Die bedeutendste Entscheidung am Wochenende der Deutschen Meisterschaften
findet nicht in der Sindelfinger Leichtathletik-Halle statt. Im sogenannten
Glaspalast werden morgen und übermorgen zwar 29 Titel vergeben, doch heute
Abend wird das Präsidium des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) eine
andere Entscheidung veröffentlichen: Benannt wird jene Stadt, mit der sich
der DLV um die Ausrichtung der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2005 bewerben
wird. Zur Wahl stehen Stuttgart, München und Berlin.
Vor einer Woche hatten die Vertreter der drei Städte beim DLV eine
detaillierte Bewerbung eingereicht. Der Generalsekretär des DLV, Frank
Hensel, traf sich nun am Mittwoch nach einer ersten Auswertung der Unterlagen
mit DLV-Präsident Clemens Prokop und dem Vertreter der
DLV-Landesverbände, dem Thüringer Ralf Hafermann. In dieser Runde
könnte theoretisch eine Vorentscheidung bereits gefallen sein. Denn die
Auswertung dieses Trios sollen heute die Präsidiumsmitglieder des DLV vor
ihrer Abstimmung in Sindelfingen erhalten. Wenn das elfköpfige
Präsidium abgestimmt hat, ist die endgültige Entscheidung aber noch
immer nicht gefallen. Denn anschließend könnte der Verbandsrat, der
sich aus den 20 Präsidenten der einzelnen Landesverbände
zusammensetzt, theoretisch der Empfehlung des DLV-Präsidiums nicht folgen.
In dieser Sitzung wird, gemeinsam mit dem Präsidium, nochmals abgestimmt.
31 Stimmen werden dann gezählt. Um 18.30 Uhr endet diese Sitzung in
Sindelfingen, und dann möchte DLV-Präsident Clemens Prokop vor die
Presse treten und das Ergebnis bekannt geben.
Auch wenn die DLV-Zentrale in Darmstadt in den letzten Tagen keinerlei
Zwischenergebnisse der Auswertungen bekannt gab, spricht manches dafür,
dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen gibt. Zu ausgeglichen soll die Qualität
der Bewerbungsunterlagen der drei Städte sein. Ein starkes Gewicht
müsste dann, und nicht nur in diesem Fall, der Frage zukommen, mit welcher
Stadt der DLV bei der internationalen Abstimmung des internationalen
Leichtathletik-Verbandes (IAAF) am 14. April gegen fünf andere Bewerber
die besten Chancen hat. Hier liegt nach allen bisherigen Erkenntnissen Berlin
deutlich vorne. Dies bestätigte auch eine Befragung einiger
internationaler Fachjournalisten. „Die IAAF favorisiert Metropolen. So
gesehen ist Berlin klarer Favorit. München hätte als frühere
Olympiastadt eine gewisse Attraktivität. Aber Stuttgart ist, denke ich,
nicht so interessant für die IAAF; da dort bereits 1993 eine WM
stattgefunden hat“, sagt Pat Butcher, Leichtathletik-Korrespondent der
Sunday Times in London. Auch Andy Edwards, der unter anderem für BBC
Worldservice arbeitet, und sein englischer Kollege Hugh Jones sind einheitlich
dieser Meinung: „Berlin hätte die besten Chancen der drei deutschen
Städte – mit großem Vorsprung.“
Keiner nennt München oder Stuttgart an erster Stelle, auch nicht der
verantwortliche Redakteur der deutschen Fachzeitschrift
„Leichtathletik“, Joel Kruse. „International gesehen hat
natürlich Berlin die besten Chancen. Die Stadt ist eine Metropole und
bekommt ein High-Tech-Stadion. Als Ost-West verbindender Schmelztiegel ist die
Stadt prädestiniert für die WM – das ist, wie ich aus
zuverlässiger Quelle weiß, auch die Meinung eines ranghohen
DLV-Funktionärs“, sagt der Kölner Joel Kruse der glaubt:
„Berlin macht das Rennen – und das ist gut so.“ Auch bei den
deutschen Athleten ist die Hauptstadt offenbar der Favorit.
„Leichtathletik“ befragte kürzlich sechs deutsche Topathleten,
von denen sich vier für Berlin aussprachen. Einer enthielt sich, einer
stimmte für Stuttgart.
Für Berlin geht es also heute um einen entscheidenden Schritt zu den
Weltmeisterschaften 2005, für eine Hand voll Berliner am Sonnabend und
Sonntag zunächst um ein viel näheres Ziel: die Qualifikation für
die Hallen-Europameisterschaften Anfang März in Wien. 400-m-Läuferin
Claudia Marx, Weitspringer Kofi Amoah Prah, Dreispringer Thomas Moede (alle LG
Nike), Hürdensprinter Florian Schwarthoff (OSC) und Kugelstoßer
Detlef Bock (SCC) haben Chancen, bei der Hallen-EM dabei zu sein.