Für den „sportlichen Teil“ des 18. EAA-Kongresses in Athen
sorgten die Langstreckenläufer, soweit diese sich an der Wiege der
Olympischen Spiele im Vorfeld der Weltmeisterschaften schon einmal messen
wollten. Und in der Tat, die siebte Auflage der European 10 000 m-Challenge,
dürfte weniger durch außergewöhnliche Leistungen als durch die
Präsenz eines illustren Publikums in die Analen dieses durchaus
populären Kräftemessens am Anfang einer jeden Sommersaison eingehen.
Der per Akklamation wenige Stunden zuvor von den Delegierten
wiedergewählte EAA-Präsident Hansjörg Wirz durfte dann auch als
erste Amtshandlung die souverän autrumpfenden Fernanda Ribeiro und Ismail
Sghyr zum „Titel“ gratulieren. Im großzügig angelegten
Olympia-Trainingszentrum, das für die European 10 000 m-Challenge
allerdings mit seinen Außenanlagen erst einmal notdürftig
fertiggestellt wurde, unterstrichen die portugiesische Olympiasiegerin von
Atlanta und der aus Marokko stammende Franzose mit 31:13,42 bzw. 27:45,14 ihre
gute Frühjahrsform, verdeutlichten aber auch, dass die hier angetretenen
europäischen Langstrecklenläufer nur bedingt Weltklasseformat
besitzen. „Mit dem Franzosen, Fernanda und mir haben doch nur drei die
WM-Normen unterbieten können“, rückt Irina Mikitenko den
Stellenwert der European 10 000 m-Challenge angesichts der ausgedünnten
Leistungsspitze ins rechte Licht. Bleibt zumindest aber die Erkenntnis, dass
dieser 10 000 m-Wettbewerb für viele Leistungsträger der
„zweiten Reihe“ eine wichtige Wettkampfgelegenheit ist, weil sie
aber auch in den großen 10 000 m-Rennen angesichts der Dominanz der
afrikanischen Läufer auf verlorenem Posten hoffnungslos hinterher laufen
werden und kaum eine Chance haben, ihr Leistungspotentialo weiter zu
entwickeln.
Für die Frankfurterin, die erst in der Hallensaison nach langer
Verletzungsfolge wieder in das Wettkampfgeschehen eingreifen konnte, erwies
sich die Challenge in Athen als eine erste Standortbestimmung im WM-Jahr.
Zurückkehren wird die 31jährige in die heimischen Trainingsgefilden
allerdings mit der Erkenntnis, dass ihr zweiter Platz in 31:37,15 Minuten nicht
mehr als eine gelungene Rückkehr in die internationale Güteklasse
sein kann. Ansprüche lassen sich damit freilich (noch) keine ableiten.
„Schade, dass ich immer alleine laufen muss“, beklagte sich Irina
Mikitenko, die praktisch vom ersten Meter an mit Abstand hinter der wie von
Furien gehetzt losstürmenden Fernanda Ribeiro hinterher laufen
mußte. Mit einer 68er Startrunde hatte die 34jährige Portugiesin im
Schlepp der kenianischen Tempomacherin Rita Jeptoo und der ihre afrikanische
Herkunft nicht verleugnenden Französin Margaret Maury für den
nötigen Druck gesorgt. Eine Zweiergruppe mit Irina Mikitenko und Ana Dias
hatte sich sofort gebildet, die schon nach 1000 m mit 3:04 Minuten drei
Sekunden Rückstand aufwies. „Die Portugiesin hat keinen Meter Tempo
gemacht und sich immer hinter mir aufgehalten“, beklagt Irina Mikitenko
die Passivität der Portugiesin. An der Spitze schüttelte Ribeiro
schon nach 3 600 m die Kenianierin und die wenig später aussteigende
Französin ab und hatte bei der Streckenhälfte mit 15:28 Minuten schon
elf Sekunden Vorsprung vor dem Duo Mikitenko/ Dias. Zwar konnte Irina vier
Runden später ihre hartnäckige Verfolgerin abzuschütteln, doch
mit zunehmender Dauer wurde aber auch der Rückstand zu der unbeirrt ihre
Runden drehenden Fernanda Ribeiro größer. „Auf der weichen
Bahn haben sich natürlich auf den letzten 3000 m die Kraftdefizite im
Oberschenkel bemerkbar gemacht. Ich denke, mit einem Partner kann ich auch
unter 31:30 laufen“ blickt sie dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft. Ob
diese allerdings auf der 10 000 m-Strecke liegen wird, das läßt sich
allerdings derzeit offen. Schließlich ist eine Fernanda Ribeiro, die zwar
mit ihrer Siegerzeit von 31:13, 42 weit über ihrem Landesrekord von
30:22,88 blieb, immer noch eher ein (europäische) Maß der Dinge.
