Einige Überraschungen gab es bei den deutschen Crossmeisterschaften in Bad
Dürrheim, die letztlich über das erschreckende Leistungsbild in den
Hauptwettbewerben etwas hinweghalfen. Nach 2001 kam Hindernisläufer Andre
Green dank einer souveränen Schlussrunde zu seinem zweiten
Langstreckentitel vor Überraschungsmann Guido Streit, während
Sebastian Hallmann nach einem Einbruch nur Dritter wurde. Greens
Hindernisrivale Damian Kallabis holte sich dank seines guten
Spurtvermögens den Titel auf der Mittelstrecke. Abonnementsmeisterin
Luminita Zaituc hatte nach sechs Einzeltiteln diesmal "dienstfrei"
und durfte am Folgetag ihre eingeschlagene Straßenkarriere mit einem
starken Auftritt beim Frankfurter City-Halbmarathon nachhaltig unterstreichen.
Stattdessen überzeugte die 23jährige Sabrina Mockenhaupt, die als
Vorjahreszweite diesmal nicht zu bezwingen war. Strahlemann Wolfram Müller
darf nach zahlreichen Hallenrennen mit dem Gewinn der Juniorenmeisterschaft
eine erste Bilanz einer vielversprechenden, zukunftsträchtigen
Zusammenarbeit ziehen.
Auch wenn der DLV-Präsident Clemens Prokop von einer "konsequenten
Weiterentwicklung der in Regensburg erworbenen Kenntnisse" sprach, so sehr
sich auch der südostbadische Ausrichter TuS Oberbaldingen bemühte, es
sollte an so mancher Nahtstelle ein Rückschritt des eingeschlagenen Weges
werden. Einzig eine zuschauerfreundliche, zweifellos aber zu lang geratene
große Schleife kündigte einen Lernprozess an. Zuschauer jedenfalls
konnten an diesem im späteren Verlauf herrlichen Frühlingssamstag
kaum ausgemacht werden, die Atmosphäre auf dem Wiesenstück zwischen
einer Bundes- und Kreisstraße vor den Toren der Kurstadt Bad
Dürrheim zudem eher beschaulich. Handwerkliche Probleme bei der
Ausgestaltung der Strecke wie auch bei der Auswertung der merklich
ausgedünnten Wettbewerbe wurden noch eher klaglos hingenommen, das hohe
Meldegeld von zwölf und fünfzehn Euro brachte so manchen
Vereinsvertreter letztlich doch auf die vielzitierte Palme.
Schließlich hatte der DLV gerade erst für 2003 die
Teilnehmergebühren von neun und zwölf Euro erhöht. "Das
kommt einer Abzocke gleich!" schimpfte ein Vereinstrainer erbost.
Leistungsmäßig blieben die Hauptwettbewerbe der Männer und
Frauen weit hinter den Erwartungen zurück, denn die Leistungsträger
wie Dieter Baumann, Luminita Zaituc oder Irina Mikitenko fehlten aus
unterschiedlichen Gründen, so dass die "Hochkaräter", wie
die Favoriten in einer informativen Cross-Sonderzeitung der
"Neckarquelle" betitelt wurden, letztlich zu mehr oder weniger
überzeugenden Siegen kamen. Langstrecken-Bundestrainer Wolfgang Heinig
blieb nach einem sicherlich spannenden, aber auf bescheidenem Niveau sich
bewegenden Langstreckenrennen nur noch eine ernüchternde Erkenntnis:
"Enttäuschend!"
Eigentlich sollte bei einem Aufeinandertreffen unserer derzeit besten
Läufer (hinter Dieter Baumann) wie Sebastian Hallmann, Alexander Lubina,
Mario Kröckert, Thomas Greger, Jirka Arndt, Jens Borrmann, Oliver
Mintzlaff und Andre Green einiges zu erwarten sein, doch es wurde eine
zähe Angelegenheit, bei der alleine letztlich der konsequente Siegeswillen
von Andre Green und der Mut von Guido Streit belohnt wurden. Ratlosigkeit weit
und breit, die vorgeschalteten Trainingslager in der Höhenlage Kenias oder
den klimatisch günstigen Gefilden Portugals schienen ihre Wirkung vollends
verfehlt haben. "Da muss einiges quer gelaufen sein" mutmaßt
der Bundestrainer, der unter diesen Voraussetzungen keine Chance sieht, ein
Männerteam für die European 10 000 m-Challenge Mitte April in Athen
zu nominieren. "Bei Andre Green stellt sich sicherlich die berechtigte
Frage, ob er ein Tempo in Richtung WM-Norm überhaupt gehen kann. Er hat
auf jeden Fall hier in Bad Dürrheim ein außergewöhnlich starkes
Rennen gezeigt". Eine Teilnahme bei der Cross-WM Ende März in der
Schweiz hätte ohnehin nicht zur Diskussion gestanden.
Mit Seitenhieb auf Hindernis-Konkurrent Damian Kallabis, der der
Mittelstrecke den Vorzug gegeben hatte, kostete Andre Green mit Recht seinen
Titel freudig aus. "Für mich ist die Langstrecke eine Imagestrecke,
weil er ganz einfach eine höhere Wertigkeit besitzt!" Der
30jährige Betriebswirtschaftler, setzt zunächst weiter auf die Karte
Leistungssport - und möchte wie Kallabis zur WM nach Paris. In Bad
Dürrheim jedenfalls zeigte der seit vielen Jahren von Bernd Smrcka
trainierte Hamburger ein starkes Rennen, vor allem dann, als die Konkurrenten
ihr Pulver verschossen hatten, zog er unwiderstehlich das Tempo hoch.
