Im folgenden veröffentlichen wir einen Artikel aus "Die ZEIT"
- DIE ZEIT LEBEN - Lebenshilfe - Nr 22, Seite 50 vom 19. Mai 2004.
Gerade in Bezug auf die vielen Läuferinnen und Läufer aus
Büros, Firmen und Kanzleien, die am Mittwoch und Donnerstag an der 5.
Berliner TEAM-Staffel von SCC-RUNNING teilnehmen, könnte dieser Beitrag
unter der Überschrift "Sitten & Gebräuche" interessant
und lesenswert sein."
Wer es jetzt nicht tut, hat wirklich Probleme. In deutschen Parks fällt
jeder auf, der sich morgens nicht laufend bewegt, und in jeder Firma weiß
jeder, dass Läufer (vor allem Morgenläufer) im Job kreativer und
fitter sind. Was also tun, wenn Sie immer hartnäckiger gefragt werden, ob
Sie denn auch liefen, es aber draußen morgens immer so kalt ist und Sie
sich von Ihren drahtigen Marathon-Kollegen nicht dabei überholen lassen
möchten, wie Sie nach einigen Schritten keuchend kapitulieren? Da bleibt
nur: Tun Sie so, als ob.
Kaufen Sie Laufbücher, und pauken Sie Theorie. Weiche Kleidung, welche
Schuhe benötigen Sie (lernen Sie die besten Marken auswendig!), wann (das
hängt auch von Ihrer Firmenkultur ab) ist eine Pulsfrequenz-Uhr sinnvoll,
wann lächerlich? Stehen ein paar Kollegen breit grinsend auf dem Flur
zusammen und sprechen über den nächsten Stadtlauf, streuen Sie Ihr
Wissen lässig ein (sprechen Sie niemals von »joggen«!). Fragt
man Sie nach Strecke und Zeit, wählen Sie ein Mittelmaß, das birgt
nicht die Gefahr, dass ehrgeizige Kollegen sich am nächsten Morgen tun
sechs mit Ihnen messen wollen. Wollen Sie mit aktuellen Fragen (»Darf man
bei Kälte durch den Mund atmen?«, »Rolle ich im Nadelwald
anders ab als im Laubwald») punkten, studieren Sie die
Läufer-Chatforen im Internet, oder fragen Sie die Verkäufer in
Laufshops. Treffen Sie dort einen Ihrer Kollegen, kaufen Sie ruhig etwas,
Laufsocken (»Die alten sind schon wieder durchgelaufen«) kann man
im Winter auch als Nichläufer tragen.
Verhalten Sie sich auch sonst glaubwürdig. Kommen Sie morgens mit einer
Sporttasche zur Arbeit, natürlich breit grinsend (denken Sie einfach an
die Kollegen, die viel früher aufgestanden sind, um im Halbdunkel zwischen
Hundehaufen Slalom zu laufen). Haben Sie immer eine Flasche Wasser auf Ihrem
Schreibtisch stehen, und nehmen Sie auch in Konferenzen jede Minute einen
gurgelnden Schluck (wirklich passionierte Läufer haben die Flasche auch
auf dem WC dabei, um nicht auszutrocknen). Können Sie solche Mengen nicht
trinken, tun Sie eben so (arbeiten Sie geschickt mit drei oder vier
unterschiedlich vollen Flaschen, merkt das kein Mensch).
Trainieren Sie Ihren Schritt mit Hilfe alter Cowboy-Filme, bis sie locker
und federnd durch den Flur Ihrer Firma gehen. Nehmen Sie ab, oder sehen Sie
zumindest schlanker aus (Korsetts gibt es im Sado-Maso-Bedarf). Will man mit
Ihnen gemeinsam laufen, wehren Sie natürlich ab (»Tolle Idee, aber
ich meditiere beim Laufen«). Trotzdem, ein paar Mal müssen Sie sich
draußen zeigen. Begegnen Sie Ihren Kollegen fröhlich und im
Laufdress (den man im Kostümverleih für solche Zwecke mieten kann)
auf dem Parkplatz, wenn diese von der Strecke kommen. Oder, besser, kommen Sie
ihnen entgegen, außer Atem und bedeckt mit Fettcreme, Schweiß
vortäuschend:
»Hab gerade meinen persönlichen Streckenrekord aufgestellt.
Wollen Sie nach einem vorgetäuschten Laufgang sichergehen, nicht entlarvt
zu werden (man könnte Sie beim verfrühten Zurückschlendern
beobachten), harren Sie die Zeit, die man in etwa für die Laufstrecke
benötigt, im Gebüsch aus. Oder sehen Sie sich nach einem
Frühcafé um, das Laufsimulanten im verschwiegenen Hinterzimmer
Zeitungen und ein leckeres Frühstück bietet (natürlich wuschelt
man Ihnen beim Zahlen das Haar feucht durch).
Wahrscheinlich treffen Sie dort auch ein paar Ihrer Kollegen. Besprechen Sie
das beim nächsten Mal grinsend auf dem Flur.
Mark Spörrle