Maria Mutola hat die Goldmedaille gewonnen und zugleich einen Rekord
aufgestellt: Zum fünften Mal gewann sie den 800-m-WM-Titel in der Halle.
1993 war die inzwischen 30-jährige Läuferin aus Mosambique bei diesen
Titelkämpfen zum ersten Mal erfolgreich. Lediglich 1999 hieß seitdem
die Hallen-Weltmeisterin nicht Maria Mutola. Damals gewann die Tschechin
Ludmila Formanova knapp vor Mutola. Der fünfte Sieg von Birmingham war am
Ende deutlicher als erwartet. Maria Mutola siegte nach einem taktischen, aber
flotten Rennen in 1:58,94 Minuten vor Stephanie Graf (Österreich/1:59,39)
und Mayte Martínez. Die Spanierin sorgte mit der Winzigkeit von einer
Hundertstelsekunde Vorsprung in 1:59,53 Minuten überraschend dafür,
dass die Europameisterin und Hallen-Weltrekordlerin Jolanda Ceplak (Slowenien)
leer ausging.
“Es war ein schnelles Rennen, und ich wusste, dass ich mich
zunächst nur ranhängen musste“, erzählte Maria Mutola. Es
war die Britin Joanne Fenn, die mit einem ausgesprochen mutigen Rennen die
Führungsarbeit leistete und das Tempo hoch hielt. Die neue britische
Mittelstrecken-Hoffnung, die bis zum letzten Jahr ihre Sportart nur
halbprofessionell betrieb und mit einer Band als Sängerin auftrat und nun
ihre Landsleute in Birmingham begeisterte, führte vom Start weg bis fast
ins Ziel – aber eben nur fast. Nach schnellen 57,89 Sekunden waren die
ersten 400 Meter gelaufen. Hinter der 28-jährigen Britin liefen die drei
großen Favoritinnen Graf, Mutola und Ceplak. So war es auch noch kurz vor
der 700-m-Marke. Dann kam der Antritt von Maria Mutola, doch in der Kurve hielt
Fenn zunächst sogar noch gegen. Doch nach den letzten 50 Metern blieb ihr
schließlich nur Rang fünf. “Es tut mir leid für Joanne
– sie ist ein sehr gutes Rennen gelaufen und hätte eine Medaille
verdient. Mir war klar, dass mein guter Schlussspurt entscheidend sein
würde beim Kampf um den Sieg“, sagte Maria Mutola, die am Ende
ungefährdet war.
Konnte sie sich früher über Silbermedaillen nie so richtig freuen,
war es dieses Mal ganz anders bei Stephanie Graf. Nach einer langen
krankheitsbedingten Pause war der zweite Platz ein großer Erfolg für
die 29-Jährige. “Ich konnte erst seit vier Wochen schmerzfrei
trainieren. Mein Trainer hatte mir gesagt, es wäre gut, wenn ich das
Halbfinale erreichen würde und toll, wenn ich im Endlauf stehen
würde. Eine Medaille zu gewinnen, das ist jetzt einfach
fantastisch“, erklärte Stephanie Graf.
Acht Jahre nach ihrem zuvor einzigen großen Titelgewinn, wurde die
US-Amerikanerin Regina Jacobs in Birmingham nun zum zweiten Mal
Hallen-Weltmeisterin über 1500 m. Die 29-jährige Läuferin aus
Los Angeles gewann in der Meisterschafts-Rekordzeit von 4:01,67 Minuten vor der
Britin Kelly Holmes (4:02,66) und der Russin Jekaterina Rozenberg
(4:02,80).
Regina Jacobs ließ blieb cool, als es gleich nach dem Start eine
Überraschung gab. Die Russin Natalja Gorelowa setzte sich mit schnellem
Tempo vom Feld ab und hatte zunächst fast zehn Meter Vorsprung. Knapp zwei
Runden ging das so, dann schmolz der Vorsprung zusammen. Die Russin war
offenbar langsamer geworden, und dahinter hatte Regina Jacobs das Feld
herangeführt. Nach 500 Metern war Natalja Gorelowa eingeholt, doch auch an
der 800-m-Marke lag sie noch in Führung (2:08,80 Minuten). Am Ende aber
blieb ihr mit deutlichem Abstand nur Rang vier. An der Spitze entwickelte sich
nun ein Dreikampf zwischen Jacobs, Rozenberg und Holmes – in dieser
Reihenfolge ging es in die letzte Runde.
Um den Sieg ging es allerdings auf den letzten 200 Metern nicht mehr, zu
stark war Regina Jacobs an der Spitze. Spannender war der Kampf um die
Silbermedaille. Dabei nutzte Kelly Holmes gut 100 Meter vor dem Ziel eine
Lücke auf der Innenseite, um noch kurz vor der Kurve an Jekaterina
Rozenberg vorbei zu gehen.
