Wie ist es zu der Entscheidung gekommen, sich aus vom aktiven Wettkampfsport
zu verabschieden und die erfolgreiche Karriere gerade in dieser Phase zu
beenden?
Baumann: So eine Entscheidung trifft man nicht aus dem Bauch heraus und hat
im Prinzip mit dem Abschneiden bei einem Wettbewerb nichts zu tun. Es ist eine
Entscheidung, die man nicht in einem Augenblick fällt, sondern eine, die
reift. Und ich weiß, dass diese Entscheidung bereits während des
Trainingslagers in Kenia im Januar zu reifen begann. Dort ist eine alte
Verletzung wieder ausgebrochen, die mich während der gesamten Saison
begleitet hat. Ich musste feststellen, dass ich mich in einem Stadium befinde,
in dem ich die Verletzungen nicht mehr so wegstecke wie ich das vielleicht vor
ein paar Jahren getan habe. Ich habe gemerkt, hoppla, diese Verletzung ist
anders und ich muss auch anders damit umgehen. Es kommt die Alterskomponente
dazu, denn als junger Athlet ist es doch eigentlich kein Problem, weil man die
Zeit hat, das auszukurieren und dann wieder einzusteigen. Und mir war schon
klar, dass ich in meinem Alter diese Zeit nicht mehr habe, einfach ein halbes
Jahr auszusetzen.
18 Jahre Hochleistungssport, viele Höhen, einige Tiefen. Haben Sie
sich Ihren Rücktritt von der sportlichen Bühne so
vorgestellt?
Baumann: Im Grunde genommen habe ich mir das immer folgender Maßen
vorgestellt: Als junger Athlet hat man begonnen, hat den ersten
Schülerwettkampf gewonnen, hat weitere Erfolge gefeiert, es lief ganz gut
und wurde besser und besser. Irgendwann war man dann Mitglied der
Leichtathletik-Familie und hat seine Karriere weiterentwickelt. Ich habe immer
gedacht, dass es auch schön wäre, so auszusteigen: Man macht ein paar
Rennen, startet bei weiteren Rennen und irgendwann merkt der Zuschauer gar
nicht mehr, ob es den Baumann nun gibt oder nicht. Man löst sich wieder in
Luft auf, so wie man auch gekommen ist.
In meinem Fall ist das natürlich sehr schwierig, weil ich bekannt bin
und der Fokus auf mich gerichtet ist. Daher wähle ich jetzt diesen Weg zu
sagen: Mein Abschied ist beim Lauf in Tübingen, weil es meine Heimatstadt
ist.
Trotzdem wird der Rücktritt für viele überraschend
sein.
Baumann: Ich habe nach Paris noch mal versucht, für meinen Start beim
Marathon in New York ins Training zu kommen. Aber ich merke, dass ich keinen
Schwung mehr habe. Ich finde einfach keinen Tritt mehr und merke, dass ich die
Vorbereitung, wie ich sie für New York geplant hatte, nicht mehr machen
kann. Deshalb habe ich mich auch entschieden, New York nicht zu laufen, mit der
Konsequenz, gar nicht erst in die Vorbereitung für nächstes Jahr zu
gehen.
Für Sie scheint diese Entscheidung gar nicht mal so
überraschend zu klingen wie es sicherlich für das Gros der Fans sein
dürfte.
Baumann: Man muss das doch mal relativieren. Es wurde immer sehr viel in den
Medien darüber spekuliert, wann Dieter Baumann seinen Rücktritt
bekannt geben wird. Bei jedem Wettkampf, der einigermaßen gut lief, hat
man geglaubt, jetzt würde ich die Gunst der Stunde nutzen und mich
verabschieden. Und als es ganz schlecht lief, wie in Paris hat auch jeder
gesagt, "jetzt reicht es aber, und er tritt zurück".
War denn Paris nicht doch der entscheidende Tropfen, der das Faß
zum Überlaufen gebracht hat?
