Mit Luminita Zaituc, Sonja Oberem und Co. auf EM-Medaillenkurs in
München
Unsere deutschen Läuferinnen haben 2001 positive Akzente
gesetzt!“ sagt Bundestrainer Wolfgang Heinig mit Blick auf sein
angestammtes Terrain, aber auch mit etwas Wehmut auf die anderen Laufbereiche,
für die er kraft seines Amtes Verantwortung trägt. Und meint das
(partielle) Auftreten der deutschen Läuferinnen in Hamburg, Berlin,
Frankfurt, Lissabon und Athen. „Natürlich habe ich in Kanada neben
einer guten Einzelpatzierung auch auf ein Mannschaftsresultat gehofft“
gesteht der Bundestrainer allerdings ein, das aber Sonja Oberem und Melanie
Kraus nach der kurzfristigen Absage von Luminita Zaituc und dem vorzeitigen
Ausstieg von Kathrin Weßel nicht mehr alleine richten konnten. „Ich
denke, es ist für uns im Laufbereich besonders wichtig, wenn eine Deutsche
einen Marathon gewinnt, auch wenn es nicht immer in einer Weltklassezeit
ist!“
Für das positive Auftreten unserer Marathonläuferinnen wusste
zunächst einmal Sonja Oberem zu sorgen. „Das war ihr bestes
Jahr!“ bilanziert Trainer Paul-Heinz Wellmann mit berechtigtem Stolz,
„sie hat ihr bestes Resultat bei internationalen Meisterschaften erzielt
und mit Hamburg und Athen zwei Marathonläufe in einem Jahr
gewonnen!“ Hat das Erfolgsduo Oberem-Wellmann bislang eher auf
Platzierungen bei hochkarätigen Läufen gesetzt, verfolgten sie in der
zurückliegenden Saison eine etwas andere Strategie. „Mit dem Sieg in
Hamburg gelang Sonja ein Erfolg im eigenen Land, noch dazu in einer erstaunlich
guten Zeit. Diese wäre sogar noch besser ausgefallen, wenn die Konkurrenz
leistungsstärker gewesen wäre. Der Sieg in Athen muss man unter den
Kapitel Stärkung des Selbstbewusstseins und der Haushaltskasse
einordnen!“ Doch in der positiven Bilanz möchte der Bayer-Coach
nicht verharren, sondern sieht wichtige Hausaufgaben für das EM-Jahr 2002.
„Auch wenn Sonja vom ersten Meter an in Edmonton das Rennen mitgestalten
konnte, es fehlte ihr doch im Schlussteil die nötige Kraft für eine
Medaille. An diesen drei bis fünf Prozent Defizit müssen wir
arbeiten. Das ist eben noch der kleine Unterschied zu Lidia Simon und den
anderen!“ Gestärkt soll Sonja Oberem dann in München um die
EM-Medaillen laufen. „Das Feld ist dann zwar etwas überschaubarer,
aber man muss eben mit allem rechnen!“ Und setzt dabei auf die mentale
Stärke der früheren Triathletin, die es stets zur rechten Zeit
versteht, ihr Leistungspotenzial abzurufen. So als WM-Sechste in Sevilla oder
nun als WM-Fünfte in Edmonton.
Oder aber Luminita Zaituc, die nach einem eher zögerlichen Auftritt in
Hamburg mit ihrem Sieg in Frankfurt nun weiss, wo es künftig für sie
langgehen wird – nämlich auf der Marathondistanz. Darin ist sich
Bundestrainer Heinig sicher und stellt bereits gewisse Erwartungen an den neuen
Hoffnungsträger: „Sie muss keine fünf deutsche Meistertitel
gewinnen, sondern bei den Europameisterschaften auf das Podest!“ Die
gebürtige Rumänin, seit 1993 in Hamm angesiedelt, verstand es bislang
meisterhaft, in eher passiver Manier ihre Chancen zu optimieren – in der
Mainmetropole sah man den Schützling von Dumitru Dobre von einer neuen
Seite, offensiv und risikobereit. „Mein Konzept war, so lange auf Tempo
zu laufen, wie es mir gut geht!“ Und es ging gut, sehr gut sogar.
Schließlich holte sie zum großen Zahltag aus, wurde Gesamtsiegerin
und deutsche Meisterin und drückte den Streckenrekord von Katrin
Dörre-Heinig auf 2:26:01. Und das Gefühl, alles richtig gemacht zu
haben. „Irgendwann musste diese Entscheidung kommen. Schließlich
laufe ich schon seit 1983. Ich habe mir aber gesagt, wenn du es mit
Zweiunddreißig nicht versuchst, dann wird es nichts mehr!“ Gesagt,
getan.
Und damit reifen auch Medaillenträume. Im Einzeln als auch in der
Mannschaft, wo neben der bereits gesetzten Sonja Oberen mit Luminita Zaituc,
Kathrin Weßel, Claudia Dreher und Melanie Kraus gleich fünf
Läuferinnen mit internationaler Klasse den Griff nach der Medaille planen
dürfen. „Mit einer derartigen Mannschaft lässt sich ein klasse
Ergebnis einbringen!“ sagt Paul-Heinz Wellmann und setzt auch auf seine
zweite EM-Kandidatin, Melanie Kraus nämlich. „Eigentlich tut sie mir
Leid, denn ihre beiden Saisonergebnisse werden eher negativ bewertet. Für
Melanie war dieses Jahr sehr wichtig, auch wenn sie in den Events nicht ihre
konstant guten Trainingsleistungen umsetzen konnte. Nach dem Einstieg im
Vorjahr in Berlin war es einfach sehr schwer, diese Leistung zu wiederholen
bzw. sogar noch eine bessere zu erreichen!“ nahm Paul-Heinz Wellmann sein
zweites Marathon-Ass in Schutz.
Marathon-Bundestrainer Heinig ist in diesem Wettbewerb in einer an sich
beneidenswerten Situation. Neben Luminita Zaituc und Sonja Oberem hat auch die
im Schatten der Weltbestzeit laufenden Naoko Takahashi mit 2:29:42 Hausrekord
laufenden Kathrin Weßel drei Läuferinnen unter der verschärften
EM-Norm, mit Melanie Kraus und der erst vor wenigen Tagen in Lissabon mit
2:31:01 siegreichen Claudia Dreher zwei weitere auf dem Sprungbrett. Hinzu
kommt freilich Halbmarathonmeisterin Petra Wassiluk, die nach den beiden
verunglückten Marathon-Versuchen in Hamburg und Frankfurt einen weiteren
Anlauf braucht, um die Marathondistanz in Griff zu bekommen. „Damit
können wir bis 2004 alle Höhepunkte gut besetzen“, blickt
Heinig bereits voraus. „Mit einem Nachwuchsprogramm gilt es
zunächst, die 5000 m und 10 000 m zu entwickeln. Für den
Marathonbereich müssen wir einen langfristigen Weg gehen!“ Seine
Hoffnungen ruhen allerdings auf einen alsbaldigen Wechsel von Irina Mikitenko
zur Straße. „Sie muss allerdings selbst erkennen, wo ihr
künftiges Potenzial liegt. Auf den Bahndistanzen macht die Entwicklung
nicht halt, deshalb ist es schwierig, das vorhandene Niveau noch zu toppen.
Über Marathon wird sie einen Einstieg wie Luminita und noch besser haben
können!“
Wilfried Raatz
(aus LA 51-52/01)