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Dieter Baumann stellt Hamburg auf den Kopf – und stößt an seine Leistungsgrenzen

Fast alles drehte sich beim Hansaplast-Marathon in Hamburg um Dieter Baumann

und dessen Debüt. Wohl selten hat die deutsche Laufszene einem Rennen so

entgegen gefiebert wie dem Auftritt des 5000 m-Olympiasiegers von Barcelona.

Einschließlich der Medienlandschaft. „Marathonman“ Baumann

hat am wenigsten zu Spekulationen beigetragen, die von einer Verbesserung des

deutschen Rekordes von 2:08:43 bis zu einer 2:16/ 2:17er Endzeit reichten. Noch

vor Ort wußte Dieter Baumann die Experten zu bremsen, als immer wieder

von einem Experiment sprach. Schließlich war der Tübinger in seiner

Vorbereitung nicht länger als vierunddreißig Kilometer gelaufen.

Eine Parallelität zu Haile Gebrselassie oder Paul Tergat bot sich zudem

nicht an, weil Dieter Baumann keine ausgesprochene Straßenerfahrung

vorweisen konnte, allenfalls den einen oder anderen Auftritt auf einer

Kurzdistanz. Von einer Halbmarathonzeit ganz zu schweigen....

Hamburgs Sportpublikum stand zwar nicht kopf, doch hunderttausendfach am

Streckenrand. Lästerliche Zungen behaupteten zumindest, die eher

unterkühlten Hanseaten haben den Marathon als Ersatz für die

andernorts zelebrierten Karnevals- oder Faschingsumzüge angenommen –

und ließen praktisch keine Ecke auf dem 42,195 km-Rundkurs zwischen St.

Pauli, der Außenalster und Eppendorf aus. Hamburg im

Marathon-Ausnahmezustand. Selbst ältere Damen mit wenig Sportbezug standen

am Streckenrand und zeigten sich im Spannungszustand. „Wann kommt denn

der Baumann?“ Und er kam flott vorbei, zumindest die halbe Strecke lang.

Die durchweg aus Afrikanern bestehende Spitze im Fokus. Als es für die

Marathonmänner ans Eingemachte gehen sollte, da war der Schwabe nicht mehr

von der Partie. Zwangen eher muskuläre oder psychische Probleme den seit

seinem furiosen Auftritt bei der European 10 000 m-Challenge vor gerade einmal

zwei Wochen weltweit die aktuelle Nummer eins über 10 000 Meter zum

Aufhören? „Bis zur Halbmarathonmarke lief es wunderbar, nur 30

Sekunden hinter der Spitze zurück. Ich hatte eigentlich den Eindruck,

alles sei gesichert. Es hat vielleicht einmal im Oberschenkel gezogen. Das

war’s aber auch schon. Bei 32 km mußte ich die Gruppe aber ziehen

lassen und versuchte, meinen eigenen Rhythmus zu finden. Da war es

plötzlich ein 3:30er Kilometerabschnitt. Ich habe mir dann gesagt: Laufe

etwas engagierter – und schon waren es 3:45. Beim nächsten Abschnitt

sogar 4:00 Minuten. Ich habe irgendwann realisiert, das es nicht einmal mehr

eine 2:20er Zeit geben würden. Es hat nicht unbedingt weh getan. Ich hatte

auch keinen Blackout, sondern war voll bei Sinnen! Die Energie war einfach

nicht mehr da!“ gesteht Dieter Baumann offen ein. Wohl aber die

Erkenntnis: „Ich werde dies wieder machen!“ Und meinte damit ein

weiteres Experiment in Sachen Marathon.

Bewundernswert, wie der 37jährige Tübinger mit selbst dem

größten Druck umzugehen versteht. Zumindest äußerlich

gelassen. Konzentriert vor dem Start, hellwach im Rennen, geduldig selbst im

größten Journalistenpulk zu fast allen Fragen bereit. Wie kaum ein

anderer Athlet zieht Dieter Baumann die Medien an. Einer zum Anfassen. Trotz

oder gerade wegen der Affäre.... Ehefrau Isabelle hingegen sichtlich

angespannt, Ohne viel Aufhebens stieg sie schon zur Streckenhälfte aus dem

Begleitfahrzeug aus und wollte sich einfach dem Rummel entziehen.

Baumann konnte keinen Mißgriff im Trainingsaufbau erkennen. Aber eine

neue Erkenntnis weiss er aus Hamburg mit ins Schwäbische zu nehmen: Trotz

hoher Trainingsumfänge ist der Olympiasieger physisch und psychisch (noch)

kein Marathonmann. „Ich habe erkannt, Marathon ist eine andere Disziplin.

Ich muss einfach akzeptieren, dass ich nicht die selbe Klasse über diese

Strecke haben kann. Die 27:38 von Camaiore sagen überhaupt nichts aus

über eine zu erwartende Marathonleistung!“ Für Dieter Baumann

geht damit die Welt nicht unter, er habe ein Experiment wagen wollen. Dieses

sei „zunächst einmal abgebrochen“, wie er es eindeutig

formulierte. Es ging in die Hosen. Er ist „nur“ 32 Kilometer lang

gelaufen, spüre aber schon jetzt die Schmerzen. Für die vielen

Freizeit- und Hobbyläufer mehr als tröstlich, dass auch einem

ausgewiesenem Meisterläufer nichts in den Schoß fällt. Diesmal

hat er kapituliert, der weisse Kenianer.

Doch wie geht es weiter bei Dieter Baumann, der sich nach seiner

zweijährigen Wettkampf-Zwangspause in atemberaubender Geschwindigkeit in

der Halle, im Cross und auf der Kunststoffbahn zurückzumelden wußte?

Den Kopf in den Sand stecken gewiss nicht. „Erst werde ich mich erholen

und werde dann den Sommer vorbereiten. Ich muss aber jetzt sagen, ich bin froh,

dass ich die 10 000 m-EM-Norm bereits habe!“

Wilfried Raatz