2:10-Marathonläufer Eticha als Zweiter zwölf Minuten zurück
– Emebet Abosa gewinnt bei den Frauen – 4 100 Starter aus 43
Nationen beim „Schönsten Marathon der Welt"
Der frühere Marathonläufer und Nationaltrainer Richard Umberg
hatte zu seinem Einstieg als “Rennleiter“ bei der elften Auflage
des Jungfrau-Marathon von Interlaken auf die Kleine Scheidegg auf das
“richtige Pferd“ gesetzt – und dieses kam aus Neuseeland und
heißt Jonathan Wyatt. Der weltbeste Berg(auf)läufer untermauerte
seine überragende Rolle in der Berglaufszene mit einem beeindruckenden
Gipfelsturm über die 42,195 km-Distanz bei einer Höhendifferenz von
1929 m vor der leider einmal mehr in völlige Nebelschwaden gehüllten
majestätischen Kulisse des weltberühmten Dreigestirns Eiger,
Münch und Jungfrau. Mit 2:49:01 Stunden steigerte der 31jährige nicht
nur den bisherigen Streckenrekord des Äthiopiers Tesfaye Eticha um mehr
als vier Minuten, sondern distanzierte ihn auch im direkten Vergleich um
Längen. Und sicherte sich die 10 000 Franken-Prämie, Antrittsgeld und
Rekordprämie nicht eingerechnet. Am Ende trennten Wyatt von Eticha gleich
zwölf (!) Minuten. “Dieser Typ ist einfach sehr stark“,
entfuhr es den entthronten Streckenrekordler und Vorjahressieger auf dem
Siegerpodest. Für Umberg hingegen erfüllten sich nahezu alle
Wünsche (“Es ist mir eine große Freude, ein derart attraktives
Üposium präsentieren zu können“), alleine auf das
regenträchtige Wetter im Berner Oberland hatte er keinen Einfluss.
Wyatt: “A taff race!“
Neidlos musste Tesfaye Eticha die Überlegenheit des Weltenbummlers
Jonathan Wyatt in Sachen Berglauf anerkennen, obgleich er sich drei Wochen im
Höhentrainingslager in St. Moritz auf dieses Ereignis vorbereitet hatte.
“Mein Ziel ist aber eine Endzeit unter 2:10 Stunden beim New
York-Marathon“, formulierte der in Genf lebende 29jährige
Äthiopier im gleichen Atemzug sein Saisonziel. Für Jonathan Wyatt
geht hingegen der Siegeszug auf dem europäischen Kontinent weiter, nachdem
er neben den Grand-Prix-Läufen in Heiligenblut, Telfes, Zermatt und Susa
auch den Berglauf-Klassiker Sierre-Zinal über 33 km gewinnen konnte. In
zumeist neuen Streckenrekordzeiten. Einmal mehr erwies sich Jonathan Wyatt als
gewiefter Fuchs, der auf dem weitgehend flachen Anlauf von Interlaken über
Wilderswil, Lauterbrunnen und den Trümmelbachfällen die
Äthiopier Eticha, Disassa Dabessa und Kassa Tadesse die Sprints um die
Fränkli überließ, um im steilen Aufstieg über Wengen und
Wengernalp zum Angriff überzugehen. “Die Sprints haben das Rennen
anfangs geprägt. Dabei wollte ich nicht mitmischen, sondern habe mich
geschont, um im zweiten Teil der Strecke gut klettern zu können!“
Und Wyatt hat dies mit Bravour, denn schon in Wengen betrug sein Vorsprung
schon knapp vier Minuten auf den kampfstarken Briten Billy Burns und bereits
fünf Minuten auf Eticha, der scheinbar schon auf der Flachpassage nach
Lauterbrunnen sein Pulver verschossen hatte. “Der Jungfrau-Marathon ist
ein taffes Rennen. Da muss man schon an seine Reserven gehen. Die letzten
fünf Kilometer musste sich den Gang herausnehmen, da ich auch Krämpfe
in den Waden hatte. Der letzte Kilometer war selbst für mich
fürchterlich! Zum Glück musste ich nicht mehr kämpfen und konnte
es auslaufen lassen!“ Wohl dem, der auch mit angezogener Handbremse die
versammelte Spitzenklasse im Griff hat. “Es ist nur schade, dass man
heute nichts von den gewaltigen Viertausendern sieht!“ bedauert auch
Jonathan Wyatt, der allerdings umringt von Journalisten die
Schlüsselstellen der Strecke drei Tage zuvor besichtigen konnte –
bei strahlendem Sonnenschein.