Aufregung gab es vornehmlich nach dem Rennen, als bei den obligatorischen
Dopingkontrollen plötzlich die Paßvorlage verlangt wurde. „Das
ist mir bislang überhaupt noch nicht passiert, es hatte stets die
Akkreditierung ausgereicht“ wunderte sich Irina Mikitenko über den
Übereifer der griechischen Dopingärzte. Das lang anhaltende Hickhack
löste erst die EAA-Delegierte Anna Riccardi mit einer eidesstattlichen
Versicherung auf. Das Prozedere selbst gestaltete sich nicht minder langwierig,
so dass Irina Mikitenko fast noch das abschließende Bankett verpaßt
hätte.
Turbulent gestaltete sich auch der weitere Rennverlauf hinter Fernanda und
Irina. Die Portugiesin Ana Dias erreichte mit 31:48 letztlich doch mit
deutlichem Abstand als Dritte das Ziel. Die im Ergebnisprotokoll ausgewiesenen
31:38,48 würde gewiss auch die WM-Norm bedeuten, doch dies sollte in einer
weiteren Einlaufüberprüfung korrigiert werden können. Die
slowenische Cross-Europameisterin Helena Javornik steigerte sich im
Abschlußtest vor dem Hamburg-Marathon um fast eine (!) Minute auf
31:56,90 und sicherte sich Rang vier. Eine Position, die nach 7000 m
zunächst die zweite deutsche Starterin Sabrina Mockenhaupt besetzen
konnte. Doch „Mocki“ hatte einmal mehr ihre Nerven nicht im Zaum
und stand wenig später neben der Bahn. „Es ist wie verhext! Warum
muss ich in jedem Jahr immer das erste 10 000 m-Rennen immer in den Sand
setzen!“ In der Tat, die EM-Zehnte von München scheiterte nach
Barracaldo und dem DM-Lauf in Dessau im dritten Jahr in Folge an ihrer Psyche.
„Mir ging in dieser Phase zu viel durch den Kopf. Dabei hätte ich
doch ‚nur‘ durchlaufen müssen. Aber ich wollte einfach mehr
als die absolut realistischen 31:50!“ Die kleine Siegerländerin
hatte sich mit glänzender Renneinteilung von Rang zwölf und einer
15:54 Minuten zur Streckenhälfte bis auf Rang vier vor Helena Javornik
vorgearbeitet, die Zwischenzeiten dabei frappierend gleichmäßig
gestaltet. „Ich verstehe einfach nicht, warum mußte ich dann auch
noch an der Javornik vorbeilaufen. Ich hätte einfach dahinter bleiben
müssen und am Schluß etwas riskieren sollen.....“ So sehr sich
auch Bundestrainer Wolfgang Heinig auch bemühte, die zumeist fröhlich
wirkende Sabrina Mockenhaupt war kaum zu beruhigen. „Ein Trost ist
natürlich, dass ich mit der in München gelaufenen 32:08,52 schon die
B-Norm habe. Nun muss ich eben die DM in einer guten Zeit gewinnen!“ gab
sie sich zu später Stunde aber schon wieder aufgestellt für weitere
Glanztaten. Bei den Männern zeigte sich nur Ismail Sghyr aus
„WM-tauglich“, denn bereits die mit deutlichem Abstand folgenden
Eduardo Henriques, Juan de la Ossa, Hose Ramos, und Marco Mazza lagen mit
Endzeiten über 28:00 Minuten schon deutlich über dem geforderten
Limit für Paris. Allerdings hatte das Rennen keineswegs jene
Qualität, mit der im Vorjahr im italienischen Camaiore Dieter Baumann in
einem dramatischen Finale Jose Rios und den späteren Europameister Jose
Martinez sowie Marco Mazza bezwungen hatte. Deutsche Läufer fehlten heuer
am Start.
