„Der Berlin-Marathon ist dreißig und wächst immer noch“
hätte die Headline für viele Tageszeitungen sein können, denn
der die dreißigste Auflage real,- BERLIN MARATHON setzte einmal mehr mit
35.000 Marathonläufern, 9.000 Inline-Skatern und 7.000
Mini-Marathonläufern ein neues Rekordmaß und zog damit mit den
Veranstaltungen in Chicago, London und New York gleich. Dazu auf einem neuen
Streckenparcours vorbei an allen touristischen Attraktionen mit dem Ziel am
Brandenburger Tor. Doch fünf Jahre nach dem Weltrekord des Brasilianers
Ronaldo da Costa stieß ein exzellent aufgelegter Paul Tergat mit einer
generalstabsmäßigen Tempoarbeit seiner kenianischen Teamkollegen
Sammy Korir und Titus Munji mit einer neuen Weltrekordzeit von 2:04:55 Stunden
in neue Dimensionen vor. „Paul, bringe den Weltrekord nach Berlin“,
hatte noch drei Tage zuvor Tegla Loroupe ihrem Landsmann mit auf den Weg
gegeben. Und Paul Tergat, nach seinen Erfolgen mit fünf
Cross-Weltmeistertiteln und zwei Halbmarathon-Weltmeistertiteln als zweifacher
Olympiazweiter und mehrfacher Marathonzweiter in London wie auch in Chicago als
eher glückloser Umsteiger auf die 42,195 km-Distanz abgestempelt, befolgte
die Aufforderung seiner nicht minder berühmten Laufkollegin mit
unglaublicher Präzision.
Tergats weise Entscheidung für Berlin Nach einer Zwischenzeit bei
Streckenhälfte von 1:03:01 Stunden ließ Tergat nahezu unglaubliche
1:01:55 Stunden auf der zweiten Halbdistanz folgen. Damit war das vollbracht,
was viele Fachleute von dem einstigen Ass im Crossgelände und auf der
Kunststoffbahn erwartet hatten, nämlich einen Weltrekord zu laufen. Doch
zweimal kam ihm der Marokkaner Khalid Khannouchi zu, zweimal hatte Paul Tergat
das bittere Nachsehen. Auch wenn die Veranstalter in Chicago dem elegant
laufenden Kenianer ein besseres Angebot machten, er entschied sich nach
Beratung mit seinem Manager Dottore Gabriele Rosa für den anerkannt
schnellen Kurs in Berlin. Sehr zur Freude von Organisator Horst Milde. Denn
Tergat sorgte nach den Weltrekorden von Tegla Loroupe (1999), Naoko Takahashi
(2001) und Ronaldo da Costa (1998) nunmehr für den vierten Weltrekord auf
dem Hauptstadtkurs. Und kassierte aus dem Veranstalterbudget
einschließlich der Weltrekordprämie 110 000 Euro. Die Prämie
seines neuen Sportausrüsters Nike ebenso nicht eingerechnet wie auch die
Antrittsprämie, die Manager Dr. Gabriele Rosa bereits im Vorfeld
ausgehandelt hatte.
Horst Milde: „Erneut eine sporthistorische Stunde“ „Das
ist erneut eine sporthistorische Stunde“, wertete Milde dann auch bei der
Pressekonferenz im Hotel Adlon den Weltrekordlauf des Kenianers. Mit Fug und
Recht, denn Olympiasiegerin Naoko Takahashi lief 2001 mit 2:19:46 als erste
Frau unter der 2:20-Stunden-Marke, Paul Tergat nun als erster Läufer unter
die 2:05 Stunden-Marke. Und in dessen Schlepp folgte im Sekundenabstand bereits
mit dem als Tempomacher eingesetzten Sammy Korir ein weiterer Läufer.
„Das ist ein Gottesgeschenk. Was sich heute auf Berlins Straßen
abgespielt hat, das ist einfach unglaublich!“ Für Horst Milde, den
für die Athletenverpflichtung zuständigen Mark Milde und die
vieltausendköpfige Helferschar ist die nahezu unglaubliche Geschichte des
Berliner Marathons in ein neues Stadium getreten. Dreißig Auflagen
Berlin-Marathon, die Geschichten rund um die Veranstaltungen dürften
Bände füllen. Vergessen sind die vielen Querelen und Diskussionen,
bis Jahr für Jahr die Durchführung gesichert war. „Es ist
einfach verrückt. Alle sind bis an ihre Grenzen gegangen. Wir legen die
Hauptstadt lahm, legen uns mit vielen Gremien an und sind nachher wieder
Freunde. Das läßt sich nur mit einem Satz umschreiben: Berlin steht
hinter uns!“
Teamwork als Weltrekord-Garantie „Wir haben es geschafft. Sammy und
ich!“ Diese Einschätzung ist typisch für den neuen
Weltrekordler. Als „Gentleman“ ist er seit vielen Jahren in der
internationalen Laufszene bekannt. Die eigene Leistung nicht
überbewertend, das Team stets im Blick. Und das Team um Paul Tergat
leistete in Berlin schier unglaubliches. Als das Rennen nach
Streckenhälfte schneller wurde, zeichneten ausschließlich Sammy
Korir und Titus Munji verantwortlich. Der eine selbst ein Klasseläufer mit
einer Bestmarke von 2:08:13, der andere erst auf Drängen von Teragt
kurzfristig in die Startlisten noch aufgenommen weiß lediglich eine
2:16er (!) Leistungsfähigkeit vorzuzeigen. Das ist freilich nun nach dem
heutigen denkwürdigen Rennen passé. Noch bei 25 km deutete eine
Hochrechnung lediglich auf eine 2:06er Endzeit hin. Nach einem 5 km-Abschnitt
in 14:43 rückte allerdings der Weltrekord schon in greifbare Nähe.
