Seit Jahren dominieren afrikanische Langstreckenläufer das Geschehen bei
Weltmeisterschaften, egal ob auf der Bahn, bei Straßenrennen oder auch im
Crosslauf. Doch kein Gesicht hat sich bei europäischen
Leichtathletik-Zuschauern derart eingeprägt wie das von Haile
Gebrselassie. Der kleine Äthiopier gilt inzwischen als der wohl
größte Langstreckenläufer aller Zeiten. Ein Jahrzehnt lang hat
er das Geschehen auf den Bahn-Langstrecken dominiert und dabei 17 Weltrekorde
aufgestellt. Mit seinem immer freundlichen Auftreten und einem verglichen mit
anderen afrikanischen Läufern sehr gutem Englisch hat er viele Sympathien
gewonnen und ist zu einer Integrationsfigur geworden. So bekannt ist sein
Gesicht, dass der Sportartikelhersteller Adidas ihn und keinen
europäischen Läufer als Werbefigur nutzt.
Nur selten war es im vergangenen Jahrzehnt einem Kenianer gelungen, Haile
Gebrselassie zu schlagen. Doch im letzten Jahr verlor der 30-Jährige nicht
nur gegen Kenianer sondern gleich dreimal gegen einen Landsmann: Kenenisa
Bekele. Der 21-Jährige besiegte sein großes Vorbild zunächst
bei einem 10.000-m-Rennen in Hengelo, dann über 5000 m in Rom und
schließlich im WM-Finale von Paris über 10.000 m. Doch schon nach
dem ersten Triumph in Hengelo wurde Bekele als Gebrselassies Nachfolger
gefeiert. „Du kannst nicht die ganze Welt für immer
kontrollieren“, sagte Haile Gebrselassie, der seinen knapp zehn Jahre
jüngeren Landsmann auch schon selbst als seinen Nachfolger bezeichnet
hat.
Erst 21 Jahre alt, hat auch Kenenisa Bekele bereits
Leichtathletik-Geschichte geschrieben. 2002 gewann er bei den
Cross-Weltmeisterschaften binnen zwei Tagen sowohl den Titel über die
Mittel- als auch über die Langstrecke. Kein anderer Läufer hatte dies
zuvor geschafft. Im vergangenen Jahr wiederholte Bekele diesen Doppeltriumph.
Und an diesem Wochenende tritt er in Brüssel zur Titelverteidigung an,
wobei es angesichts der sehr starken Konkurrenz noch nicht sicher ist, ob er
tatsächlich wieder über beide Strecken laufen wird. „Ich hoffe,
er läuft nur eine Strecke“, sagt sein Manager Jos Hermens. Der
Holländer, der auch Haile Gebrselassie betreut, fügt erklärend
hinzu: „Die Olympischen Spiele und die Vorbereitung darauf stehen in
diesem Jahr absolut im Mittelpunkt, deswegen habe ich ihm von einem Doppelstart
abgeraten. Aber ich weiß, dass der äthiopische Verband versucht, ihn
von zwei Starts zu überzeugen.“
Eigentlich wollte Hermens aufgrund des olympischen Jahres Bekele auch davon
abbringen, in der Halle an den Start zu gehen. Doch es ist ihm nicht gelungen.
„Das ist Problem ist, dass Kenenisa absolut auf Haile fokussiert ist. Er
will sein Vorbild schlagen“, erklärt Hermens. Zwar kam es in der
Hallensaison nicht zum direkten Aufeinandertreffen der beiden Äthiopier,
doch in Birmingham schaute Gebrselassie zu, wie Bekele seinen
5.000-m-Weltrekord brach und auf 12:49,60 Minuten verbesserte.
Anschließend versuchte sich Gebrselassie vergeblich an seinem eigenen
Weltrekord über zwei Meilen. Im Gegensatz zu Bekele, der nur Hailes
Erfolge im Kopf hat, denkt Gebrselassie anders. „Er findet es toll, wie
sich Kenenisa entwickelt. Aber er sieht mehr seine gesamte Karriere und seine
Zukunft. Haile wird nach den Olympischen Spielen auf die Halbmarathon- und
Marathondistanz wechseln“, sagt Jos Hermens. „Aber vorher
möchte Haile noch zum dritten Mal in Folge Olympiasieger über 10.000
Meter werden.“ Das wird schwer, denn da steht Kenenisa Bekele im Weg.
„Haile weiß, dass es nicht einfach wird, aber er ist noch
längst nicht abgeschrieben“, sagt Jos Hermens.
Bei der Cross-WM geht Haile Gebrselassie nicht an den Start. Und auch sonst
versucht Jos Hermens, ein Duell zu vermeiden. Vor Olympia wird dies kaum mehr
der Fall sein, obwohl es für beide ein großes Geschäft
wäre. Startgagen im sechsstelligen Dollarbereich hält Hermens
für möglich. „Aber was soll das bringen“, fragt der
Manager. „Am Ende gäbe es immer einen Verlierer, und es würde
entweder heißen Kenenisa ist ja doch nicht so gut oder Hailes Zeit ist
vorbei.“ Deswegen ist Hermens froh, wenn Gebrselassie nach Olympia die
Distanzen wechselt und sich die Wege der beiden nicht mehr so schnell kreuzen
werden. Auch für den Manager wird es dann leichter.
„Schließlich will ich für beide das Optimum herausholen und
dafür sorgen, dass sie lange und erfolgreiche Karrieren haben.“
Eines, glaubt Jos Hermens, wird Kenenisa Bekele nicht schaffen. In den Augen
der Äthiopier wird Haile Gebrselassie wie ein Denkmal stehen bleiben.
„Kenenisa hat zwar auf seine Art eine sehr gute Ausstrahlung und spricht
inzwischen schon besser Englisch. Aber die Äthiopier sehen immer zuerst
Haile, denn er war der erste, der derartig erfolgreich war. Daran wird sich
nichts ändern.“