Der Bursche ist gerade neunzehn – und der erste Läufer, dem bei
Cross-Weltmeisterschaften ein klassisches Double gelang. Nach einem
überzeugenden Sieg am ersten Tag auf der über 4 228 m langen
Mittelstrecke gelang Kenenisa Bekele auf der durch die Regenfälle der
Nacht weiter aufgeweichten 12 000 m-Langstrecke das Husarenstück, in dem
er nach einem begeisternden Duell den Tansanier John Yuda und die favorisierten
Kenianer um 5000 m-Weltmeister Richard Limo und 10 000 m-Weltmeister Charles
Kamathi in die Schranken weisen konnte. Wächst mit dem jungen
Äthiopier ein neuer Haile Gebrselassie heran? Diese Frage drängt sich
zwangsläufig auf, schließlich ist der „Altmeister“ sein
Vorbild und Berater. „Ich traf Haile vor zwei Jahren in Europa. Er
verriet mir einiges über Renntaktik. Zuhause lebe ich nur fünfzig
Kilometer von ihm entfernt nahe Addis und sehe ihn sehr oft“, gestand der
neue Champion, der wie sein großes Vorbild Gebrselassie vom Management
des Holländers Jos Hermens betreut wird.
Nach seinem beeindruckenden Erfolg gegen den Kenianer Luke Kipkosgei wollte
sich Kenenisa Bekele nicht lange mit Feiern und Lobgesängen aufhalten,
sondern bestätigte ohne Umschweife seinen zweiten Start am Sonntagmittag
im morastigen Grasgelände von Leopardstown. Und dieser sollte zum
Highlight seiner bisherigen Karriere werden, wenngleich diese schon bei den
vorjährigen Cross-Weltmeisterschaften furios begann. Denn der damals
18jährige holte Silber auf der Männer-Kurzstrecke hinter Enock Koech,
der heuer wegen eines Epilepsie-Anfalls absagen musste – und
standesgemäß für seine Altersklasse die Juniorenwertung mit
dreiunddreißig (!) Sekunden Vorsprung, dem bislang größten
Vorsprung eines Cross-Weltmeisters.
Die Selbstsicherheit Bekeles überrascht. Doch sie ist begründet,
schließlich gewann das große Talent vor drei Wochen das
berühmte Crossrennen „Cinque Mulini“ nahe Mailand vor dem
letztjährigen Cross-WM-Dritten Kamathi und seinem Landsmann, dem 10 000
m-WM-Zweiten Assefa Mezgebu. Und wurde nur einmal in der Cross-Saison bislang
bezwungen – und dies schaffte im Dezember alleine sein Vorbild
Gebrselassie. Als auf der Sechs-Runden-Distanz in Leopoldstown alleine noch
Yuda und Bekele die Spitze bildeten, lief der junge Äthiopier mit einer
frappierenden Lockerheit hinterher wie im flotten Trainingslauf. „Ich
wusste, dass Yuda sehr stark ist. Ich bin schon öfters auf ihn getroffen.
Deshalb war mir klar, dass er ein hohes Tempo gehen wird. Deshalb habe ich mich
an ihn gehalten und dann versucht, ihm im Spurt zu schlagen!“ Ein
einfaches, aber treffsicheres Erfolgskonzept.
Als es in die Schlussrunde ging, waren sie alle bereits geschlagen wie die
vermeindlichen Favoriten aus Kenia, Richard Limo oder Charles Kamathi. Oder
bereits aus dem Rennen wie der zweifache Cross-Weltmeister Mohammed Mourhit
oder der Cross-WM-Zweite und Europameister Sergiy Lebid. Mit dem Einläuten
der Schlussrunde startete der neue Langstreckenstar durch – und um den
beherzt laufenden Halbmarathon-WM-Dritten John Yuda war es geschehen. Und mit
diesen beiden Husarenstreichen um 68.000 US-Dollar reicher. Auf die Frage, was
er denn mit dem Vermögen anfangen wolle, antwortete er zunächst
reserviert: „Erst werde ich einmal warten, bis ich dieses Geld habe und
dann werde ich sehen“, dann aber lachend weiter, „aber ich werde
mir wohl ein Auto kaufen....“
Wilfried Raatz