In gesellschaftlich schwierigen Zeiten ist es dringender denn je sich einer
Idee von seiner Gesellschaft zu vergewissern, in der man heute und in Zukunft
leben möchte.
Das Leitbild, an dem sich unsere Gesellschaft orientieren sollte,
müsste meines Erachtens von der Idee des Fairplay geprägt sein.
Gesucht ist eine Gesellschaft, in der die Mitglieder dieser Gesellschaft fair
mit einander umgehen. Die individuelle Leistung müsste in dieser
Gesellschaft gefördert und geschätzt werden, das Leistungsprinzip
sollte dabei das herausragende Selektionskriterium für das Erreichen von
bedeutsamen Positionen in dieser Gesellschaft sein. Gesellschaftlich relevante
Positionen müssten nur über erbrachte und intersubjektiv anerkannte
Leistungen besetzt werden und die Dotierung der erbrachten Leistung hat sich am
Prinzip der Gerechtigkeit zu messen. Die Kluft zwischen arm und reich sollte in
dieser Gesellschaft möglichst klein gehalten sein. Solidarität muss
deshalb eine anerkannte Tugend in einer derart lebenswerten Gesellschaft sein.
Die Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, begegnen sich in aller
Offenheit.
Offenheit gegenüber Fremden, Offenheit gegenüber dem Andersartigen
macht eine Gesellschaft erst richtig lebenswert. Frauen und Männer
müssen sich nicht nur in Sonntagsreden, sondern im alltäglichen Leben
gleichberechtigt gegenüber treten können, Behinderte werden in dieser
Gesellschaft nicht diskriminiert und ausgegrenzt, das Zusammenleben von
Nichtbehinderten und Behinderten wird als eine Selbstverständlichkeit
aufgefasst, Krankheit wird nicht individualisiert, vielmehr wird akzeptiert,
dass Krankheit Lebenssinn stiften kann, ja das Krankheit notwendig ist, will
man das Lebenswerte für sich selbst erkennen. Bildung, Ausbildung und
Weiterbildung müssten für jeden Mann und für jede Frau
zugänglich sein. Die Bürger in dieser lebenswerten Gesellschaft
wollen deshalb friedlich zusammenleben, sie sind friedliebend und
friedensengagiert. Wissenschaft, Kultur, Kunst, Literatur und Musik erbringen
auf ihre je verschiedene Weise unverzichtbare lebensbejahende Beiträge
für die Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft.
Dies alles sollte in dieser Gesellschaft möglichst auf der Grundlage
einer intakten Ökonomie erfolgen, so dass alt und jung gleichermaßen
zuversichtlich in die Zukunft blicken können.
Der Sport als wohl der bedeutsamste Inhalt der Alltagskultur in
Massengesellschaften kann für diese Wunschvorstellung von einer
lebenswerten Gesellschaft durchaus wichtige Beiträge erbringen. Durch den
Sport können sich Menschen aktiv oder passiv im positiven Sinne
unterhalten. Der Sport vermittelt Menschen Spaß und Freude
(sozial-emotionale Funktion). Mittels Bewegung, Spiel und Sport können die
Menschen leiblich gebildet und sozialisiert werden. Nicht nur im Schulwesen,
sondern in den Vereinen und sonstigen Institutionen des Sports kann der Sport
einen wichtigen Erziehungsbeitrag leisten (Sozialisations- bzw.
Erziehungsfunktion). Der Sport kann dazu beitragen, dass die Menschen sich
aktiv auf ein selbstverantwortliches gesundes Leben ausrichten. Das aktive
Sporttreiben trägt zum Wohlbefinden bei und ist nicht zuletzt unter
präventiven Gesichtspunkten unverzichtbar (biologische Funktion bzw.
Gesundheitsfunktion). Der Sport kann aber auch bei der Lösung von sozialen
Pro-blemen eine Hilfe sein. Probleme wie Kriminalität, Drogenkonsum oder
Arbeitslosigkeit können mittels Sport gemindert, manche können sogar
gelöst werden (sozialpolitische Funktion). Der Sport ist aber auch ein
wichtiger Teil der Volkswirtschaft geworden. Er schafft Arbeitsplätze, ist
eine wichtige Dienstleistung in einer Gesellschaft, die immer mehr zu einer
Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft wird (ökonomische Funktion).
Sportliche Leistungen ermöglichen Identifikation, sie rufen Begeisterung
hervor, unterhalten Menschen in angenehmer Weise und nicht selten haben
Athleten eine Stellvertreterfunktion, sie repräsentieren ihr Land im
positiven Sinne (repräsentative Funktion bzw. Unterhaltungsfunktion).
Schließlich kann im Sport auch dann, wenn immer häufiger im Sport
selbst dagegen verstoßen wird, das Prinzip des Fairplay gelernt werden.
Die Achtung der Fairplay-Maxime kann den Sport zu einer wichtigen symbolischen
Instanz erheben, auf die unsere Gesellschaft dringend angewiesen wird
(ethisch-moralische Funktion). Die Integrationskraft des Sports lässt sich
nicht nur in den Gemeinden und Städten beobachten. Menschen, die am Rand
unserer Gesellschaft leben, können über das Medium des Sports den Weg
in die Mitte finden. Ausländer können beim gemeinsamen Sporttreiben
zu Partnern werden. Aber auch die in modernen Gesellschaften geforderte
Mobilität ihrer Bürger kann mit dem Gemeinschaftserlebnis des Sports
in ihren negativen Auswirkungen gemindert werden (sozial-integrative
Funktion).
Betrachten wir die Merkmale einer lebenswerten Gesellschaft und werfen einen
Blick auf die Funktionen, die in der Vergangenheit und heute dem Sport
zugeschrieben werden, so wird sehr schnell erkennbar, dass der Sport durchaus
einen wichtigen Beitrag für eine lebenswerte Gesellschaft erbringen kann,
wenn er jene Funktionen erfüllt, die er sich selbst zugeschrieben hat oder
die andere an ihn heran tragen. Nicht jede dieser Funktionen muss sich dabei
der empirischen Kontrolle durch die Wissenschaft stellen, insbesondere dann,
wenn die Wissenschaft selbst den Nachweis der Funktion nicht erbringen kann.
Doch der Sport selbst muss sich zumindest mit der Frage auseinander setzen, ob
er diesen Ansprüchen genügt, ob seine Realität mit den positiven
Vorstellungen in Einklang zu bringen ist, die das Kulturgut des Sports als
etwas Besonderes ausweisen könnte. Nicht zuletzt die politischen
Repräsentanten des Sports müssen sich fragen, ob sie der
Verantwortung genügen, die aus diesen kulturellen Möglichkeiten des
Sports erwächst. Das gelebte Vorbild scheint dabei auch heute der
geeignetste Weg zu sein, um dieser Verantwortung zu entsprechen.
Artikel von Prof. Dr.
Helmut Digel, er ist Direktor des Instituts für Sportwissenschaft der
Eberhard-Karls-Universtiät Tübingen, Ehrenpräsident des DLV und
Vizepräsident der IAAF