In der Beilage zum BERLIN-MARATHON 2004 hat die „Berliner Zeitung“
meine alten Brütting-Laufschuhe abgebildet. Für einen Beitrag
über die Entwicklung des Laufschuhs hatte sich die Redaktion an das
Sportmuseum Berlin gewandt. Dort sind der EB Lydiard Road Runner und der EB
Marathon im Magazin. Beide Paare der ersten spezifischen Langlaufschuhe habe
ich vor einigen Jahren dem Berliner Sportmuseum geschenkt. Denn was
geschähe mit solchen Hinterlassenschaften alter Läufer? Die Erben
finden unter allen möglichen Lauf-Devotionalien auch abgerissene
Laufschuhe; wer will die noch tragen? Ab in den Container! Auf diese Weise wird
Sportgeschichte entsorgt, und später weiß keiner mehr richtig, wie
es war, und einer schreibt vom anderen ab, wie es gewesen sein könnte.
DIE ENTWICKLUNG DOKUMENTIEREN
Ursprünglich hatte ich vor, in Bad Arolsen ein Laufmuseum zu
begründen; eine Ausstellung während einer Ausdauersportwoche mit
Stellwänden – und den EB-Schuhen in der Vitrine – sollte den
Kernbestand bilden. Zum Glück kam es anders; für uns reichlich
blauäugige Initiatoren wäre die Last einer Dokumentation der
Laufgeschichte bei weitem zu schwer gewesen. Vor zehn Jahren trug die
internationale Vereinigung der Marathon-Veranstalter, die Association of
International Marathons and Road Races (AIMS), dank der Vermittlung ihres
Direktoriumsmitglieds Horst Milde dem Sportmuseum Berlin an, als „AIMS
Marathon-Museum of Running“ zu fungieren und damit die Entwicklung des
Langstreckenlaufs zu dokumentieren. Zwar war es im Grunde damals auch dem
Sportmuseum Berlin unmöglich, diese Aufgabe zu schultern; aber hier, an
traditionsreichem Ort und am Austragungsort eines der wichtigsten und
größten City-Marathons der Welt, stimmten die Voraussetzungen.
Der Sport hat es in der Museumslandschaft überaus schwer. Für
alles Mögliche gibt es ein Museum, und nicht einmal eine Systematisierung
kann vollständig sein. Jeder größere Ort hat sein Heimatmuseum,
und so mancher Kulturbürgermeister betreibt auf Kosten der Steuerzahler
seine lokale Galerie. Wir haben unzählige Technik-, Auto- und
Motorradmuseen, naturkundliche und historische Sammlungen, ein Zucker-, ein
Schokoladenmuseum und viele Weinmuseen, wir haben museale Folterstätten
und skurrile Sammlungen wie die von Nachttöpfen. Der Sport hängt
zwischen allem. Entrüstet wendet sich die „Kultur“ von
verschwitzt gewesenen Sportlerleibchen als Museumsobjekten ab. Kunstbetrieb und
Lebenswirklichkeit klaffen auseinander. Im Sport hingegen dominieren die
messbaren Werte. Kultur wird dabei oftmals nur als Alibi-Funktion wahrgenommen.
Diese Problematik zeigte sich schon sehr früh.
Historischer Laufschuh vom real,- BERLIN-MARATHON - Naoko Takahashi war die
erste Frau, die im Marathon die Barriere von 2:20 h durchbrach
Insbesondere auf Betreiben von Erich Mindt, dem Gründer des
ältesten deutschen Boxsportvereins, kam es 1924/25 zum Aufbau eines
Museums für Leibesübungen in Berlin, des ersten Sportmuseums der
Welt. Vor dem hatten in Deutschland mehrere Sportausstellungen stattgefunden,
auch bei den Hygieneausstellungen spielten Leibesübungen eine Rolle, und
1895 war in Freyburg an der Unstrut das Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum
eröffnet worden.
Eine ausführliche Darstellung der Sportmuseumsbestrebungen in
Deutschland findet sich in den von Martina Behrendt und Gerd Steins redigierten
„Sporthistorischen Blättern“ Nr. 7/8: „Sport(geschichte)
in Museen und Archiven“. An die Berliner Gründung im Ephraim-Palais
im Nikolaiviertel erinnert seit 1994 eine Gedenktafel. Das Museum war
zunächst im Alten Berliner Schloss am Lustgarten untergebracht und wurde
dann in das so genannte Architektenhaus verlegt. Den Nazis war das junge Museum
wegen der Kontakte zur Arbeitersportbewegung und der Tatsache, dass dem
Förderverein Juden angehörten, reichlich suspekt. Es wurde zu einer
der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglichen Studiensammlung der
Universität herabgestuft. Erich Mindts Eintritt in die NSDAP, aus der er
später am liebsten ausgetreten wäre, konnte daran nichts ändern.
