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Dicker Fisch im Dopingsumpf

Der Belgier Mohamed Mourhit war seit über einem Monat nicht mehr gesehen

worden. Der Erdboden schien ihn verschluckt zu haben. In der internationalen

Läuferszene sprach sich das Mysterium schnell herum, und schon schossen

erste Spekulationen ins Kraut. Hat er etwas zu verbergen, war er womöglich

gedopt? Der 31-Jährige ist nicht irgendwer, sondern der aktuelle

Europarekordler über 3000 m, 5000 m und 10 000 m, und in den Jahren 2000

und 2001 wurde er Cross-Weltmeister . Immerhin ist die Sommersaison schon lange

im Gange, und in in München stehen die Europameisterschaften vor der

Tür. Am Freitagabend löste dann der Pressesprecher des

Weltdachverbandes IAAF am Rand des Golden-League-Meetings in Monaco das

Rätsel endgültig auf. Jawohl, Mourhit war am 3. Mai in Brüssel

in eine unangemeldete Dopingkontrolle geraten, und das Resultat waren zwei

positive Befunde, im Blut und im Urin. Im Dopingsumpf schwimmt wieder mal ein

dicker Fisch.

Der frühere Marokkaner wurde mit dem Blutdopingmittel Erythropoietin,

kurz EPO, auffällig. Um der lebensbedrohlichen Gefahr der Verdickung des

Bluts zu entgegen, hatte er sich auch eines Verdünnungsmittels bedient.

Mourhit war sehr sorglos gewesen. Wusste er nicht, dass seit den

Weltmeisterschaften in Edmonton 2001 sein Fachverband bei seinen

Titelkämpfen auch nach EPO fahndet, ganz nach dem Vorbild des

Internationalen Olympischen Komitees, das die neuen Tests erstmals in Sydney

2000 anwandte? Die Arznei war ja lange Zeit nicht nachweisbar gewesen. Der

IAAF-Kontrolleur hatte Belgiens Leichtathletik-Star bloß zwei Tage vor

der ausgerechnet bei ihm vor der Haustür stattfindenden Halbmarathon-WM

aufzusuchen brauchen, in Brüssel. Zu einem solchen Zeitpunkt sind die

künstlich zugeführten Substanzen im Körper eines

betrügerischen Athleten noch nicht abgebaut. Im allgemeinen

internationalen Sprachgebrauch hat sich für dieses Procedere inzwischen

das Wort von der pre-competition-control durchgesetzt, der

Vorwettkampf-Kontrolle.

Die Geschichte erinnert fatal an den Fall des Bayern Johann Mühlegg,

der im Februar bei den Winter-Spielen in Salt Lake City als Neuspanier auch

erst 48 Stunden vor dem 50-km-Skilanglauf zur Abgabe seiner

Körperflüssigkeiten veranlasst und prompt als Doper ausgedeutet

wurde. Vorher hatte er schon zwei Goldmedaillen geholt. Dabei blieb er deshalb

unbehelligt, weil die Wettkampfkontrollen keine signifikant verräterischen

Spuren mehr hinterlassen hatten. Mühlegg hatte seine Leistungssteigerung

mit Hilfe von NESP erreicht, eines dem EPO verwandten Produkts. Am Ende der 50

km war er übrigens schon schlagkaputt gewesen, zwei enthaltsame Tage

hatten offenbar schon für einen beträchtlichen Leistungsschwund

gesorgt. Mourhit musste die gleiche Erfahrung auf den 21,098 km machen, mit

einem katastrophalen 23. Platz.

Mourhit hatte in den Läuferkreisen spätestens seit Sydney 2000

unter genauester Beobachtung gestanden. Wie war es möglich, wurde gefragt,

dass er am 25. August im Brüsseler Roi-Baudouin-Stadion Dieter Baumanns

5000-m-Europarekord um 4,99 Sekunden auf 12:49,71 Minuten verbesserte, er aber

im olympischen 10000-m-Finale nur 31 Tage später schon bei der ersten

kleinen Temposteigerung aufsteckte und zwei Tage danach zum 5000-m-Vorlauf

nicht einmal mehr antrat?

Es heißt, medizinisch sei das nur 1,64 m große Leichtgewicht von

einem französischen Arzt aus dem mittlerweile unter Generalverdacht

stehenden Profiradsportlager betreut worden. Von den

Leichtathletik-Funktionären und der ordentlichen Gerichtsbarkeit darf

jetzt erwartet werden, dass sie die Hintermänner suchen und verurteilen.

Immerhin geht es hier um strafrechtlich relevante Delikte, nämlich

Arzneimittelmissbrauch und Körperverletzung.

Von Robert Hartmann