Für den World-Trophy-Sieger der Jahre 1998, 2000 und 2002 wird es
allerdings heuer kein Weltchampionat-Start geben, denn in Anchorage im
US-Bundesstaat Alaska führt die Strecke bergauf und bergab, das der
Neuseeländer konsequent ablehnt und deshalb in “schöner
Regelmäßigkeit“ diese Rennen verweigert. So werden einige
kleine (und flache) Straßenläufe wie Tübingen oder Rheinfelden
zur Überbrückung anstehen, ehe für Jonathan Wyatt das
Berglauf-Grand-Prix-Finale in Bergen Abschluss seiner Europatournee sein wird.
“Ich brauche genügend Regeneration, sonst kann ich mein Ziel, Start
bei den Olympischen Spielen in Athen nicht realisieren!“ Die
angesprochene Regenerationszeit wird allerdings für den gelernten
Architekten sehr kurz werden, denn er möchte bereits bei einem der
schnellen Marathonläufe in Japan die Olympianorm unterbieten. Dass der
Allroundläufer dazu in der Lage ist, das wusste er mit Bestzeiten von
27:56 über 10 000 m und als Siebter beim Hamburg-Marathon mit 2:13:00
bereits anzudeuten.
Abfahrtsweltmeister Peter Müller diesmal bergauf!
Während sich die läuferische Klasse von Eticha im Aufstieg
über die Moräne hinauf zur Kleinen Scheidegg auszahlte,
büßte Burns seinen zwischenzeitlichen Vorsprung ein und musste mit
Rang drei zufrieden sein. Der 34jährige Brite ist gemäß seinem
“Free-Life-Style“ für viele Abenteuer bereit, so kündigte
er schon bei der Flowerparade im Zielbereich seine Regeneration mit einem
Mountainbike-Trail nach Slowenien und Kroatien an. “Ich werde dafür
drei bis vier Tage brauchen!“ Bester Schweizer im topbesetzten Feld war
der Amdener Karl Jöhl auf Rang sechs mit einem Rückstand von 21
Minuten auf den Sieger. Im geschlagenen Feld mit El Maati Chaham und Petr
Kadlec die Sieger der Jahre 2001 bzw. 1998 auf den Plätzen vier und acht.
Swiss-Alpine-Marathon-Sieger Mohamad Ahansal hatte als Dreizehnter mit dem
Ausgang des Rennens ebenso wenig zu tun wie auch der Liechtensteiner Pfarrer
Markus Kellenberger, der nach den kräftezehrenden Rennen im
Fürstentum, beim Graubünden-Marathon und in Davos nunmehr sichtlich
ausgebrannt wirkte. Ordentlich schlug sich hingegen der Pidinger
Sporthändler Stephan Tasani-Prell, der als
Zermatt-Marathon-Premierensieger auf den zehnten Rang kam. Soweit der Blick in
die Spitze, im bunten Feld der 4 100 Starter aus 43 Nationen tummelte sich auch
mit Peter Müller der frühere Abfahrtsweltmeister und
Lauberhornsieger, der erstmals in seiner langen Laufbahn ein Rennen praktisch
in entgegen gesetzter Richtung meisterte. Der 46jährige meisterte dieses
Abenteuer höchst akzeptabel als 892. des Gesamteinlaufes und 145. der M
45-Masters-Kategorie in 4:45:50 Stunden.
Nach zweimal Rang zwei diesmal obenauf: Emebet Abosa
Bei den Frauen lieferten sich die beiden Äthiopierinnen Emebet Abosa
und Tsige Worku bis zur Halbmarathondistanz in Lauterbrunnen ein spannendes
Duell, ehe Emebet nach ihren zweiten Plätzen 2001 und 2002 mit einem
eindrucksvollen Alleingang erstmals auf dem Siegerpodest stehen durfte. Die
29jährige verpasste dabei die Streckenbestmarke der wegen Verletzung
fehlenden Marie-Luce Romanens mit 3:21:46 Stunden um lediglich 43 Sekunden.
