Die Hoffnungen der Titelverteidigerin Berhane Adere auf einen erneuten
Titelgewinn bei den Halbmarathon-Weltmeisterschaften im portugiesischen
Vilamoura machte keine andere zunichte als Paula Radcliffe. Die britische
Marathon-Weltrekordlerin zeigte sich nach ihrem verletzungsbedingten Verzicht
auf die Bahn-WM in Paris glänzend erholt und ließ ihrer
äthiopischen Rivalin nicht den Hauch einer Chance. Mit einem resoluten
Tempolauf gewann die 29jährige nach 2000 und 2001 mit 1:07:35 Stunden und
dem bislang größten Vorsprung bei einer Weltmeisterschaft von 1:27
Minuten nun den dritten Titel innerhalb von vier Jahren. Im Duell der
Verfolgerinnen holte sich Berhane Adere die Silbermedaille vor der Australierin
Benita Johnson, die 24 Sekunden später als Dritte folgte.
Auf der Wendepunktstrecke in Vilamoura, bereits Austragungsort der
Cross-Weltmeisterschaften 2000, machte Paula Radcliffe von Beginn an Druck und
lief bereits nach fünf Kilometern mit einem Fünf-Sekunden-Vorsprung
vor Susan Chepkemei und Berhane Adere an der Spitze des 73 Läuferinnen
umfassenden Feldes. Eine vierköpfige weitere Verfolgergruppe mit Benita
Johnson, Lydia Grigoryeva, der Marokkanerin Zhor el Kamch und Teyba Erkesso
lagen bereits 16 Sekunden zurück. In einer weiteren Verfolgergruppe auch
die deutsche Meisterin Luminita Zaituc mit einem weiteren Abstand von 25
Sekunden. Auf dem Weg zur Wende hielt die Britin das Tempo unverändert
hoch, während Chepkemei und Adere weiteren Boden verloren und bereits 36
Sekunden zurück folgten. Luminita Zaituc lief zu diesem Zeitpunkt in einer
illustren Gesellschaft mit der Cross-Europameisterin Helena Javornik und der 10
000 m-Challenge-Siegerin Mihaela Botezan, doch wenig später war sie nicht
mehr im Rennen. Schade, denn die Braunschweigerin hatte gerade nach einer
problembehafteten Saison zumindest auf einen erfolgreichen Herbst gesetzt und
sich nach Vilamoura die Option noch auf einen flotten Marathonlauf offen halten
wollen.
Bei zunehmenden Mittagstemperaturen musste auch Paula Radcliffe ihrem hohen
Tempo Tribut zollen und alle Hoffnungen auf eine weitere Weltbestzeit begraben.
Vor zwei Wochen erst war die Britin beim “Great North Run“ in
Newcastle mit 1:05:40 Stunden die aktuelle Weltbestzeit gelaufen. Eine
Anerkennung dieser Höchstmarke steht allerdings noch aus, da die Strecke
ein unzulässiges Gefälle aufweist. Den dritten Weltmeistertitel nach
Veracruz und Bristol wird Paula Radcliffe allerdings niemand mehr nehmen
können, denn auch Berhane Adere musste in der Mittagshitze die
Überlegenheit der weltbesten Straßenläuferin neidlos anerkennen
und lief mit fast eineinhalb Minuten Rückstand als Zweite ins Ziel. Aderes
hartnäckige Begleiterin Susan Chepkemei wurde hingegen lediglich Achte.
“Nach zehn Kilometern habe ich erkennen müssen, dass der Rekord
nicht zu verwirklichen sein würde!“ bekannte die Frontläuferin.
Später räumte sie allerdings ein, dass diese Strecke keineswegs
für Weltrekordzeiten geeignet war. “Es war ein sehr schweres Rennen.
