Die folgende Auszug entstammt der Diplomarbeit von Dipl.-Met. Robert Fuchs,
der diese Arbeit bei der Auswertung vergangener BERLIN-MARATHONs entwickelte.
Einleitung
An einem heißen Sommertag im Jahre 490 v. Chr. lief der griechische
Bote Philippides sechsund-zwanzig hügelige Meilen von Marathon nach Athen,
um die Nachricht vom Sieg der Athenischen Armee über die Perser zu
verkünden. Wir wissen nicht, inwieweit diese Legende Herodots auf
Tatsa-chen beruht; dennoch ist fast jedem heutigen Marathonläufer das Ende
jener Geschichte bekannt: Nach Überbringung der freudigen Botschaft und
total erschöpft verstarb der Soldat an den Folgen eines Hitzschlags.
Hitzeschäden sind vermeidbar. Organisatoren von Sportveranstaltungen,
Trainer und Sportler selbst können hierzu beitragen. Mit zunehmendem
Wissen um die Physiologie der Dauerleistung gewann auch die
Berücksichtigung der Wärmebilanz des menschlichen Körpers an
Bedeutung. Der bewusstere Umgang mit den Grenzen der eigenen physischen
Leistungsfähigkeit hat nicht zuletzt dazu beigetra-gen, dass die
Ereigniswahrscheinlichkeit für Komplikationen beim Marathonlauf heute
nicht höher ist als im normalen Leben .
... kurzgefasst
Eine Auswertung des BERLIN MARATHONs hat gezeigt, dass deutliche
Zusammenhänge zwischen den Marathon-Ergebnissen und
Wettergrößen wie Lufttemperatur, Feuchttemperatur und
Klimasum-menmaßen (= Index, der mehrere Wettergrößen
zusammenfasst) bestehen. Die Laufzeiten von mehr als fünfzig
Jubilee-Läufern wurden mit den stündlichen meteorologischen Daten
jedes Wettkampfta-ges korreliert. Die grafischen und statistischen Auswertungen
haben ergeben, dass die Lufttemperatur den besten Hinweis auf die
Wettkampfergebnisse liefert. Der Korrelationskoeffizient zwischen den
durchschnittlichen Laufzeiten der Jubilee-Läufer und der Lufttemperatur
beträgt R=0,87. Sämtliche Klimasummenmaße zeigen einen
signifikanten Zusammenhang mit der Wettkampfleistung. Darüber hinaus ist
auch leichter Nieselregen leistungsfördernd.
... in Stichpunkten
Der Marathonlauf stellt eine physische Grenzbelastung dar, die vor allem die
Wärmebilanz des menschlichen Körpers stark beansprucht. Bei
körperlicher Arbeit sind die Muskeln die wichtigsten
Wärmeproduzenten. Bei einem Wirkungsgrad von 20 bis 25% werden mindestens
75% des Energie-umsatzes in Wärme umgewandelt. Ohne Wärmeabgabe
wäre der resultierende Anstieg der Körpertemperatur (etwa 1°C
alle 5 bis 8 Minuten) für maximal 20 Minuten durchzuhalten. - Bei den
Spitzenathleten werden bis zu 85% der individuellen maximalen
Ausdauerleistungsfähigkeit während des gesamten Wettbewerbs
eingesetzt. Auch bei Breitensportlern ist der Energieumsatz beachtlich.
Demzufolge wirken widrige äussere Bedingungen, die Einfluss auf den
Wärmehaushalt ausüben, leistungsbegrenzend.
Um im Rahmen einer Untersuchung ein repräsentatives Resultat zu
gewährleisten, musste ein breites Leistungsspektrum an Marathonteilnehmern
betrachtet werden. Außerdem sollten nur mehrfache Teil-nehmer
berücksichtigt werden, um die individuellen Leistungsdaten als
abhängige Größen gegenüber-stellen zu können.
Unerwünschte, personenbezogene Einflussgrößen wurden
herausgefiltert.
Der BERLIN-MARATHON ist aufgrund seiner langen Tradition und der seit 1981
vergleichbaren Streckenführung ein geeignetes Untersuchungsobjekt. Die
Jubilee-Läufer (mindestens 10 Teilnahmen) sind die ideale Probandengruppe.
Ihre Angaben zu Laufzeiten und persönlichen Daten (Alter, Ge-schlecht,
Größe, Gewicht) ermöglichten eine individuelle
Leistungskontrolle. Das bewusst breit ange-legte Alters- und Leistungsspektrum
war Voraussetzung für ein allgemeingültiges Ergebnis.
Die vom Meteorologischen Institut der FU Berlin zur Verfügung
gestellten stündlichen bzw. 3-stündlichen Messwerte der Temperatur,
der Feuchte, der mittleren Windgeschwindigkeit, der Global-strahlung u. v. m.
sowie die 30-jährigen Mittelwerte ebendieser Parameter (1971-2000)
ermöglichten eine Selektion der maßgeblichen
Einflussgrößen. Wetterkarten und –berichte („Berliner
Wetterkarte“) vom jeweiligen Marathontag ermöglichten darüber
hinaus die Betrachtung von Luftmassen, Fronten und Großwetterlage in
einer erweiterten Analyse.