Und der Steigerungslauf sollte noch furioser werden, denn die nächsten
beiden 5 km-Abschnitte zur 40 km-Marke in 14:35 und 14:36 sollten selbst Horst
Milde im Begleitfahrzeug unruhig werden. Schon hier schien klar zu sein, dass
die neue Streckenführung nicht nur genau so schnell, sondern schlichtweg
besser ist! Und der Weltrekord rückte mehr und mehr in greifbare
Nähe. Bei 41 km schien eine Vorentscheidung zu fallen, denn Tergat konnte
sich einige Meter von seinem „Edelhasen“ Sammy Korir lösen.
Doch eine Schrecksekunde am Brandenburger Tor, als Tergat., vom
Führungsfahrzeug irritiert, erstmals im Rennen von der Ideallinie wich,
führte Korir wieder auf Tuchführung heran. Im Sprint verteidigte
letztlich Paul Tergat einen hauchdünnen Vorsprung vor dem sensationellen
Korir und dem nicht minder begeisternden Titus Munji, der als Dritter in
2:06:15 nicht nur einen Quantensprung um zehn Minuten schaffte, sondern alle
weiteren Mitfavoriten einschließlich des Vorjahressiegers Raymond
Kipkoech in die Schranken verwies. „Das Publikum war im Vergleich zu
Chicago großartig. Die Unterstützung an der Strecke mit Musik und
Trommeln ließ die Schmerzen vergessen“, lobte der neue
Weltrekordler die Atmosphäre in Berlin. Für den Vierten Andres
Espinosa gab es gleichwohl Grund zum Jubeln, denn der inzwischen 40jährige
Mexikaner lief mit 2:08:46 einen neuen Masters-Weltrekord. Erst dann der
Überraschungsmann des Vorjahres, der nach einer längeren
Verletzungspause das Weltrekordtempo der Tergatgruppe nicht durchstehen konnte
und nach 26 km aus der kompakten Spitze zurückgefallen war.
Neidlos gönnte der knapp unterlegene Sammy Korir seinem prominenten
Teamkollegen den Sieg und damit auch den Weltrekord. „Ich konnte Paul
heute nicht schlagen, denn er war bestvorbereitet. Ich habe meine
Vorbereitungen eigentlich auf den Amsterdam-Marathon abgestimmt!“ Als
Nebenprodukt haben Tergat und Co. sogar als Team eine neue inoffizielle
Weltbestzeit für Mannschaften aufgestellt. Gewiss kein Muster ohne Wert,
denn mit dieser grandiosen Vorstellungen haben die kenianischen Läufer das
doch etwas beschädigte Ansehen der Weltmeisterschaften von Paris
korrigiert. Einmal mehr hat Berlin aber auch seinen Ruf als
Qualitätsmarathon unterstrichen, denn acht Läufer blieben letztlich
unter der 2:10 Stunden-Marke. Zwei Tage nach seinem 26. Geburtstag wollte es
bei dem Überraschungs-Europameister Janne Holmen nicht recht laufen, denn
anstelle der angestrebten Endzeit um 2:10 wurden es lediglich 2:12:10, was aber
dennoch für den promovierten Finnen Hausrekord bedeutete.
Vierter japanischer Sieg durch Yasuko Hashimoto Nach Kazumi Matsuo (2000),
Naoko Takahashi (2001 und 2002) sorgte nun Yasuko Hashimoto für den
vierten Sieg einer japanischen Läuferin in Berlin. Ganz im Schatten des
schnellen Männerrennens war das Rennen der Frauen lange Zeit eine offene
Angelegenheit mit wechselnder Führung. Die lange Zeit führende
ehemalige 10 km-Weltmeisterin im Bahngehen Alina Ivanova mußte letztlich
mit Rang fünf zufrieden sein. Dafür rückte in der zweiten
Streckenhälfte die Japanerin mehr und mehr ins Blickfeld, konnte aber erst
im Schlussteil die von Volker Wagner betreute Emily Kimuria und Ornella Ferrara
auf Distanz halten. Für die Yasuko Hashimoto gab es mit 2:26:32 eine neue
Bestzeit. „Ich wäre gerne noch etwas schneller gelaufen, aber ich
bin auch so sehr glücklich!“ gestand die 28jährige nach ihrem
dritten Maratholauf ihrer Laufbahn. Mehr hingegen hatten die Fachleute von der
Britin Liz Yelling erwartet, die trotz einer 10 000 m-Zeit von 31:58 Minuten
nicht über Rang acht und 2:30:58 Stunden hinaus kam.
Kathrin Weßel nur Fünfzehnte Für die deutschen Athleten
wurde das Hauptstadt-Rennen keineswegs zum Highlight. SCC-Läufer Jirka
Arndt kam auf Rang 23 in 2:16:28 ins Ziel, Sebastian Bürklein hingegen
überhaupt nicht. Auch Kathrin Weßel hatte sich den Auftritt durch
ihre Heimatstadt anders vorgestellt als Rang fünfzehn mit 2:38:15 Stunden.
Dagegen feierte Anja Carlsohn (LG Nike Berlin) als Neunzehnte mit 2:42:16
Stunden eine passable Rückkehr nach längerer Verletzungspause.