Der Fall Dieter Baumann sorgte zwischen 1999 und 2001 für einige
Aufregung. Das Medieninteresse war immens, als im November 1999 der positive
Dopingtest bei dem populären Langstreckenläufer Dieter Baumann
bekannt wurde. Der Fall spaltete die Republik in zwei Fraktionen, die eine pro,
die andere kontra Baumann. Dieter Baumann, 1992 Olympiasieger über 5000
Meter, der erfolgreichste deutsche Langstreckenläufer aller Zeiten, wehrte
sich mit allen Mitteln gegen die Vorwürfe.
Der Fall sorgte auch in Juristenkreisen für Aufsehen, letztendlich hatte
eine Wahrheitsfindung, wie sie für Zivilisten gilt, im System der
deutschen Sportgerichtsbarkeit keine Chance.
Comeback mit EM-Silber
Baumanns Comeback nach der zweijährigen Sperre gelang durch eine
Silbermedaille über 10000 Meter bei den Europameisterschaften 2002 in
München auf überzeugende Weise, im Spätsommer 2003 beendete er
seine 20-jährige Karriere als Hochleistungssportler.
Der Film versucht die Ereignisse nach der positiven Dopingprobe und Baumanns
Kampf um Gerechtigkeit bzw. um seine Rehabilitation zu reflektieren.
Sehr authentisch
Die Geschichte um den Fall Baumann wird durchaus sehr authentisch
erzählt und konzentriert sich notgedrungen auf die wichtigsten Eckpunkte
des komplexen Falles, der nur wenigen Insidern der Szene in seiner ganzen
Vielfältigkeit nachvollziehbar ist und vor allem durch die Geschichte mit
der Zahnpasta eine Dimension annahm, die einem Außenstehenden den Zugang
nahezu unmöglich machte. Regisseur Diethard Klante, der auch für das
Buch verantwortlich zeichnet, recherchierte sehr gründlich, was man dem
Film deutlich anmerkt, wenngleich Zuschauer, die sich nicht mit der
Leichtathletik beschäftigen, eventuell Mühe haben, die bei diesem
Fall eine Rolle spielenden Strukturen einigermaßen nachzuvollziehen bzw.
einzuordnen.
Da gibt es Verbandsfunktionäre, Dopinganalytiker, Pressevertreter und
Konkurrenten auf der Laufbahn.
Zwei Szenen wurden herausgeschnitten
Vor allem dem zeitlebens in Baumanns Schatten laufendem ewigen Zweiten und
heutigen Eurosport-Kommentator Stephane Franke gefiel die Darstellung seiner
Person nicht besonders. Das ist sein gutes Recht, und er drohte auch –
logischerweise – mit einer Klage, da er sich „charakterlich nicht
richtig abgebildet“ sehe.
Die Szene, die daraufhin herausgeschnitten wurde, zeigt ihn, wie er nach seinem
Ausscheiden bei den 10000-m-Meisterschaften (1994 in Kappelrodeck) mit Isabelle
diskutiert und sie die Zusammenarbeit mit ihm aufkündigt. Die
Produktionsfirma beschloss daraufhin, die Szene herauszuschneiden, „ohne
juristische Not“, wie deren Anwalt betonte.
Die zweite Szene, die der Schere zum Opfer fiel, betrifft den Schluss des
Films, wo der Satz fällt, CAS, das Sportgericht des IOC, habe sich vor
seinem Beschluss, Dieter Baumann nicht bei den Olympischen Spielen in Sydney im
Jahre 2000 starten zu lassen, die Akten des Falles gar nicht
eingesehen.
Rivalität der Sportredaktionen: FAZ gegen SZ
Keine Beschwerde kam dagegen von Hans-Joachim Waldbröl, dem Redakteur
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dort ein seit Jahren
ausgewiesener Experte für Leichtathletik, Doping sowie für
Sportpolitik, der im Film als Journalist mit großer Nähe zur
Verbandshoheit dargestellt wird, als Königsmacher sozusagen, der in den
obersten Zirkeln der Sportmacht, in diesem Fall dem Internationalen
Leichtathletik-Verband IAAF verkehrt. Diese Rolle spielte er bis in kleinste
Nuancen auch in der Wirklichkeit, das zeigen die Dokumente der Zeitgeschichte
mehr als deutlich.
Genauso deutlich wurde im Dopingfall des Dieter Baumann auch die Konkurrenz der
beiden großen deutschen Tageszeitungen, der FAZ und der Süddeutschen
Zeitung (SZ). Letztere wird allerdings im Film nicht durch ihren damaligen
Protagonisten vertreten, Thomas Kistner, Gegenspieler von Waldbröl bei der
SZ in sachen Doping und Sportpolitik, sondern durch den damaligen Sportchef und
Leichtathletik-Experten Michael Gernandt.
Die „Zeit“ brachte dies damals auf einen trefflichen
Nenner, als sie schrieb: „Eine alte Rivalität lebt in
diesen Tagen neu auf: Solange es Sportpolitik gibt., streiten die beiden besten
Sportredaktionen im Lande – die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung...und
der Süddeutschen Zeitung... – über die Frage, ob die Herren an
der Spitze von IOC und Fifa (Int. Fußball-Verband, RW) sehr korrupt (SZ)
oder nur ein klein wenig korrupt (FAZ) sind. Seit der Läufer Dieter
Baumann vom Vorwurf des Dopings freigesprochen wurde, gibt es einen neuen
Disput zwischen den Blättern.
Verkürzt gesagt: Die FAZ hält Baumann für schuldig, die
SZ glaubt dem Sportler.
„Oliver-Stone-Film für Arme“
Natürlich spiegelt sich diese Haltung auch darin wieder, wie die beiden
Zeitungen diesen Film ankündigen: In der Mittwochsausgabe der FAZ wird der
Fall auf der Medienseite wie sonst kein anderer TV-Film vom Medienexperten
Michael Hanfeld in epischer Breite analysiert und dabei mehr oder weniger
verrissen („Oliver-Stone-Film für Arme“), der Sportteil bleibt
außen vor.
In der SZ darf der Leichtathletik-Experte und Baumann-Sympathisant Robert
Hartmann den Film auf der Sportseite loben, auf der Medienseite gibt ihm Holger
Gertz sein „o.k.“.
Man kann in diesem Fall Michael Hanfeld nur beipflichten, wenn er sagt:
„Man muss den Film in der Tat gesehen haben, um mitreden zu
können.“
Hochkarätige Schauspieler
Die Rollen sind mit teilweise hochkarätigen Theater- und
Filmschauspielern besetzt. Einige Personen spielen sich auch selbst, so der
Gutachter und Pharmakologe Professor Sörgel oder der ZDF-Moderator und
Reporter Wolf-Dieter Poschmann, in den siebziger und achtziger Jahren selbst
ein 5000-m-Läufer der deutschen Spitzenklase. Hans-Werner Meyer spielt
sehr überzeugend Dieter Baumann, Burgschauspielerin Sophie Rois noch
überzeugender seine Frau Isabelle, ferner sind dabei Thomas Thieme
(Verbandspräsident Digel), August Zirner (FAZ-Redakteur Waldbröl) und
Oliver Nägele (Kriminalkommissar vom Scheidt).
Thomas Steffens,
RUNNER´S WORLD
Sendetermin:
HEUTE - Mittwoch
4. August, 20.15 Uhr, ARD.
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