Es war fast auf den Tag genau zehn Jahre her, dass ein deutscher
Marathonläufer zum letzten Mal eine Medaille gewann. Stephan Freigang
wurde bei den Olympischen Spielen sensationell Dritter. Platz drei hatte ein
Jahr zuvor bei den Weltmeisterschaften auch Katrin Dörre-Heinig im
Marathon belegt. Gestern gab es überraschend gleich zwei Medaillen
für die deutschen Marathonläuferinnen bei den Europameisterschaften
von München: Hinter der souveränen Siegerin Maria Guida
(Italien/2:26:05 Stunden) liefen erst Luminita Zaituc (Braunschweig/2:26:58)
und dann auch noch Sonja Oberem (Leverkusen/2:26:58), angetrieben von mehreren
hunderttausend begeisterten Zuschauern in der Münchener Innenstadt, auf
das Siegespodest.
„Es war ein tolles Gefühl, in das Stadion einzulaufen und die
Begeisterung zu hören. Ich habe so lange auf diesen Augenblick in meiner
Karriere gewartet, denn ich hatte schon öfter Pech. Dieses Mal habe ich
meinen Rhythmus gefunden und war zuversichtlich. Es war wohl meine letzte
Chance in meiner Karriere, zu gewinnen – deswegen versuchte ich alles.
Vielleicht war es sogar der letzte Marathon meiner Karriere“,
erklärte Maria Guida.
Eine relative Marathon-Newcomerin – Luminita Zaituc – und eine,
die schon seit vielen Jahren einer Medaillen über die klassische Distanz
von 42,195 km hinterherläuft – Sonja Oberem – sorgten für
den ersten Doppelerfolg der deutschen Leichtathletik in München.
„Für mich war dieser zweite Platz keine Überraschung. Ich hatte
sehr gut trainiert und mir sogar den Sieg zugetraut“, erklärte die
33-jährige Zaituc, die erst im Frühjahr 2001 ihren ersten Marathon
gelaufen war. Damals wurde sie Zweite in Hamburg, dann steigerte sie sich im
Herbst in Frankfurt als Deutsche Meisterin auf 2:26:01. In München war sie
die komplette erste Hälfte des Rennens gemeinsam mit der Belgierin Marleen
Renders an der Spitze des Feldes gelaufen. Die Berlin-Marathon-Siegerin des
Jahres 1998 war ausgehend von der persönlichen Bestzeit die schnellste im
Feld, doch eine Muskelverletzung stoppte sie noch vor der 25-km-Marke.
„Ich merkte, dass sie langsamer wurde und wollte nicht alleine an der
Spitze weiterlaufen. Deswegen ließ ich die beiden Verfolgerinnen
herankommen“, erklärte Luminita Zaituc. Doch nur kurz liefen dann
Zaituc, Oberem und Guida zusammen. Dann zog die Italienerin davon. „Ich
konnte nicht mehr so gut umschalten zu einem schnelleren Tempo“,
erklärte Zaituc, die 1990 aus Rumänien nach Deutschland gekommen war.
Auch das tosende Publikum konnte Luminita Zaituc nicht mehr helfen im Kampf um
Gold. „Mir brummte der Kopf, so laut war es an der Strecke“,
erzählte Zaituc.
„So etwas habe ich noch nie erlebt – es war der Wahnsinn“,
sagte Sonia Oberem zu der Stimmung an der Strecke. Sie muss es wissen. Denn die
frühere Triathletin ging seit den Weltmeisterschaften 1995 in jedem Jahr
bei den jeweiligen internationalen Titelkämpfen an den Start. Doch bis
gestern musste sie dabei auf eine Medaille warten. Achte war sie schon bei
Olympia 1996, die Ränge acht, sieben, sechs und fünf belegte sie bei
den letzten vier Weltmeisterschaften. „Diese Medaille zu gewinnen, war
mein großer Traum“, erzählte Sonia Oberem, die zwischendurch
die Hoffnung schon fast verloren hatte. „Als die anderen beiden nach 25
km wegliefen und ich auf dem schweren Kurs eine Schwächephase hatte,
dachte ich schon, jetzt wirst du wieder Fünfte.“
Doch von hinten musste Sonia Oberem keine Konkurrenz mehr fürchten. Das
lag freilich auch daran, dass bei diesem EM-Marathon nur ein kleiner Teil der
europäischen Spitzenläuferinnen am Start war. Zu unattraktiv ist
für viele ein Europameisterschafts-Marathon. Das galt freilich nicht
für Luminita Zaituc und Sonia Oberem. Für sie sind Silber und Bronze
Gold wert.