In einem Gastbeitrag erklärt Prof. Dr. Helmut Digel, Vizepräsident
des internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) und Leiter des Institutes
für Sportwissenschaft der Universität Tübingen, warum der Staat
mehr denn je gefordert ist, den Kampf gegen Doping wirkungsvoll zu
unterstützen und damit den Sport zu schützen:
„Trainingslager in der Sportschule S. Olympiakaderathleten
verschiedener Spitzenfachverbände bereiten sich auf die bevorstehenden
Olympischen Spiele vor. Der Anti-Doping-Beauftragte M. des Fachverbandes der
Sportart L. macht überraschend eine Kurzvisite. Bei einem Zimmerdurchgang
entdeckt er in der Sporttasche des Athleten U. mehrere Packungen der verbotenen
Substanz Clenbuterol. In einem weiteren Zimmer findet er ebenfalls in einem
Schrank Injektionszubehör und die verbotene Substanz Epo. Der
Anti-Doping-Beauftragte ist empört. Er versucht herauszubekommen, in
wessen Besitz sich diese Substanzen befinden. Die betroffenen Athleten beteuern
ihre Unschuld. Sie weisen darauf hin, dass vom bloßen Besitz nicht auf
den Dopingversuch geschlossen werden kann und dass sie sich im übrigen als
Opfer eines Attentats sehen; jemand möchte ihnen böse mitspielen und
sie des Doping-Betruges bezichtigen.”
Der beschriebene Fall ist fiktiv und das beschriebene Ereignis ist in
mehrfacher Hinsicht unwahrscheinlich, dass es sich so in einer deutschen
Sportschule ereignen könnte. Einem Anti-Doping-Beauftragten eines
Fachverbandes fehlt bis heute die Befugnis, eine derartige Untersuchung
durchführen zu dürfen. Ebenso unwahrscheinlich bzw. unmöglich
ist es, dass polizeiliche Ermittler entsprechende Untersuchungen in
Trainingslagern in Deutschland durchführen werden. Vielmehr ist es
wahrscheinlich, dass Athleten, die unerlaubte Substanzen mit sich führen,
unbehelligt bleiben. Es kann deshalb auch kaum überraschen, warum immer
wieder Trainer und Athleten über vergleichbare Situationen empört
berichten und darauf hinweisen, dass sich offensichtlich niemand um solche
Sachverhalte in unserer Gesellschaft kümmert.
Dem fiktiven Beispiel sollte jedoch eine andere Bedeutung zukommen.
Würde man bei Olympia-Kandidaten unserer Nationalmannschaft
Anti-Doping-Substanzen antreffen, so hätte dies zum jetzigen Zeitpunkt
keinerlei Sanktionen zur Folge, da der Besitz der pharmakologischen Substanzen,
die im Wettkampfsport verboten sind, nicht strafbar ist.
Dieses Problem könnte im subsidiären Kampf gegen den Doping-Betrug
möglicherweise durch die Sportorganisationen selbst gelöst werden.
Würden die Verbände ihre Regeln dahingehend ändern, dass
Athleten, die sich im Besitz von Anabolika und sonstigen verbotenen Substanzen
befinden, gegenüber der Verbandsgerichtsbarkeit strafbar machen, und
hätte der Besitz entsprechende Sanktionen zur Folge, so könnte
zumindest mit den Mitteln der Sportgerichtsbarkeit dieser Art von Doping-Gefahr
begegnet werden. Allerdings könnte sich der Sportler im Ernstfall durch
einen Vereinsaustritt auf eine sehr einfache Weise aus der sportgerichtlichen
Verantwortung stehlen.
Das eigentlich ungelöste Problem im Anti-Doping-Kampf stellt sich
jedoch gravierender dar. Der Sport verfügt heute wohl über ein
intaktes Kontrollsystem, und über eine intakte Sport-Gerichtsbarkeit. Er
kann damit einen Athleten, der mittels einer Urinprobe des Dopings
überführt wurde, für bis zu zwei Jahren sperren. Die
Betrugshandlung des Athleten wird damit jedoch lediglich an der Oberfläche
erfasst. Über die Strukturen des Sports ist es nicht möglich, in
Erfahrung zu bringen, wie der Athlet gedopt hat, bei wem er sich die verbotene
Substanz besorgt hat und wer seine ihn unterstützende Umwelt
darstellt.
In dieser Ohnmacht befinden sich die Sportorganisationen seitdem sie
Doping-Kontrollen durchführen und seitdem sie Doping mittels ihrer eigenen
Sanktionen bekämpfen. Betrachtet man diese Situation etwas genauer, so
erkennt man, dass der Sport über seine autonome Organisation diesem
Problem mit seinen eigenen Mitteln nicht gerecht werden kann, er benötigt
vielmehr die Hilfe des Staates.
Dabei ist es völlig nachgeordnet, ob diese Hilfe dem Sport mittels
eines bestehenden Gesetzes, eines zu verändernden Gesetzes oder eines
neuen Gesetzes gewährleistet wird. Völlig nachgeordnet ist es auch,
ob ein Gesetz zum Schutze der Sportkultur dem Sport die notwendige Hilfe
gewährt oder über ein neues Anti-Doping-Gesetz oder durch das
bestehende Arzneimittelgesetz oder durch ein anderes, ähnlich gelagertes
Gesetz, beispielsweise das Betäubungsmittelgesetz dieser Schutz
gewährleistet wird. Sehr viel entscheidender ist es hingegen, wer dem
Sport hilft und wie dem Sport geholfen wird, das unzweifelhaft bestehende
Vollzugsdefizit zu beseitigen, um auf diese Weise den Sport als bedeutsames
pädagogisches Kulturgut wirkungsvoll zu schützen. Ist dies nicht der
Fall, so wird sich auch in der weiteren Zukunft der Anti-Doping-Kampf vorrangig
als ein unglaubwürdiges rhetorisches Spiel ereignen, das zu Recht von den
betroffenen Athletinnen und Athleten und von den Trainerinnen und Trainern
beklagt wird.
Notwendig ist vielmehr ein glaubwürdiger und engagierter Kampf gegen
Doping, bei dem man bereit ist, die notwendigen finanziellen, personellen und
juristischen Strukturen zu schaffen, damit die Wurzeln des Übels
bekämpft werden können. Notwendig ist, dass der Besitz von
Doping-Substanzen unter Strafe gestellt wird und dass in Bezug auf das
Doping-Problem in gleicher Weise staatlicherseits ermittelt wird, wie dies beim
Drogenmissbrauch in unserer Gesellschaft der Fall ist.
Die Verantwortung der Sportverbände für einen engagierten
Anti-Doping-Kampf würde dadurch keineswegs in Frage gestellt, die
Autonomie der Verbände würde vielmehr dadurch gestärkt und das
anerkannte Prinzip der Subsidiarität würde einmal mehr zeigen, wie
wirkungsvoll es für die Entwicklung des Sports in einem demokratischen
Gemeinwesen sein kann. Der Sport benötigt auf diesem Weg die
Unterstützung des Staates, er benötigt die Unterstützung der
Justizminister und des Bundesministers des Innern.