“Die ist ein unglaublicher Erfolg für mich – es kann nicht
mehr besser werden. Ich kann es mit Worten nicht beschreiben. Ich danke meinem
Coach und meiner Familie für ihre Unterstützung“, erklärte
Regina Jacobs, die in dieser Saison den 1500-m-Weltrekord bereits auf 3:59,98
Minuten gedrückt hatte. An die Freiluftsaison wollte Regina Jacobs in der
Stunde des Triumphes noch nicht denken. “Jetzt will ich erst einmal nach
Hause fahren und viele Telefonate führen. Obwohl ich inzwischen schon eine
alte Dame bin, bin ich immer noch mit vollem Herzen dabei und das macht mich
stark.“
Überaus zufrieden war auch Kelly Holmes. “Ich wusste, dass ein
Rennen mit Regina Jacobs schnell werden würde – ich habe mich
einfach nur auf mich konzentriert“, erklärte die Engländerin,
die seit einiger Zeit in Südafrika zusammen mit Maria Mutola trainiert.
“Die Zeit, die ich hier gelaufen bin, ist fantastisch für
mich“, erklärte Kelly Holmes und fügte hinzu: “Wenn nun
ähnlich gute Resultate folgen, kann ich mir gar nicht vorstellen, wie gut
es für mich in Zukunft laufen wird.“
800-m-Sensationssieg von Krummenacker gegen Kipketer
Zum ersten Mal kommt ein 800-m-Hallenweltmeister aus den USA: David
Krummenacker sorgte für eine der größten Überraschungen
bei den Titelkämpfen von Birmingham. Der 27-jährige Amerikaner aus El
Paso besiegte den großen Favoriten und Weltrekordler Wilson Kipketer
(Dänemark) im Endspurt. 1:45,69 Minuten lief David Krummenacker, dessen
Mutter aus Deutschland stammt und dessen Vater aus Nigeria kommt, und
verbesserte seine Hallen-Bestleistung in Birmingham damit gleich um rund 1,5
Sekunden. 1:47,20 Minuten war David Krummenacker in dieser Saison gelaufen,
schneller war er nie zuvor in der Halle. Wilson Kipketer blieb wie bei der
Hallen-WM 1999, als der Südafrikaner Johan Botha ihn im Endspurt um zwei
Hundertstelsekunden geschlagen hatte, nur die Silbermedaille. 1:45,87 Minuten
lief Kipketer, mit 1:46,54 gewann Wilfred Bungei (Kenia) Bronze. Nicht am Start
bei einem internationalen Höhepunkt war wieder einmal Juri Borsakowski.
Der Russe führt die Jahresweltbestenliste mit 1:44,34 Minuten an.
“Für mich ist ein Traum wahr geworden. Das ist der
größte Erfolg meiner Karriere, heute passte einfach alles
zusammen“, erklärte David Krummenacker, der im vergangenen Sommer
allerdings schon auf sich aufmerksam gemacht hatte. Da verbesserte sich der
Amerikaner auf 1:43,92 Minuten. Bei der WM in Edmonton war er im Jahr zuvor im
Halbfinale hängen geblieben. “Es gibt in den USA inzwischen eine
neue Generation von sehr guten Mittelstreckenläufern, einige junge Leute
stehen auf der Schwelle“, erzählte David Krummenacker und fügte
hinzu: “Das war jetzt vielleicht der Durchbruch, den wir gebraucht haben.
Vielleicht können wir nun anknüpfen an die Zeiten eines Johnny
Gray.“
David Krummenacker zeigte ein beeindruckendes Rennen. Er war es selbst, der
zunächst die Führung übernahm. Nach 200 Metern übernahm
Wilfred Bungei die Spitze, gefolgt von Wilson Kipketer. Bungei, Kipketer,
Krummenacker und der am Ende knapp an der Bronzemedaille vorbeilaufende Spanier
Antonio Manuel Reina – so war auch die Reihenfolge nach der Hälfte
des Rennens (52,93 Sekunden). Als die letzte Runde eingeläutet wurde, sah
es nach business as usual aus. Wilson Kipketer trat an und übernahm die
Führung – doch auf dem Weg zur erwarteten Goldmedaille wurde er
einen nicht los: David Krummenacker. “Ich war überrascht, denn ich
dachte mir: auf den letzten 150 Metern kann dir sowie niemand mehr folgen
– aber da habe ich einen Fehler gemacht. In Paris werde ich es anders
machen. Ich werde gut trainieren und zurückkommen“, erzählte
Wilson Kipketer später. Auf den letzten Metern griff David Krummenacker
noch einmal an und überholte sensationell den für Dänemark
startenden, aus Kenia stammenden Athleten. “Ich gratuliere David zu
seinem großen Lauf“, sagte Wilson Kipketer. Dann wurde der
32-Jährige, der in den letzten Jahren eine Reihe von gesundheitlichen
Rückschlägen verkraften musste und trotzdem zurückgekommen ist,
fast schon melancholisch: “Das Leben steckt voller Überraschungen,
aber es geht weiter.“ Die gute Laune hatte Wilson Kipketer trotz der
Niederlage nicht verloren. Weil bei der Pressekonferenz nur ein paar
Journalisten anwesend waren, weil in der Halle die nächsten Entscheidungen
fielen, setzte sich Wilson Kipketer ins Auditorium, um selbst den Sieger zu
interviewen: “Es ist ja keiner da“, sagte Kipketer.