Wilfried Raatz
Ergebnisse:
Athen (12.4.): European 10 000 m-Challenge: Männer: 1. Ismail Sghyr (Fra)
27:45,14, 2. Eduardo Henriques (Por) 28:05,09, 3. Juan de la Ossa (Esp)
28:07,19, 4. Hose Ramos (Por) 28:15,03, 5. Marco Mazza (Ita) 28:15,66, 6.
Helder Omelas (Por) 28:23,73, 7. Enrique Molina (Esp) 28:26,11, 8. Erik
Sjoovist (Swe) 28:32,45, 9. Vasilyev (Rus) 28:38,57, 10. Martin (Esp) 28:42,90,
11. Jensen (Den) 28:52,74, 12. Abramov (Rus) 28:54,44, 13. Petrovic (Cro)
28:55,12, 14. Kanellopoulos (Gre) 28:55,62, 15. Gualdi 29:01,30, 16.
Bartoletti-Stella (beide Ita) 29:09,31, 17. El Amhadi (Fra) 29:15,60, 18.
Viciosa (Esp) 29:25,14, 19. Nemeth (Bel) 29:30,12, 20. Tromans (Gbr) 29:31,44,
21. Maccagnan (Ita) 29:32,64, 22. Wannas (Fin) 29:42,31, 23. Smith (Gbr)
29:42,45, 24. Johansson (Swe) 29:48,49, 25. Bodor (Hun) 29:56,89, 26. Kotila
(Fin) 30:08,03, 27. Semenov (Rus) 30:14,41, 28. Matinlauri (Fin) 30:24,42, 29.
Margeisson (Isl) 30:37,78, 30. Zarkadas (Gre) 30:43,43; außer Wertung:
Zaragas 29:07,03, Gelasakis 29:!$;!); Papoulias 29:18,85 (alle Gre), Birchall
(Gbr) 30.32,58 - Mannschaften: 1. Portugal 1:24:43,85, 2. Spanien 1:25:16,20,
3. Italien 1:26:26,27, 4. Rußland 1:27:07,42, 5. Finnland 1:30:14,76.
Frauen: 1. Fernanda Ribeiro (Por) 31:13,42, 2. Irina Mikitenko (Ger/ LG
Eintracht Frankfurt) 31:37,15, 3. Ana Dias (Por) 31:38,48, 4. Helena Javornik
(Slo) 31:56,90, 5. Rocio Rios 32:03,99, 6. Maria Abel (beide Esp) 32:20,12, 7.
Elizabeth Yelling (Gbr) 32:22,21, 8. Amaia Piedra (Esp) 32:23,08, 9. Marconi
(Ita) 32:28,65, 10. Santiago (Esp) 32:33,34, 11. H. Yelling (Gbr) 32:37,12, 12.
Morianu (Fra) 32:40,70, 13. Vibjerg (Den) 32:42,73, 14. Balsamo (Ita) 32:49,06,
16. Dale (Gbr) 32:52,60, 17. Weisssteiner (Ita) 32:56,43, 18. Protopappa (Gre)
33:13,78, 19. Landoey (Nor) 33:14,75, 20. Rosa (Por) 33:26,23, 21. Damen (Gbr)
33:28,61, 22. Notz-Umberg (Sui) 33:46,69, 23. Tisi (Ita) 33:47,8, 24. Cabral
(Por) 33:50,9 – Mannschaften: 1. Portugal 1:36:18,14, 2.Spanien
1:36:47,20, 3. Groß-Britannien 1:37:11,94, 5. Italien 1:37:34,15.