"Drei Runden habe ich gespielt, dann hatte ich allerdings
ausgespielt" kommentierte ein merklich resignierter Sebastian Hallmann
seinen Auftritt. Während Alexander Lubina schon früh wegen
Achillessehnenbeschwerden aus dem Rennen ging ("Das war vom ersten Meter
an nichts!") finishte Mario Kröckert als Fünfzehnter ("So
schlecht bin ich noch nie gelaufen") und sicherte dem TSV Bayer Leverkusen
wenigstens noch den Mannschaftstitel.
Als "Mocki" erst machte, war es um die Neu-Braunschweigerin
Susanne Ritter, ihre letztlich einzige Konkurrentin im Kampf um die
Meisterschaft geschehen. Eine Woche nach dem überraschenden dritten Rang
bei der Militär-Cross-WM zeigte sich die Siegerländerin erneut in
blendender Lauflaune - und sehnt sich nun auf ein sich direkt
anschließendes Trainingslager im südafrikanischen Dullstoom.
"Es war kein Spaziergang, denn ich musste Susanne erst einmal
niederkämpfen!" zollte das lebensfrohe Energiebündel ihrer
Konkurrentin Lob. Mit klarem Rückstand dann eine sichtlich zufriedene
Marathonfrau Ulrike Maisch ("nach zwei Wochen Skilager und
Achillessehnenbeschwerden bin ich doch sehr verunsichert ins Rennen
gegangen"), die nach zwei vierten (Hallen-)platzierungen diesmal Bronze
gewinnen konnte.
Wolfram Müller auf Baumanns Spuren in Bad Dürrheim
Ein neues Gesicht: Ricardo Filipe Giehl - Erfolgreiches Bayer-Team
Vor Jahresfrist sorgte Dieter Baumann mit seinem furiosen Tempolauf auf dem
Regensburger Unigelände für Begeisterung. Eine ähnliche
Glanz-Vorstellung gelang heuer dem Neu-Tübinger Wolfram Müller, der
seit Dezember unter den Fittichen von Isabelle Baumann arbeitet. Leider nur
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Duplizität einer Konzeption
("So ein Potential, da kann man doch etwas draus machen!") oder
lediglich ein "normaler Lauf" eines Ausnahmetalentes? "Klar, 5,8
km Crosslauf ist schon eine harte Sache. Ohne die Leistung der anderen
schmälern zu wollen: Es war aber eher ein guter Tempodauerlauf! Das mache
ich doch lieber, als in Tübingen durch die Wälder zu laufen!"
Das werden die Sommer, Preuck, Friedrich und Co. allerdings neidlos zugestehen
müssen, denn der frühere Junioren-Cross-Europameister läuft in
einer anderen Liga. Zumal er noch den Speed von Athen in den Beinen hat, mit
dem er zwei Tage zuvor eine 3:39,84 Minutenzeit lief.
Wohl fühlt er sich unbestritten in Tübingen, in Baumanns
Trainingsgruppe. Auch wenn der "Chef" wegen einer
Muskelentzündung derzeit nur Fahrradeinheiten absolvieren kann
("Diese Konsequenz bewundere ich bei Dieter", gesteht Isabelle
Baumann ein), profitiert Wolfram Müller von der neuen Trainingskooperation
im Schwäbischen. Aber ein Wechsel auf längere Laufdistanzen
schließt der Ausnahmeläufer derzeit aus. "Die WM-Normen
über 800 m und 1500 m sind so hoch, dass ich mich vollends darauf
konzentrieren werde. Wer mich aber kennt, der weiß, dass ich mit einer
5000 m-Leistung von etwa 13:30 nicht zufrieden sein könnte. Da müsste
schon etwas anderes kommen...".
Hier ein zufriedener Wolfram Müller, längst wieder auf dem Sprung
zum Trainingslager nach Tirrenia und wiederum Kenia. Dort ein
dunkelhäutiger 17jähriger namens Ricardo Filipe Giehl, der mit seinem
roten Bayer-Dress feuerwehrartig den Schlusskilometer zum Ziel durchspurtete
und - Jugendmeister wurde. Giehl - nie gehört? Den Namen wird man sich
allerdings merken müssen. Der in Angola geborene, in Spanien bei deutschen
Adoptiveltern seit 15 Jahren ansässige Ricardo, ist ein lässiger Typ,
der dem Leistungssport zuliebe zu Paul-Heinz Wellmann nach Leverkusen im
September letzten Jahres gewechselt ist. "Gegen die kannst du eigentlich
nicht gewinnen", legte Ricardo Giehl seine Gedanken während des
Rennens später offen. "In der letzten Runde aber war mir klar, du
machst das!" Der lange Zeit wie der sichere Sieger wirkende
Hindernisspezialist Norbert Löwa oder 3000 m-Hallenmeister Steffen Uliczka
hatten gegen den wie entfesselt durchstartenden Neu-Leverkusener klar das
Nachsehen. Lieblingsstrecke? "Das könnten die 1500 m werden!"
Womit der Kreis zu Wolfram Müller geschlossen wäre. Bei den
Mädchen "stürzte" die favorisierte Regina Schnurrenberger
bis auf Rang sechs ab, während 1500 m-Hallenmeisterin Saskia Janssen einen
weiteren Titel für die erfreulich stark crosspräsente Wellmann-Truppe
aus Leverkusen holte. Bei der B-Jugend setzte sich in souveräner Manier
Stephanie Thieke durch, während Johannes Raabe gegen Zelalem Martel im
Spurt erfolgreich war.
Wilfried Raatz