Die Auswertungen haben gezeigt, dass sich die Laufzeiten in
Abhängigkeit von der Ausprägung ein-zelner Wetterparameter
signifikant unterscheiden. Die Marathonlaufzeiten korrelieren mit der Luft-
Feucht- und Strahlungstemperatur, dem Wasserdampfdruck, der relativen Feuchte
und der Umströ-mungsgeschwindigkeit des Läufers. Die
Abhängigkeit zur Lufttemperatur war am deutlichsten. Der Einfluss von
Strahlungstemperatur und Windgeschwindigkeit ist aufgrund der urbanen Bebauung
stark vermindert. Die individuelle Strahlungsbelastung unterliegt u. a. dem
Verhalten des einzelnen Läufers (Aufsuchen schattiger
Straßenhälften). Von den thermoregulatorisch maßgeblichen
Parametern sind die Lufttemperatur und die Luftfeuchte entscheidend. Im
Gegensatz zu Sonne und Wind kann sich ein Marathonläufer der
Lufttemperatur und den Feuchteverhältnissen nicht entziehen. Abgesehen von
einer angepassten Kleiderwahl und ausreichender Flüssigkeitszufuhr
während des Rennens können dem Körper kaum Entlastungen geboten
werden. Was in der Vorbereitung (Trainingszustand, Akkli-matisationsgrad ...)
versäumt wurde, lässt sich nun nicht mehr kompensieren. Luft- und
Feuchttempe-ratur stellen gute Indikatoren für die thermische
Belastungssituation beim Berlin-Marathon dar. Allein die
Lufttemperatur(-prognose) für 10 Uhr MEZ gibt bereits einen guten Hinweis
auf die thermische Belastungssituation am Marathontag. 10-Uhr-MEZ-Werte unter
12°C führten zu überdurchschnittli-chen Ergebnissen,
unterdurchschnittliche Resultate waren stets mit Temperaturen über etwa
14°C verbunden.
Der Einfluss der Großwetterlage konnte mithilfe der nach Hess und
Brezowsky und von Enke erfolgten Klassifikationen untersucht werden. Die
deskriptive Analyse hat gezeigt, dass vor allem das Tempera-turregime der
objektiven Klassifikation der Großwetterlagen nach Enke die
Differenzierung zwischen den Jahren leistungsbezogener Extrema am deutlichsten
wiedergibt. Der Warmluftkörper über Südeu-ropa charakterisiert
das leistungsschwächere, der Kaltluftkörper über Nordost-europa
dagegen das leistungsstärkere Marathonjahr. Luftmassen arktischen und
subpolaren Ursprungs beeinflussen die durchschnittliche Leistungsfähigkeit
beim Marathon positiv. Das Gegenteil gilt für erwärmte bzw. gealterte
Luftmassen und Subtropikluft. Aufgrund der geringen Stichprobenzahl bzw.
Auswer-tungsjahre haben diese Ergebnisse aber nur beschreibenden Charakter.
Ein Vergleich der eigenen Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen
(Boston-Marathon / USA und Bejing-Marathon / China) konnte zeigen, dass eine
große Leistungsheterogenität der untersuchten Marathonläufer
für die Allgemeingültigkeit des Gefundenen entscheidend ist. Die
Lufttemperatur und die Feuchttemperatur zeigten bei der Analyse des
Bejing-Marathons deutliche Parallelen zum Berlin-Marathon. Auch die positive
Wirkung leichten Niederschlags wurde bestätigt. Die größere
Bedeutung der Feuchte beim Boston-Marathon könnte vom maritim
geprägten Klima ausgehen. Der Autor weist ausdrücklich darauf hin,
dass die hier vorgestellten Ergebnisse nur die Verhältnisse beim
BERLIN-MARATHON wiedergeben und nicht verallgemeinert werden dürfen. Dies
betrifft insbesondere die quantitativen Angaben.
Weitere Untersuchungen unter Berücksichtigung der individuellen
Leistungsfähigkeit der Läufer sind erforderlich. So stellt die
maximale Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2max) als Ausdruck höherer
Ökonomie und größerer Leistungsreserven im Ausdauersport eine
thermoregulatorisch bedeutsame Größe dar. Die verfügbaren Daten
erlaubten eine entsprechende Untersuchung leider (noch) nicht.
Resümee
Die Marathonleistung wird von vielen Randbedingungen mitbestimmt. Einige
davon können von uns nicht beeinflusst werden (Konstitution,
Körperwuchs, Witterung, u. v. m.), andere dagegen erfordern lediglich ein
bewusstes Erkennen und Handeln. Eine langfristige und gezielte Vorbereitung
durch regelmäßiges Training wird stets vorausgesetzt. Durch
angepasstes Verhalten könnte manch enttäu-schendes Marathonergebnis
vermieden werden. Umso mehr gilt es, den beeinflussbaren Faktoren un-sere
Aufmerksamkeit zu schenken. Vor der Reaktion steht aber immer die bewusste
Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit den Gefahren. Das Zusammenspiel von
Witterung und Ausdauerleistung sollte in diesem Zusammenhang nicht
vernachlässigt werden!