Im Krieg wurden die Museumsbestände größtenteils zerstört
und Erich Mindt, der nach der Ausbombung mit seiner Familie Zuflucht im
Oderbruch gesucht hatte, von einem sowjetischen Soldaten ermordet.
Porzellanteller anlässlich des ersten City-Marathons in Berlin
1981
Erst 1970 gelang es engagierten Sportveteranen in Ostberlin, wieder ein
Sporthistorisches Kabinett zu gründen. Mitte der achtziger Jahre wurde ein
zentrales Sportmuseum der DDR angestrebt. Im Westteil versuchte das 1976
gebildete „Forum für Sportgeschichte“, an die Tradition des
zerschlagenen Museums für Leibesübungen anzuknüpfen. Beide
Institutionen wurden 1990 zum Sportmuseum Berlin zusammengelegt, dem dann
prompt die „Abwicklung“ drohte.
Nachdem das Sportmuseum der Stiftung Stadtmuseum unterstellt worden war,
konnte es, wenn auch um den Preis der Abhängigkeit, als Regionalmuseum
für den Sport in Berlin und Brandenburg erhalten werden. Solche
Regionalmuseen gibt es in Leipzig (seit 1977), wo die 80.000 Objekte des
DDR-Sports nach der Wiedervereinigung schleunigst in den Keller verbannt
wurden, und, was man nur mit äußerster Mühe wahrnehmen kann, in
Frankfurt am Main; unter den anderen sporthistorischen Initiativen in den
Bundesländern hat sich das Niedersächsische Institut für
Sportgeschichte zu Hoya einen guten Namen erworben.
EIN MUSEUMSKONZEPT
Sportpolitisch war offenbar gewollt, dass Köln, wo 1982 ein
einschlägiger Verein gegründet wurde, der Sitz eines zentralen
Sportmuseums, des 1999 eröffneten Deutschen Sport- und Olympiamuseums,
werden sollte. Die beim Schokoladenmuseum in der Lagerhalle 10 des
Rheinauhafens eingerichtete Präsentation muss jedoch Läufer
enttäuschen. Die Laufbewegung, die stärkste Sportbewegung, die
Deutschland ebenso wie andere Länder jemals hervorgebracht hat, kommt hier
schlicht nicht vor (mein Besuch liegt vier Jahre zurück). Ein Paar
Boxhandschuhe sind museumsdidaktisch wichtiger als ein Paar Laufschuhe
angesehen worden. Nach meinem Geschmack ist der Sport in der Dauerausstellung
viel zu sehr personalisiert worden. Offenbar haben auch andere Besucher an dem
Kölner Museumskonzept Kritik geübt.
Beispiele historischer Aufnahmen denkwürdiger Sportereignisse
Mit der Übertragung der Aufgabe eines „AIMS-Marathon Museums of
Running“ auf das Sportmuseum Berlin hat dieses für die Laufbewegung
zentrale Bedeutung erlangt. Auch Sportarten, die für die Gesellschaft
weniger relevant sind, haben ihr eigenes Spezialmuseum, zum Beispiel das
Rugby-Museum in Heidelberg oder das Boxsport-Museum in Sagard auf
Rügen.
Freilich, ins öffentliche Bewusstsein hat es das Sportmuseum Berlin
wohl nicht geschafft. Daran sah es sich vor allem durch den Mangel an einer
Ausstellungsfläche gehindert. Erst jetzt geht die Zeit der Provisorien
zuende. Der Anfang war damit gemacht worden, dass das Sportmuseum 1997 in das
Deutsche Sportforum ziehen konnte, das drei Jahre zuvor von den britischen
Alliierten freigegeben worden war, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an
dem bereits 1930 der Schöpfer des Olympiageländes, Werner March,
einen Neubau für das Museum für Leibesübungen vorgesehen
hatte.
