Benita Johnson gab ein gutes Beispiel. In Abwesenheit von Paula Radcliffe
zeigte die Australierin, dass nicht nur die britische Marathon-Weltrekordlerin
in der Lage ist, als weiße Athletin mit den besten Afrikanerinnen
mitzuhalten. Benita Johnson sorgte für die größte
Überraschung bei den Cross-Weltmeisterschaften am vergangenen Wochenende
und für einen Schock bei den favorisierten Läuferinnen aus Kenia und
Äthiopien. Denn die 27-Jährige gewann Gold auf der 8-km-Langstrecke.
Zum ersten Mal überhaupt hat Australien eine Medaille bei einer Cross-WM
gewonnen.
"5" />In der Historie dieser Titelkämpfe, die 1973 begann, gab es auch
deutsche Erfolge. Doch diese liegen inzwischen schon rund ein
Vierteljahrhundert zurück. 1980 gewann Hans-Jürgen Orthmann Silber,
drei Jahre zuvor war Detlef Uhlemann auf Rang drei gelaufen. Das war freilich
zu einer Zeit, als die Afrikaner noch keine große Rolle spielten bei
diesen Titelkämpfen. In anderer Funktion war Uhlemann am vergangenen
Wochenende wieder im Einsatz bei einer Cross-WM: als Trainer des Deutschen
Leichtathletik-Verbandes (DLV). Viel zu tun hatte er in Brüssel allerdings
nicht. Denn das deutsche Team bestand aus einer einzigen Athletin: Susanne
Ritter (LG Braunschweig). Die 25-Jährige, die am 4. April beim Bewag
BERLINER HALBMARATHON starten wird, schlug sich außerordentlich achtbar
in dem hochkarätig besetzten 8-km-Rennen und lief auf Rang 23. Doch dieser
Lichtblick kann an der Situation nicht viel ändern. Es sein kein gutes
Gefühl gewesen, in Brüssel als einzige deutsche Starterin zu laufen,
erklärte Susanne Ritter. „Es hängt dann alles an einem alleine.
Man kann sich auch nicht gegenseitig motivieren“, sagte die
Braunschweigerin.
Dass Deutschland mit lediglich einer einzigen Läuferin ins Nachbarland
zur Crosslauf-Weltmeisterschaft gefahren ist, spiegelt die Situation so wider
wie sie ist. Während die großen deutschen Straßenläufe,
allen voran der real,- BERLIN-MARATHON, seit Jahren boomen, entwickelt sich die
Spitze in die entgegengesetzte Richtung. Die besten deutsche Läufer
entfernen sich mehr und mehr von der Weltspitze. Bei den Männern wurde
dies schon während der Ära Dieter Baumann offensichtlich. Bei den
Frauen, die in den 90er Jahren mit Uta Pippig und Katrin Dörre-Heinig
international außergewöhnlich erfolgreiche Marathonläuferinnen
hatten, geht es inzwischen in die selbe Richtung. Die beiden Medaillen im
EM-Marathon von München 2002, wo die Braunschweigerin Luminita Zaituc
Zweite und die Leverkusenerin Sonja Oberem Dritte wurde, haben keinerlei
positive Impulse gebracht.
Doch wie erklärt sich dieser Neidergang? Zu wenig Bereitschaft zu
hartem und umfangreichem Training wird deutschen, aber auch anderen
europäischen Läufern immer wieder vorgehalten. Und daran ist
sicherlich etwas dran. Hinzu kommen offensichtlich auch falsche
Prioritäten. Eine Woche vor der Cross-WM fanden die Deutschen
Halbmarathonmeisterschaften statt. Dadurch kam für eine ganze Reihe der
zurzeit stärksten deutschen Läufer von vornherein ein Start bei der
Cross-WM nur eine Woche später nicht in Frage. Dabei wäre der
internationale Vergleich in Brüssel viel wertvoller, allerdings auch
härter gewesen. Susanne Ritter entschied sich für die Cross-WM.
„Einen solchen Start kann ich nur empfehlen. Das härtet ab und
bringt internationale Erfahrung.“ Die 25-Jährige geht auch am 4.
April der internationalen Konkurrenz nicht aus dem Weg, wenn sie beim Bewag
BERLINER HALBMARATHON startet, um sich dort für die Halbmarathon-WM zu
qualifizieren.
Isabelle Baumann, die frühere Bundestrainerin und Ehefrau von Dieter
Baumann, hat vor zehn Jahren versucht, die Fehlentwicklung zu korrigieren. Mit
Hilfe der Erfolge ihres Mannes machte sie sich stark für das Crosslaufen.
Doch ihr Einsatz ist verpufft. In Deutschland wird nicht erkannt, was in
anderen europäischen Ländern wie Spanien oder Großbritannien
erfolgreich praktiziert wird: Hartes Crosslauf-Training in der Wintersaison
bringt die nötige Grundlage für Erfolge auf den Langstrecken im
Sommer. Wenn man dann noch hört, dass es Manager gibt, die ihre deutschen
Athleten nur zu Straßenläufen schicken, wenn vorher mit den
Veranstaltern abgesprochen wird, dass eventuell konkurrierende Afrikaner nicht
gewinnen dürfen, wundert man sich über gar nichts mehr.
Wahrscheinlich haben die meisten deutschen Läufer, Trainer und
Funktionäre längst den Glauben daran verloren, dass es möglich
sein kann, international mitzuhalten. So gesehen war der Lauf der Susanne
Ritter in Brüssel einiges wert. Noch mehr aber der von Benita Johnson, die
im vergangenen Jahr bereits Dritte bei der Halbmarathon-WM war. „Die
Afrikanerinnen trainieren sehr hart. Und sie haben sich jeden ihrer vielen
Erfolge verdient“, sagt die Australierin. „Aber wir sind auch in
der Lage mitzuhalten und sie sogar zu schlagen. Wenn wir genauso hart
trainieren, dann haben wir eine Chance.“