Es gibt nur wenige Länder, die im Laufsport derartig erfolgreich waren wie
Finnland. Die größten Siege liegen freilich schon lange zurück.
In den 20er Jahren gewannen die finnischen Läufer bei den Olympischen
Spielen 1924 und 1928 sieben von acht möglichen Goldmedaillen über
die Langstrecken. Man sprach von den ,fliegenden Finnen. Es war die Zeit des
großen Paavo Nurmi, der 22 Weltrekorde aufstellte und noch heute eine Art
Synonym ist für die finnische Leichtathletik. Rund 50 Jahre später
knüpfte Lasse Viren an die glorreichen Zeiten seiner Landsleute an, als er
bei Olympia 1972 und 76 jeweils die 5000 und die 10.000 m gewann. Doch die
Erfolge wurden rar. Nach Martti Vainios drittem Platz über 10.000 m bei
der EM 1982 gab es zwei Jahrzehnte keine einzige Medaille eines finnischen
Läufers.
Es war bei den Leichtathletik-Europameisterschaften von München im
August 2002, als sich im Marathon eine Sensation ereignete. Ein bis dato
international unbekannter finnischer Läufer hatte sich vom Feld abgesetzt
und lief im strömenden Regen dem Sieg entgegen: Janne Holmen wurde
Europameister. Und das im Rennen gegen die starken Spanier, die so viele
große internationale Erfolge gefeiert hatten. Der Finne hatte sie bei
seinem zweiten Marathonlauf alle überrascht. Das hatte er ausgerechnet in
München geschafft, wo 30 Jahre zuvor Lasse Viren zweimal Olympia-Gold
gewonnen hatte. “Langstreckenlauf ist eine angesehene Sportart in
Finnland, und lange Zeit gab es sehr wenig Erfolg“, sagte Janne Holmen
nach seinem Sieg in München und fügte hinzu: “Jetzt haben wir
ein wenig Erfolg.“ Das war natürlich stark untertrieben.
“Jannes Sieg war die größte Überraschung in der gesamten
Geschichte der finnischen Leichtathletik. Niemand hatte so etwas erwarten
können. Auf so etwas haben wir in Finnland gewartet seit den Zeiten von
Lasse Viren“, erklärt Holmens Manager Jukka Härkönen.
Wenn am Sonntag der 30. real,- BERLIN-MARATHON gestartet wird, dann
läuft Janne Holmen zum ersten Mal seit seinem Triumph von München
wieder über die klassische Distanz von 42,195 km. Für den Sieg wird
er nicht in Frage kommen angesichts der übermächtigen Konkurrenz aus
Afrika. Doch es gibt ein realistisches Ziel für den Läufer, der am
Freitag 26 Jahre alte wird: den Landesrekord. Der ist inzwischen fast so alt
wie Janne Holmen selber. 1978 war Esa Tikkanen in Boston 2:11:15 Stunden
gelaufen. “Janne ist in besserer Form als bei seinem Sieg in
München. Es sit sein Ziel, als erster Finne unter 2:10 Stunden zu
laufen“, sagt Jukka Härkönen.
Bricht Holmen, dessen Bestzeit seit München bei 2:12:14 Stunden steht,
den Rekord am Sonntag, wird das seine Popularität weiter steigern. Nach
seinem EM-Triumph wurde er Finnlands Sportler des Jahres und setzte sich dabei
gegen die eigentlich viel erfolgreicheren Wintersportler durch. Dabei
müssen die Finnen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass ihr neuer Sportstar
mit der Rolle des Nationalhelden nicht so viel anfangen kann. Das hat
vielleicht auch mit seiner Herkunft zu tun. Janne Holmen kommt von den
Aland-Inseln, von denen aus das schwedische Festland näher liegt als das
finnische. Dort ist Schwedisch die Muttersprache. Und so studiert Janne Holmen
im schwedischen Uppsala Geschichte. Zurzeit arbeitet er an seiner Doktorarbeit.
Verheiratet ist der Läufer mit einer Marokkanerin, der Schwester des
früheren Weltklasseläufers Khalid Skah. Holmen, der seine Frau einst
bei einem Trainingslager in Marokko kennen gelernt hatte, konvertierte sogar
zum Islam.
Für die Finnen ist das kein Grund, ihren neuen Star nicht zu verehren.
“Man akzeptiert die Privatsphäre des Sportlers. Das ist kein
großes Thema in den Medien“, sagt Jukka Härkönen.
“Janne hat sich nicht verändert seit seinem Sieg von München.
Er ist zurückhaltend, viel Publicity um seine Person mag er
nicht.“
Janne Holmen hat nichts gegen Finnland. Doch er steht auf dem Standpunkt,
dass die Nationalität zweitrangig ist. Dabei liefen schon seine Eltern
für Finnland: Mutter Nina war 1974 Europameisterin über 3000 m, sein
Vater Rune, der heute auch sein Trainer ist, wurde bei der WM 1971
Zwölfter über 5000 m. Trotz dieser Familiengeschichte kam Janne
Holmen zum Laufen eher zufällig. Als Kind litt er unter Asthma. Ein Arzt
empfahl daraufhin mehr Bewegung an frischer Luft. Mit zwölf Jahren begann
Janne mit dem Laufsport. 13 Jahre später haben die Aland-Inseln eine neue
Briefmarke herausgegeben. Sie zeigt einen Läufer im finnischen Trikot. Es
ist Janne Holmen bei seinem Lauf zum Gold in München.