Noch immer sind allerdings Museumsobjekte in zwei Außendepots
gelagert. In den nächsten Wochen jedoch wird sich der letzte der 15
Umzüge seit 1990 vollziehen. Im Schwimmhaus in der Nachbarschaft sind
Erdgeschoss und Untergeschoss für Arbeits- und Depoträume ausgebaut
worden; der gesamte Museumsbestand kann nun zusammengeführt und die
wertvolle Negativsammlung .des Sportfotografen Heinrich von der Becke
klimatisiert untergebracht werden. Noch immer fehlt freilich die Fläche
für eine ständige Ausstellung, also gerade das, was ein Museum vor
allem ausmacht. Hier ist jedoch ein Synergieeffekt durch Hertha BSC zu
erwarten. Der Verein, der im Deutschen Sportforum seine Geschäftsstelle
unterhält, möchte bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006 ein
Vereinsmuseum einrichten. Für Ausstellungszwecke bieten sich die drei
nicht mehr normgerechten Turnhallen der ehemaligen Deutschen Turnschule im
Sportforum an. Die Hälfte davon, etwa 2500 Quadratmeter, könnte dem
Sportmuseum Berlin dienen. Dann, mit der ständigen Ausstellung, würde
auch eine Abteilung „AIMS“ eingerichtet und der Laufsport
angemessen repräsentiert werden. Die laufenden Kosten der Ausstellung, so
hofft Martina Behrendt, die Leiterin des Sportmuseums Berlin, könnten
durch Eintrittskarten, möglicherweise ein Kombiticket für die
Besichtigung des Stadions und des Museums, refinanziert werden; eine
jährliche Besucherzahl von 100.000 scheint realistisch zu sein.
Schließlich ist das restaurierte Olympiastadion seit dem 1. August bis
zum BERLIN-MARATHON Ende September bereits von 50:000 Menschen besucht
worden.
Für das gesamte Gelände ist nun der Weg gebahnt; im Juni hat die
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport ein Leitkonzept für
das Olympiagelände verabschiedet. Das Deutsche Sportforum, während
der Nazizeit und danach „Reichssportfeld“, wird fortan als
Olympiapark Berlin wirtschaftlich und touristisch vermarktet. Der Boxpromoter
Sauerland und der American Football Club „Berlin Thunder“ haben
beispielsweise ihren Sitz hierher verlagert. Nach dem Leitkonzept wird dem
Gesamtensemble eine besondere historische, landschaftliche und architektonische
Bedeutung zugemessen. Ein öffentlich zugängliches Sportmuseum
fände damit sein optimales Ambiente. Für die weitere Entwicklung
sollten wir uns aufgerufen fühlen, dem „AIMS Marathon Museum of
Running“ Exponate und Archivalien zu überlassen.
Die Ausschreibung zum 1. Schwarzwaldmarathon zum Beispiel dokumentiert, dass
1968 zum ersten Mal auf der Welt ganz offiziell Frauen Marathon laufen durften.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass scheinbar belanglose Objekte bereits innerhalb
einer einzigen Generation museumswürdig werden können.
Werner Sonntag
In den USA gibt es die Distance Running Hall of Fame, die in der Tradition
anderer Halls of Fame 1998 in Uticah (Staat New York) gegründet wurde.
Solche „Ruhmeshallen“ gibt es schon länger für American
Football, Baseball, Eishockey, aber auch für Rock ’n’
Roll.
www.RUNNERSWORLD.de
Werner Sonntag sei Dank
Werner Sonntag sei gedankt, dass er in RUNNERS WORLD 12/2004 auf das
Sportmuseum Berlin hinweist. Tatsächlich wurde am 6./7. Dezember 1994 beim
9. Weltkongress von AIMS in Macau (Association of International Marathons and
Road Races) beschlossen dem Sportmuseum Berlin diesen Titel zu verleihen und
eine bewährte Institution für die Dokumentation des weltweiten
Laufsports zu beauftragen. Die großen Läufe weltweit übersenden
ihr Material nach Berlin und bereichern so die schon umfangreiche Sammlung des
Museums auf dem Gebiet des Laufsports – aber auch alle andere Sportarten
und Disziplinen finden hier ihr zu Hause.
Die Sammlung von Sportmaterialien – und die Dokumentation - auf dem
Gebiet des Sports ist ein ziemlich schwieriges „Geschäft“.
Kein Aktiver, Athlet oder Funktionär – der im vollen Sportleben
steht - versteht es, wenn er angesprochen wird, abgelegte Sportsachen,
Urkunden, Medaillen, Bilder u.s.w. für ein Sportmuseum
abzugeben.
Viele Sportler führen über ihr Sportleben oft pedantisch und
systematisch Tagebuch und sammeln alles, ganze Keller sind voll mit
tonnenschweren erkämpften Medaillen, Abzeichen, Bierkrügen, Tellern,
Wimpeln, Urkunden, Bildern, Laufschuhen u.s.w. (je nach Sportart ließe
sich das fortsetzen), aber keiner kommt auf die Idee, derartige Archivalien
einem Sportmuseum zu überlassen, zu schenken oder leihweise zu
übergeben.
