaubt er nicht, dass er
schon alles erreicht hat", sagte Schumanns Manager Hermens. Der
Holländer denkt schon weiter in die Zukunft: "Das ist gut für
die Weltmeisterschaften 2007 in Berlin!"
Wiederum eine Medaille verpasst hat die Britin Paula Radcliffe, die bereits
bei Olympia lange Zeit das 10.000-m-Rennen dominiert hatte. In Sydney wie auch
jetzt in Edmonton wurde sie Vierte. Dieses Mal wählte Radcliffe allerdings
eine andere Taktik, um ihre afrikanischen Gegnerinnen zu schlagen. Nach einer
verhaltenen 5-km-Durchgangszeit von 16:29,89 Minuten, wurde das Rennen langsam
schneller. Doch Radcliffe hielt sich zurück, um dann erst 1400 Meter vor
dem Ziel anzutreten. Doch sie wurde dieses Mal gleich drei Äthiopierinnen
nicht los. In einem dramatischen Finish siegte Derartu Tulu in 31:48,81 Minuten
vor ihrer Landsfrau Berhane Adere (31:48,85). Im Kampf um Platz drei gelang es
Radcliffe, etwa 250 Meter vor dem Ziel an Gete Wami vorbeizuziehen. Doch die
Äthiopierin konterte und überholte die Britin auf der Zielgeraden
noch ganz knapp. In 31:49,98 Minuten hatte Wami schließlich acht
Hundertstelsekunden Vorsprung vor Paula Radcliffe, die im nächsten Jahr in
London ihr Marathondebüt laufen wird. "Da das Tempo lange langsam
war, konnten wir alle drei die Medaillen unter uns ausmachen. Ich habe mich
über Paulas Taktik gewundert. Ich glaube es war nicht gut für sie,
erst so spät das Tempo zu forcieren", sagte Derartu Tulu, die im
April den London-Marathon gewonnen hatte.
Über 1500 m siegte Gabriela Szabo (Rumänien) in einem langen Spurt
in 4:00,57 Minuten gegen ihre Erzrivalin und Landsfrau Violeta Szekely
(4:01,70). "Dies ist meine erste Goldmedaille über 1500 Meter,
darüber bin ich natürlich froh. Ob ich auch noch die 5000 Meter
laufe, entscheide ich erst später", sagte Gabriela Szabo. Kathleen
Friedrich (Chemnitz) war im Halbfinale unglücklich gestolpert und hatte
deswegen keine Chance auf einen Endlaufplatz.