Das Schicksal nimmt dabei in Oslo in mehrfacher Hinsicht seinen Lauf. Im August
des vergangenen Jahres starb Arne Haukvik im Alter von 76 Jahren. Knapp 20
Jahre lang hatte der Norweger bis Mitte der 80er Jahre die Bislett Games
organisiert und sich damit einen Namen gemacht. Das Sportfest wurde zu einem
Synonym für Leichtathletik. Wenn nun morgen in Oslo das Meeting
stattfindet, trägt es den Zusatz “Arne Haukvik Memorial“.
Knapp ein Jahr nach dem Tod des früheren Organisators heißt es dabei
schon wieder, Abschied zu nehmen – vom Bislett-Stadion. Das Ende der
legendären Arena ist Arne Haukvik erspart geblieben.
Das Stadion mitten in der Stadt ist einzigartig. Statt moderner Büros
verbergen sich hinter der Haupttribüne Räume, die mit Parkett
ausgelegt sind und ein Wohnzimmergefühl ausstrahlen. Man erreicht sie
über eine knarrende Holztreppe. An den Wänden des Aufganges finden
sich Bilder aus vergangenen Zeiten. Sie zeigen unter anderem, wie die
400-m-Rundbahn des Stadions einst im Winter für Eisschnelllauf-Wettbewerbe
genutzt wurde.
Doch die 400-m-Runde des Stadions ist das Problem. Sie hat nämlich im
Gegensatz zu den gängigen Stadien nicht acht sondern nur sechs Bahnen.
Damit ist die Bislett-Arena nicht mehr zeitgemäß. Und da kein Platz
ist zwischen der äußeren Bahn sechs und den Zuschauerrängen,
lässt sich das Stadion nicht umbauen. Seit Jahren war ein Neubau im
Gespräch, nun soll er Wirklichkeit werden. Nach den Bislett-Games am
Freitag wird die Arena abgerissen. Am selben Ort entsteht ein neues, modernes
Stadion mit mehr Rundbahnen aber sicher etwas weniger Atmosphäre. Schon in
zwei Jahren soll die Golden League wieder nach Oslo zurückkehren. 2004
wird das Meeting voraussichtlich nach Göteborg verlegt.
Es ist diese intime Atmosphäre in der 18.000 Zuschauer fassenden
Bislett-Arena, die die Athleten schätzen und die dazu beigetragen hat,
dass in Oslo so viele Weltrekorde aufgestellt wurden. 62 Bestmarken führen
die Norweger in einer Liste seit 1924 auf, wobei neun allerdings aus
unterschiedlichen Gründen nicht offiziell anerkannt wurden. Zum Vergleich:
im Züricher Letzigrund wurden 24 Weltrekorde seit 1959 aufgestellt und
beim Berliner Istaf, einem weiteren Golden-League-Meeting, 15 seit 1937.
In der Ära Haukvik werden alleine 21 Bestmarken gezählt. Und nur
eine davon wurde nicht im Mittel- oder Langstreckenlauf aufgestellt. Das zeigt
den Schwerpunkt, den die Organisatoren noch heute setzen. Die Rekordlisten
lesen sich wie ein kleines “Who is Who“ des Laufsports. Ron Clarke,
der in Oslo 1965 die erste 10.000-m-Zeit unter 28 Minuten erzielte, ist ebenso
darunter wie Yobes Ondieki, der vor zehn Jahren im Bislett-Stadion als erster
unter 27 Minuten blieb. Grete Waitz, John Walker, Henry Rono, Ingrid
Kristiansen, Dave Moorcroft, Sebastian Coe oder Steve Ovett sind weitere Osloer
Rekordläufer. So mitreißend war die Begeisterung bei den
großen Osloer Rennen, dass es 1994 zu einem schweren Unfall kam.
Während ein Speerwurf-Kampfrichter den Läufern zuschaute, traf ihn
das Wurfgerät im Arm.
Die Athleten rannten damals Bestzeiten, obwohl die Rahmenbedingungen
längst nicht heutigen Verhältnissen entsprachen. Untergebracht waren
sie noch in den 80er Jahren in einer Art Jugendherberge außerhalb der
Stadt. “Wir hatten Drei- oder Vierbettzimmer und keine Gardinen. Das war
natürlich problematisch in den Mittsommernächten. Wir konnten kaum
schlafen und sind trotzdem Weltrekorde gelaufen“, erzählt der
Engländer Steve Ovett, der in Oslo die Bestzeiten über 1500 Meter und
eine Meile brach.
Das Bislett-Fluidum wirkt auch beim früheren Weitspringer und heutigen
Präsidenten des internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), Lamine
Diack, nachhaltig. Als im vergangenen Jahr die Golden League auf sechs Meetings
verkleinert wurde, galt Oslo als fast schon ausgeschlossen. Doch Diack hatte
das letzte Wort – und die Bislett Games behielten den wertvollen
Golden-League-Status. Für die Bislett Games ist der Golden-League-Status
lebensnotwendig. Das Meeting wäre verschwunden, wenn die IAAF Oslo
gestrichen hätte.
Der jetzige Meeting-Chef Svein Arne Hansen wurde während der
Pressekonferenz vor den Bislett Games nach seiner schönsten Erinnerung
gefragt: “Das war 1985, als ich das erste Jahr Meeting-Direktor war. Das
Meilenrennen begann 15 Minuten vor Mitternacht, und Steve Cram bescherte uns
den dritten Weltrekord des Abends. Die Leute wollten dann einfach nicht mehr
nach Hause gehen. Das Stadion war voll, und sie feierten – ich bekomme
heute noch feuchte Augen, wenn ich an diesen Abend zurückdenke“,
sagt Hansen und fügt hinzu: “Aber wir können auch heute Abend
bei den Läufen eine elektrisierende Atmosphäre bekommen.“
Die großen Osloer Weltrekorde über die Mittel- und
Langstrecken:
10.000 m Ron Clarke (Australien) 27:39,89 Minuten 14.7.1965
3.000 m Grete Andersen (Norwegen) 8:46,6 Minuten 24.6.1975
3.000 m Grete Waitz (Norwegen) 8:45,4 Minuten 21.6.1976
3.000 m Henry Rono (Kenia) 7:32,1 Minuten 27.6.1978
800 m Sebastian Coe (Großbritannien) 1:42,4 Minuten 5.7.1979
Meile Sebastian Coe (Großbritannien) 3:49,0 Minuten 17.7.1979
Meile Steve Ovett (Großbritannien) 3:48,8 Minuten 1.7.1980
1500 m Steve Ovett (Großbritannien) 3:32,1 Minuten 15.7.1980
5.000 m Ingrid Kristiansen (Norwegen) 15:28,43 Minuten 11.7.1981
5.000 m David Moorcroft (Großbritannien) 13:00,41 Minuten 7.7.1982
5.000 m Ingrid Kristiansen (Norwegen) 14:58,89 Minuten 28.6.1984
10.000 m Ingrid Kristiansen (Norwegen) 30:59,42 Minuten 27.7.1985
5.000 m Said Aouita (Marokko) 13:00,40 Minuten 27.7.1985
Meile Steve Cram (Großbritannien) 3:46,32 Minuten 27.7.1985
10.000 m Ingrid Kristiansen (Norwegen) 30:13,74 Minuten 5.7.1986
10.000 m Yobes Ondieki (Kenia) 26:58,38 Minuten 10.7.1993
10.000 m William Sigei (Kenia) 26:52,23 Minuten 22.7.1994
10.000 m Haile Gebrselassie (Äthiopien) 26:31,32 Minuten 4.7.1997