Dagegen fehlte Tsige nach ihren Erfolgen beim Swiss-Alpine-Marathon (K 42) und
Sierre-Zinal die nötige Frische, um den dritten Erfolg der Saison
einfahren zu können. Sie musste sogar im Schlussteil den sicheren zweiten
Rang an die Schweizerin Caroline Reiber abtreten, die mit dreißig Jahren
mit den Siegen beim LGT-Marathon und beim Zermatt-Marathon und Rang zwei beim
Jungfrau-Marathon ihre wohl beste Saison läuft – und dies mit einem
Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tag bei einer Filmproduktionsfirma in
Zürich....
Über 1100 Helfer sorgten vor und hinter den Kulissen für eine
mustergültige Organisation, die aufgrund der Topographie eine
außergewöhnliche Meisterleistung darstellt. Lauterbrunnen, Wengen
und der Kleinen Scheidegg kommen dabei Schlüsselpositionen zu, für
Läufer und Zuschauer gleichermaßen. Die exzellente Anbindung mit
öffentlichen Verkehrsmitteln ist bei einem Landschaftsmarathon dieser
Güteklasse natürlich das A und O, wohl selten ist eine hautnahe
Betreuung so ideal möglich als beim Jungfrau-Marathon. Schlussendlich
dienst eine geräumige Wagenhalle als Gepäckdepot, eine kleine
Zeltstadt wird zum Duschareal. Nur für eines konnten die Organisatoren
nichts, nämlich Nieselregen verhinderte eine ausgelassene Festwirtschaft.
Das konnten selbst die lustigen Karnevalgruppen mit flott-schräger Musik
nicht kompensieren....
Wilfried Raatz
Ergebnisse:
11. Jungfrau-Marathon Interlaken-Kleine Scheidegg (42,195 km/ HD + 1829 m, -
305 m):
Männer: 1. Wyatt (Nzl) 2:49:01, 2. Eticha (Eth) 3:01:45, 3. Burns (Gbr)
3:04:01, 4. Chaham (Mar) 3:07:25, 5. Dabessa (Eth) 3:09:34, 6. Jöhl (Sui)
3:10:51, 7. Sollberger (Sui) 3:12:26, 8. Kadlec (Cze) 3:16:34, 9. von
Känel (Sui) 3:16:45, 10. Tassani-Prell (Ger/ Piding) 3:17:32, 11.
Horisberger (Sui) 3:19:14, 12. Kellenberger (Sui) 3:20:03, 13. M. Ahansal (Mar)
3:21:09, 14. Ploner (Sui) 3:21:16, 15. Ringgenberg (Sui) 3:22:01, 16. Seifert
(Ger/ Aachen) 3:22:02, 17. Hürzeler (Sui) 3:22:51, 18. Molemans (Bel)
3:24:32, 19. Häni (Sui) 3:24:48, 20. Zdavko (Sui) 3:24:53… 27. Rost
(Ger/ Endingen) 3:29:13, 40. Frech (Ger/ Stetten) 3:35:12, 47. Roth (Ger/
Leutkirch) 3:58:50, 60. Hartmann (Ger/ Blaichach) 3:43:35, 67. Schweizer (Ger/
Michelstadt) 3:45:22.
Frauen: 1. Abosa (Eth) 3:21:46, 2. Reiber (Sui) 3:27:39, 3. Worku (Eth)
3:31:46, 4. Gavin-Schneider (Sui) 3:40:21, 5. Netschaeva (Rus) 3:42:57, 6. Joly
(Sui) 3:43:33, 7. Krieg (Sui) 3:44:32, 8. Alter (Ger/ Mannheim) 3:48:34, 9.
Keller (Sui) 3:54:15, 10. Born (Sui) 3:54:38, 11. Favre (Fra) 3:56:10, 12. Mura
(Fra) 3:56:36, 13. Walker (Gbr) 3:57:12, 14. Jurisic (Cro) 3:59:41, 15.
Gezhagne (Eth) 4:01:13... 18. Hock (Ger/ Waldaschaff) 4:06:17, 19. Kremser
(Ger/ Mindelheim) 4:09:03, 30. Freise (Ger/ Hofheim) 4:19:35.