Die glänzenden Marathon-Zeiten im April sind in den Augen vieler Experten
keine Überraschung. Mit einigen Jahren Verspätung hat die Serie der
Weltrekorde und Spitzenzeiten auf den Bahn-Langstrecken den Marathon erreicht.
Dass das so kommen würde, hatten viele vorhergesagt. Ein bezeichnender
Zufall dieser Entwicklung ist, dass die letzten beiden Langstrecken-Weltrekorde
auf der Bahn über 5.000 und 10.000 m 1998 gelaufen worden sind. Im selben
Jahr brach Ende September beim BERLIN-MARATHON der Brasilianer Ronaldo da Costa
überraschend die Marathon-Weltbestzeit. Er steigerte die zehn Jahre alte
Bestzeit des Äthiopiers Belayneh Dinsamo von 2:06:50 Stunden auf 2:06:05.
Es war damals eine Sensation, es war der erste Marathon mit einem
Kilometerschnitt von unter 3:00 Minuten. Seitdem gab es fast schon serienweise
Zeiten unter 2:07 Stunden, da Costas Weltbestzeit wurde inzwischen dreimal
unterboten.
Und es ist damit zu rechnen, dass Athleten wie Haile Gebrselassie, der seit
1998 die beiden Bahn-Weltrekorde hält, Paul Tergat (Kenia), der weltbeste
Halbmarathonläufer, oder auch Khalid Khannouchi (USA), der nun in London
seine Marathon-Weltbestzeit um vier Sekunden auf 2:05:38 Stunden steigerte, die
Zeiten noch weiter voran treiben werden. Unter 2:05 Stunden sind möglich
– da sind sich die Langstreckenspezialisten und Manager Jos Hermens
(Gebrselassie) und Dr. Gabriele Rosa (Tergat) einig.
Alleine schon aufgrund des nicht einfachen Londoner Streckenprofils mit
etlichen Ecken und vielen kleinen Höhenunterschieden müsste auf den
bekannten High-Speed-Kursen von Berlin, Chicago oder Rotterdam bei idealen
Bedingungen noch eine Minute drin sein. Die Perspektiven für den real,-
BERLIN-MARATHON sind glänzend – nicht zuletzt deshalb, weil es eine
recht große Anzahl von Eliteathleten gibt, die in der Lage sind absolute
Spitzenzeiten zu laufen.
Bei den Frauen ist die Entwicklung im Prinzip ähnlich wie bei den
Männern. Auch hier ist die Breite in der Spitze im Marathon – mit
etwas Verspätung, verglichen mit den Männern - zuletzt deutlich
stärker geworden. Auf den Bahn-Langstrecken ging in den 90er Jahren keine
Rekordflut voraus, was teilweise auch an den mitunter mysteriösen
Leistungen der Chinesinnen lag. Über 3000 m und 10.000 m sind die
Bestzeiten nach wie vor außer Reichweite. Im Marathon brach die
Kenianerin Tegla Loroupe 1998 mit 2:20:47 Stunden die 14 Jahre alte
Weltbestzeit der Norwegerin Ingrid Kristiansen. 1999 verbesserte sie diese
Marke beim BERLIN-MARATHON um vier Sekunden. Doch erst seit dem Olympiajahr
2000 gibt es eine stärkere Konkurrenz im Bereich von Zeiten unter 2:23
Stunden. Was im vergangenen Jahr mit den ersten beiden Zeiten unter 2:20
Stunden binnen acht Tagen begann, setzt sich jetzt fort: Wenn einmal eine
Schallmauer durchbrochen ist, kann durchaus ein großer qualitativer
Sprung folgen. Die erste Läuferin, die unter 2:20 Stunden lief war Naoko
Takahashi. Die Japanerin rannte beim real,- BERLIN-MARATHON 2:19:46
Stunden.