Für einen war der Sieg von Krummenacker keine große
Überraschung: “Ich war nicht überrascht, dass David noch von
hinten durchkam“, erklärte Wilfred Bungei, “denn es war diese
Art von Rennen, die jeder gewinnen kann.“ ,Jeder ist wohl auch aus Sicht
eines Kenianers etwas übertrieben. Bungei selbst zählte schon mal
nicht zu diesen Kandidaten. “Auf den letzten 200 Metern bin ich ein
bisschen gestorben“, gab der Kenianer zu, um sich gleich danach wieder
ins Gespräch zu bringen: “Im Hinblick auf die WM in Paris kann ich
nichts ausschließen.“
Dieser Mann wurde gefeiert fast wie ein britischer Sieger: Haile
Gebrselassie ist in Birmingham ein Star. Bei dem hochklassigen Hallenmeeting
hat er in der Vergangenheit immer wieder für hervorragende Ergebnisse
gesorgt. 1999 hat der Äthiopier in der National Indoor Arena seinen
5000-m-Weltrekord aufgestellt. Die Engländer dankten es ihm mit ihrer
Unterstützung beim Hallen-WM-Endlauf über 3000 Meter. Als der
entscheidende Antritt kam, tobten die Zuschauer. Nach 7:40,97 Minuten war Haile
Gebrselassie zum dritten Mal nach 1997 und 99 Hallen-Weltmeister über 3000
Meter. Zweiter wurde der schon im Vorfeld als schärfster Konkurrent
gehandelte Spanier Alberto García, Rang drei ging an den Kenianer Luke
Kipkosgei.
“Ich war jetzt schon so oft hier in Birmingham, das ist fast schon
eine Heimatstadt für mich. Deswegen wollte ich hier auf keinen Fall
verlieren, obwohl ich wusste, dass Garcia sehr stark sein würde. Er war
mein großer Rivale an diesem Tag“, erzählte Haile Gebrselassie
nach seinem Sieg. Vorsichtig dem Gewühl aus dem Weg gehend, hatte sich der
29-Jährige zunächst weiter hinten eingeordnet, um dann jedoch flink
außen an der Konkurrenz vorbei zu laufen. Auf Platz zwei sortierte sich
Haile Gebrselassie wieder ein. Die beiden Marokkaner Abderrahim Goumri und
Jaouad Gharib, die am Ende aber mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun
hatten, sowie die zwei Kenianer Luke Kipkosgei und Leonard Mucheru bestimmten
abwechselnd das Tempo.
700 Meter vor Schluss kam dann der Antritt des Spaniers. Doch wurde Haile
Gebrselassie nicht los. Und hinter ihm folgte mit Abiyote Abate der zweite
Äthiopier. Die beiden Kenianer und der Holländer Gert-Jan Liefers
waren ebenfalls noch dabei, bevor Haile Gebrselassie ernst machte. 300 Meter
vor Schluss ging er nach vorne, Garcia konnte zunächst noch folgen, doch
auf den letzten 100 Metern ging ihm die Kraft aus gegen Gebrselassies Endspurt.
Der Äthiopier hat damit wieder einen Titel gewonnen, nachdem er 2002 zum
ersten Mal seit über zehn Jahren ohne geblieben war. Das hing freilich mit
der Verletzung zusammen, die ihn in der Folge des London-Marathons gestoppt
hatte. Haile Gebrselassie ist also wieder da.
“Es ist unmöglich, Haile Gebrselassie zu schlagen“,
erklärte Alberto Garcia später. “Er ist die Nummer eins und
mein Idol. Alleine schon so dicht an ihm dran gewesen zu sein, ist fantastisch
für mich. Ich habe gekämpft und bin sehr zufrieden mit meinem
Resultat.“ Weniger zufrieden war dagegen Luke Kipkosgei. Der Kenianer
fühlte sich vom Holländer Liefers behindert. “Zweimal hat er
mich mit seinen Spikes erwischt. Es wurde ziemlich viel geschubst. Eigentlich
war ich bereit für einen Endspurt gegen Haile, aber ich wurde so viel hin-
und hergeschoben, dass ich gar nicht erst an Haile herankam, bevor es
losging“, ärgerte sich der Kenianer. “Ich bin froh über
die Medaille, aber wer weiß, was möglich gewesen
wäre.“