Baumann: Nein. Ich will das nicht an einem Wettkampf festmachen, denn so
einen Entschluss trifft man nicht über Nacht. Aber an Ihrer Frage ist
etwas Wahres dran, denn wenn man sagt "der Tropfen zum
Überlaufen", sieht man doch schon, dass es nicht mehr viel gebraucht
hat. Die Form in Paris stand in keinem Verhältnis zu meiner Vorbereitung
und den guten Ergebnissen von Berlin und Zürich. Ich habe in diesem Jahr
für meine Verhältnisse sehr viel trainiert und sehr viel gearbeitet.
Nur wenn ich dann sehe, dass der Ertrag nicht meine eigenen Erwartungen
erfüllt, bin ich mittlerweile bedingt durch mein Alter und meine
Erfahrungen in der Position, wo ich sagen kann: "Leute, die Zeit ist
da!". Diese Erkenntnis ist weit wichtiger als das Ergebnis eines einzelnen
Rennens.
Trotzdem haben Sie im Vorfeld einige Erwartungen geschürt. Glauben
Sie nicht, dass Sie mit Ihrem Rücktritt heute auch viele enttäuschen
werden?
Baumann: Also zunächst enttäusche ich mich doch selbst. Aber ich
habe selbstverständlich auch mit den Organisatoren in New York
telefoniert, die mich gebeten haben, meine Entscheidung zu überdenken,
schließlich seien noch zwei Monate Zeit. Für mich ist aber der
eigene Anspruch das Entscheidende. Noch vor einiger Zeit hätte ich gesagt,
es ist alles auf dem richtigen Weg. Aber bei mir ist inzwischen der Faden in
der Vorbereitung gerissen. Ich bräuchte nun sehr lang, diesen Faden wieder
aufzunehmen. Diese Zeit habe ich nicht. Was New York angeht, es geht mir nicht
allein darum, Marathon zu laufen, sondern darum, vorne mitzulaufen. Dieses Ziel
hatte ich mir gesetzt. Ich bin nicht bereit, mich mit einer Zeit von 2:20 h
zufrieden zu geben. Es gibt für mich da keine Zwischentöne.
Ein großer Sportsmann tritt ab. Die Leichtathletik verliert eines
ihrer Aushängeschilder. Wie möchten Sie in Erinnerung
bleiben?
Baumann: (lacht) Also ich sterbe ja nicht, ich lebe ja noch. Nein, im Ernst,
ich habe die Hoffnung, dass man mich respektiert, wie ich bin. Ich denke, dass
ich niemandem etwas Böses getan habe. Ich hoffe, dass der ein oder andere
durch meine Wettkämpfe schöne Momente hatte. Ich hatte sie in jedem
Fall und ich möchte nichts von dem missen, was ich in den 18 Jahren
Hochleistungssport erlebt habe.
Wenn es um Laufsport in Deutschland geht, kommt man an Dieter Baumann
nicht vorbei. Wird das auch nach Ihrem Karriereende so bleiben?
Baumann: Ich höre ja nicht mit dem Laufen auf, sondern nur mit den
Wettkämpfen. Natürlich werde ich weiter laufen. Ich werde es mir doch
nicht nehmen lassen, bei dem ein oder anderen kleineren Lauf vorne in der
ersten Reihe zu stehen. Wenn ich Lust habe, einen Halbmarathon oder einen
Zehner zu laufen, dann mache ich das. Der Unterschied zu vorher ist, dass ich
ihn natürlich anders laufen werde, als man das bislang von mir gewohnt
ist. Das werden für mich Erlebnisläufe sein.
Darüber hinaus bin ich seit 12 Jahren bei ASICS, die ja nun genauso
für das Laufen stehen. Zusammen mit meinem langjährigen
Ausrüstungspartner möchte ich das Thema Laufen weiterentwickeln.
Interview: ASICS