Für die Sportart Leichtathletik ist der angekündigte Trainerwechsel
des Leichtathletik-Traumpaars Marion Jones und Tim Montgomery eine Katastrophe.
Der Mann ihrer offenbar langgehegten Wünsche ist Charlie Francis, der den
kanadischen Sprinter Ben Johnson zu Olympiasieg und 100-m-Weltrekord in Seoul
1988 führte. Nur einen Tag später aber war damals der ganze Schwindel
mit einer positiven Dopingprobe aufgeflogen, weil der Kölner Dopingexperte
Manfred Donike erstmals das Anabolikum Stanozolol enttarnen konnte. Sie waren
sprachlos, er hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt. Später
entschied eine "königliche Kommission" in Toronto, ein
ordentliches Gericht, den betrügerischen Betreuer lebenslang vom
Sportbetrieb auszuschließen.
Es blieb unterdessen ein Schlupfloch, an das offenbar niemand dachte.
Francis überhaupt von allen Wirkungsstätten dieser Erde
auszuschließen, war niemandem eingefallen. Das Sprinterpärchen
verstieß gegen keine Rechtsvorschrift, und ihr Manager Charlie Wells
sagte gegenüber der britischen "Times": "Jeder fühlt
sich großartig dabei." Das tolle Gefühl hielt allerdings nicht
lange an. Alle Beteiligten mussten es geahnt haben, dass nach der
Veröffentlichung des Unerhörten ein Donnerwetter über sie herein
brechen würde. Weshalb hätten sie sonst versuchen sollen, die
unbekannte Figur Derek Hansen als Strohmann vorzuschieben!
Welche Absichten trieb das Paar eigentlich in die Arme von "Charlie,
den Chemiker"? Es war irgendwann im Sommer, als Marion Jones
ankündigte, den 100-m-Weltrekord ihrer inzwischen mit 38 Jahren
verstorbenen Landsfrau Florence Griffith-Joyner aus dem gleichen Sommer der
Betrüger, nämlich 1988, brechen zu wollen. Deren 10,49 Sekunden waren
bisher von den Leistungen ihrer Nachfolgerinnen so weit entfernt wie die Erde
vom Mond. Reimt sich jetzt alles zusammen, war sie nicht schon im zarten Alter
von 16 Jahren wegen Dopings gesperrt gewesen, woraufhin sie sich dem Basketball
zuwandte?
Die Frage nach den Trainer-Qualitäten von Francis wartet noch auf eine
Antwort. Schon vor dem Super-Gau war er sie schuldig geblieben, Athleten ohne
Dopingunterstützung auch nur in die Nähe der Weltklasse führen
zu können. Eigentümlicherweise veröffentlicht Francis in der
Doping-Zeitschrift "Testosterone-Magazine" regelmäßige
Beiträge. Früher hatte er sich gebrüstet, all sein geheimes
Spezialwissen von Kollegen aus der DDR-Leichtathletik bezogen zu haben. Davon
lebte er.
Auch bei Francis neuen Schützlingen laden Erfolge zum Vergessen ein.
Sie fließen bei ihren öffentlichen Auftritten über vor Charme,
und wo immer Marion Jones zusammen mit anderen Leichtathletik-Größen
dem Publikum vorgestellt wurde, erhielt sie den meisten Beifall eines
hingerissenen Publikums. Drei Olympiasiege, vier Weltmeistertitel bildeten die
glanzvolle Grundlage.
Aus dem Sinn geriet auch die kurze Ehe mit dem Kugelstoß-Weltmeister
von Sevilla 1999, C. J. Hunter, einem massigen Mann von 140 kg, der gleich
wegen viermaligen Hormondopings kurz vor den Spielen in Sydney 2000 vom
Wettkampf ausgeschlossen wurde. Vor einem Jahr trennten sie sich, und als Tim
Montgomery am 14. September in Paris ausgerechnet Ben Johnsons Seouler Zeit von
9,78 Sekunden exakt einstellte und damit neuer Weltrekordler war, machten sie
ihre neue Verbindung offiziell.
Plötzlich sind die Zeiten härter geworden. Schon vor dem ersten
Startschuss in die kurze Hallensaison weht dem schnellsten Paar der Welt eine
steife Brise ins Gesicht. Ihre Startforderungen, die ein europäischer
Veranstalter kürzlich preisgab, belaufen sich derzeit auf zusammen 140 000
Dollar. Keiner will sie zahlen. Der Pressesprecher Nick Davies vom
Weltdachverband bedauerte, dass ihm juristisch die Hände gebunden seien,
sprach aber von einem "ethischen Blickpunkt". Wenigstens scheint man
sich höheren Orts schon mal auf einen Liebesentzug geeinigt zu haben.
Vier der Veranstalter der sechs Golden-League-Meetings, der Crème
somit, haben schon angekündigt, die beiden zu boykottieren. Sie tun jetzt
sehr scheinheilig. Als bei ihnen vor der Saison 2001 zur Abstimmung stand, ob
sie Kontrollen auf das Blutdopingmittel Erythropoietin, EPO, einführen
sollten, verweigerte sich die Mehrheit. Allein Paris tanzte eigenmächtig
aus der Reihe und überführte prompt die russische Langstrecklerin
Olga Jegorowa. Leider hatte man ihr nur Blut abgezapft, jedoch keinen Urin
eingesammelt, wie es Vorschrift war. Aber in 2002 war die EPO-Kontrolle endlich
Standard, und in Zürich ging dann der Marokkaner Brahim Boulami ins Netz,
gleich nach dem ganz schnell wieder kassierten Fabelweltrekord von 7:53,17
Minuten über 3000 m Hindernis.
Wie wird es weiter gehen? Die Golden-League lädt ein, den Start
einzuklagen, wird schwer werden. Es bleibt abzuwarten und eine spannende Frage,
ob allein die Hinweise auf Moral, gute Sitten und Fairplay tatsächlich das
prominente und eigentlich unverzichtbare Pärchen von den Stadien
fernhalten werden. An der Antwort können die Funktionäre nun ein paar
Monate lang herum basteln.
Von Robert Hartmann