Mich überraschte vor allem, dass die Konkurrenz so rasch zurück
gefallen war!“ Alleine auf sich gestellt, kämpfte sie jedoch gegen
die aufkommende Ermüdung Kilometer um Kilometer, wollte sie doch ihren
Teamkolleginnen eine schnelle Zeit für eine gute Mannschaftsplatzierung
mitgeben. “Ich wollte schon schnell rennen, nicht zuletzt weil der
Teamwettbewerb für uns sehr wichtig ist!“ Doch alle Mühen ihres
Stars waren vergebens, die Mannschaft Großbritanniens ging als
Fünfte jedoch leer aus. Überraschend setzte sich übrigens
Russland gegen Japan und Rumänien durch. Eine faustdicke Überraschung
war hingegen das Abschneiden der ostafrikanischen Läuferinnen, die diesmal
leer ausgingen. Äthiopien wurde Vierter, die Kenianerinnen stürzten
hingegen auf Rang neun noch hinter Spanien, Frankreich und Italien ab.
Während bei den Frauen das Rennen schon frühzeitig zugunsten von
Paula Radcliffe entschieden war, spurteten bei den Männern mit dem
Kenianer Martin Lel und den überraschend stark auftrumpfenden Fabiano
Joseph und Martin Hhaway Sulle aus Tansania um den Titel, während mit John
Cheruiyot Korir ein weiterer Kenianer kurz vor dem Ziel im Kampf um die
Medaillen bereits ausgeschieden war. Der Mann des Tages war Martin Lel, der
letztlich in 1:00:49 Stunden knapp gegen die beiden Tansanier die Oberhand
behielt. Der 25jährige, der im Vorjahr als Zweiter in Venedig hinter
seinem Landsmann David Makori mit 2:10:02 Stunden schon etwas aufgefallen war,
rückte erst durch seinen Halbmarathonsieg im Frühjahr auf der stark
abschüssigen Strecke in Lissabon mit 1:00:10 Stunden vor dem
Südafrikaner Hendrik Ramalaa und Robert Cheruiyot stärker ins
Blickfeld, im geschlagenen Feld dabei übrigens der aktuelle
Marathon-Weltrekordler Paul Tergat und der letztjährige
Boston-Marathonsieger Rodgers Rop
“Portugal bringt mir offensichtlich Glück!“ bekannte Lel im
Ziel, schließlich holte er nach seinem Achtungserfolg im Frühjahr
nun hier auch das Weltchampionat. “Mein Ziel ist der New York
Marathon“ umreißt der Trainingskollege von Elijah Lagat und Simon
Bor, den früheren Marathonsiegern von Boston und Los Angeles, seine
nächsten Ziele. “nach vierzig Minuten wusste ich bereits, dass ich
eine Medaille gewinnen kann“, so der selbstbewusste junge Mann. Im
schnellen Ausscheidungsrennen, in dem nach dem Abfallen des
Marathon-Weltmeisters Abderrahim Goumri nach dem Wendepunkt
ausschließlich Ostafrikaner den Kampf um die Medaillenränge
ausmachen sollten, war er Martin Lel zusammen mit dem Tansaniern und dem
überraschend starken Zersenay Tadesse aus Eritrea zumeist an der Spitze zu
finden. Für die Europäer gingen die Trauben einmal mehr sehr hoch,
als Dreizehnter lief dabei der Portugiese Paulo Gomes noch am besten.
Das Team des Tages war allerdings keineswegs Kenia, sondern Tansania. Mit
dem Zweiten Fabiano Joseph und dem Dritten Martin Hhaway Sulle und zudem John
Yuda, der nach zweimal Rang drei mit Muskelkrämpfen diesmal als
Fünfter der Einzelwertung leer ausgegangen war, verdrängten die stets
im Schatten von Äthiopien und Kenia stehenden Ostafrikaner die beiden
großen Läufernationen vom Siegespodest. Acht Sekunden zurück
die entthronten Kenianer um den neuen Weltmeister Lel und Äthiopien, das
alleine Tesfaye Tola unter die besten Zehn bringen konnte und mit vier Minuten
Rückstand Bronze gewann.
Wilfried Raatz