Für die interessanteste Entwicklung haben in diesem
Marathon-Frühling die Frauen gesorgt. Nie zuvor gab es in einem derartigen
Leistungsbereich eine so große Dichte. Je eine Läuferin blieb unter
2:19, 2:21 und 2:22 Stunden. Drei weitere Athletinnen rannten unter 2:23,
weitere vier unter 2:24 Stunden. Es ist noch nicht so lange her, dass es Jahre
gab, in denen keine einzige derartige Zeit gelaufen wurde. Mit Ergebnissen von
2:25 Stunden zählt man nicht mehr zur Weltspitze. Und so liegt die
Hamburg-Siegerin Sonja Oberem trotz ihrer 2:26:21 Stunden nur auf dem 18. Rang
der Jahresweltbestenliste. In Europa ist sie damit immerhin noch Nummer
fünf, so dass bei der EM in München eine vordere Platzierung
möglich sein kann.
Dass dieser Marathon-Frühling so außergewöhnlich war, lag in
erster Linie an einem einzigen Rennen: dem London-Marathon. Vier
Läuferinnen blieben unter 2:23 Stunden, Susan Chepkemei (Kenia) wurde
trotz 2:23:19 nur Fünfte. Paula Radcliffe verpasste als Debütantin
die Weltbestzeit von Catherine Ndereba (Kenia/2:18:47) lediglich um neun
Sekunden und nur deshalb, weil sie zwischenzeitlich nicht wusste, dass sie so
dicht an der Bestzeit war. Die Uhr auf dem Führungsfahrzeug war
ausgefallen. Die Britin, der schon vor dem London-Marathon ein Angebot für
den New-York-Marathon Anfang November vorgelegen hatte, wird sich nun
zunächst wieder auf die Bahn konzentrieren. Bei den Commonwealth Games
möchte sie über 5000 m laufen, bei der EM in München eine Woche
später ist ein Doppelstart über 10.000 m und 5.000 m denkbar. Auch
bei den Männern war London einmalig: Neben Khannouchi blieb auch Paul
Tergat (Kenia/2:05:48) unter 2:06 Stunden, je zwei weitere Läufer rannten
unter 2:07 beziehungsweise unter 2:08 Stunden.
Für die Londoner haben sich die Rekord-Investitionen in diesem Jahr
wahrlich gelohnt. Die Veranstaltung hat einen Gesamtetat von rund 8,5 Millionen
Euro. Davon hat der frühere Weltklasseläufer David Bedford knapp 3,5
Millionen zur Verfügung. Diese Summe, die den Gesamtetat des
größten deutschen Marathons in Berlin noch um eine halbe Million
übertrifft, gibt der Athletenmanager alleine für den Bereich der
Topläufer aus. Und auch nach dem Rennen mussten die Engländer
gewaltig zahlen: An Prämien waren insgesamt 1.050.750 Dollar fällig.
Auch das ist ein Weltrekord. „Aber dieses Rennen war jeden Penny
wert“, sagte David Bedford.
Unter der Londoner Dominanz scheinen die Konkurrenten ein wenig zu leiden,
zumindest was das Männerfeld angeht. Rotterdam und Boston, in den 90er
Jahren viel eher als London für spitzensportliche Schlagzeilen gut,
bleiben angesichts dieser Konkurrenz fast ein wenig blass. Gut entwickelt hat
sich der Paris-Marathon, während in Hamburg das spitzensportliche
Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist. Die Streckenrekorde vergangener
Jahre (2:07:46/2:24:35) zeigen, dass auf diesem Kurs mehr möglich ist.
Was schnelle Zeiten angeht, werden im Herbst wieder zwei Rennen besonders im
Blickpunkt stehen: Der 25. Chicago-Marathon am 13. Oktober, bei dem bis zu
37.500 Meldungen entgegen genommen werden, und natürlich der real,-
BERLIN-MARATHON. Wer in Berlin am 29. September laufen möchte, sollte sich
bald anmelden. Denn von den 33.000 Läufer-Startplätzen sind über
die Hälfte schon vergeben.