Aufheben - und dem Sportmuseum Berlin
überlassen
Spätestens wenn ein gewisses Alter erreicht ist, verstaubt alles, wird
vergessen – und wenn der Sportler verstirbt, verschwindet alles in der
Mülltonne.
Das ist keine Phantasie, sondern leider tagtäglich erlebte
Geschichte. Der Sport entsorgt seine eigene Geschichte – und keiner merkt
es oder macht sich Gedanken darüber.
Beim Sportmuseum Berlin wird allerdings seit Jahren durch einige
Unentwegte(“Verrückte“) gesammelt, „was das Zeug
hält“.
Von den unzähligen Werbefahrten des real,- BERLIN-MARATHON in den
letzten Jahrzehnten im In- und Ausland kehren die Werber oft mit mehr Material
zurück, als sie mitgenommen haben, denn der offizielle Auftrag des Race
Director des BERLIN-MARATHON lautete:
„Alles mitbringen von den Sport- und Marathonmessen, was nicht niet- und
nagelfest ist“ – und so findet sich manch völlig unbekannter
Lauf im Sportmuseum Berlin wieder, der seine Ausschreibung auf irgendeinen
Tisch abgelegt hatte.
Vieles könnte hier noch thematisch angefügt werden, was im
letzten Augenblick vor der Müllabfuhr gerettet wurde, so der INhalt von
Kellern von verstorbenen Athleten mit wichtigen Archivalien, die Dokumentation
der Sportredaktion einer Zeitung ... ... und, und, und ...landete im
Sportmuseum.
Sensibilisieren
Mit diesem Beitrag soll zumindest der Anfang gemacht werden, alle diejenigen zu
sensibilisieren, die mit Sport aktiv oder passiv zu tun haben, ihre Dokumente
nicht einfach in die Mülltonnen zu werden, damit schmeißt man seine
eigene Sport-Geschichte in die Vergessenheit.
Horst Milde
Wir werden weiter an diesem wichtigen Thema dranbleiben, berichten und
informieren.
Wer sich direkt mit dem Sportmuseum Berlin in Verbindung setzen will, wichtige
Sportmaterialien zur Verfügung stellen will, damit sie der Nachwelt
erhalten bleiben:
Sportmuseum Berlin
AIMS Marathon-Museum of Running
Deutsches Sportforum
Hanns-Braun-Straße
14053 Berlin
Tel.: 030 / 305 83 00
Fax: 030/ 305 83 40
sportmuseum.berlin@t-online.de
Horst Milde
Weitere Beiträge zum/vom Sportmuseum Berlin:
35.000 Läufer als Künstler - alle hinterließen ihre Spuren -
Ausstellungseröffnung in der Galerie
www.real-berlin-marathon.com/news/show/002460
100 Jahre Berliner Leichtathletik-Verband
Schon 1908 fanden in Berlin eine Reihe von hochkarätigen Veranstaltungen
statt
www.real-berlin-marathon.com/news/show/002115
Als der Kaiser Grünes Licht gab
Aus der frühen Geschichte der Straßenläufe in Berlin
100 Jahre Berliner Leichtathletik-Verband
www.real-berlin-marathon.com/news/show/001926
Kathrin Weßel und Ulrike Bruns bei der Zweiten Runners
Party im Marathon-Hotel Holiday Inn Berlin-Esplanade
Etwa 300 Läuferinnen und Läufer zur Zweiten Runners Party im
traditionellen Athleten Hotel des real,- BERLIN-MARATHON
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000842
Zweite RUNNERSPARTY im Marathonhotel
Am Freitag, den 31. Mai 2002 ab 18.00 Uhr
Ehrung der Laufheroen
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000834
Die RUNNERSPARTY - ein Erfolg!
DIE VERSPÄTETE KOLUMNE ZUM MITTWOCH
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000490
RUNNERSPARTY im Marathonhotel
Laufheroen beim Gala-Diner
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000483
Sind Läufer Sammler?
DIE KOLUMNE ZUM MITTWOCH
Der Mensch als Jäger und Sammler ...
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000463
Internationales Laufsport-Museum in Berlin im Aufbau
DIE KOLUMNE ZUM MITTWOCH
Gerd Steins für das Sportmuseum Berlin,
Das AIMS-Marathon Museum of Running:
www.real-berlin-marathon.com/news/show/000458
Museum auf dem Abstellgleis? (k)eine Zukunft für das Sportmuseum
Berlin?
Einladung zur Podiumsdiskussion