100 Jahre Berliner Leichtathletik-Verband
Der Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) feiert in diesem Jahr sein
100-jähriges Bestehen. Am 15. November 1904 wurde der Verband Berliner
Athletik-Vereine (VBAV) gegründet. Erster Vorsitzender war damals Otto
Gronert vom SC Komet, Zweiter Vorsitzender wurde Paul Martin vom
Charlottenburger SC 1902, dem heutigen SCC Berlin. Am 12. März 1905
veranstaltete der Verband seinen ersten Wettkampf, einen Crosslauf um den
Hundekehlesee im Grunewald.
Anlässlich des Jubiläums ist geplant, dass im Rahmen der
Berlin-Brandenburgischen Leichtathletik-Meisterschaften, die am 5. und 6. Juni
im Stadion Bosestraße stattfinden, eine 48-seitige Festbroschüre
herausgegeben wird. Sie kann dann auch über den BLV bezogen werden
(Telefon: 030 – 305 72 50) und kostet voraussichtlich zwischen 3 und 4
Euro
Heute gehören Läufe unterschiedlichster Länge in Städten
zum alltäglichen Sportprogramm. Vor 83 Jahren allerdings, als der Berliner
Athletik-Klub mit „Quer durch Berlin“ erstmalig einen
Straßenlauf durch Stadtgebiete startete, gehörte viel Mut zu einer
derartigen Veranstaltung. „Quer durch Berlin“ entwickelte sich
rasch zu einem international renommierten Lauf- und Gehwettbewerb, der von 1921
bis 1957 fast immer auf dem 25 km langen Wendepunktkurs Poststadion –
Lausitzer Platz ausgetragen wurde.
Großes öffentliches Interesse erzielten Geher und Läufer mit
Distanzmärschen schon seit 1881: Fritz Käpernick lief die Distanz
Berlin – Wien (ca. 600 km) in 92 Stunden. Otto Peitz ging 1893 von Berlin
nach Wien (ca. 580 km) in 154:26 Stunden und Johannes Böge gewann 1896 den
Distanzmarsch Dresden - Berlin (202 km) in 28:41! Seit 1894 fanden zudem
öffentlich kaum beachtete Langläufe über 25,6 km von Potsdam
nach Berlin statt; als Sieger sind uns überliefert, 1894: R. Werner vom SC
Nord-West Berlin in 1:48:00 Stunden, 1895: Knospe vom SC Frankfurt 85 Berlin in
1:45:50 und 1896: Paul Badow vom Spandauer Radfahrer-Club Germania in
1:47:31.
Die herausragende Stellung Berlins im Langlauf zeigt sich darin, dass von
den 33 ausgetragenen „Deutschen Marathonläufen“
beziehungsweise „Deutschen Marathon-Meisterschaften“ zwischen 1898
und 1942 allein 22 Läufe von Berliner Sportlern gewonnen wurden! Dieser
sportlichen Erfolgsbilanz standen mitunter erhebliche Behinderungen seitens der
„Ämter“ gegenüber. So verhängte der Amtsvorsteher
des Forsthauses Grunewald gegen den Vorsitzenden des Berliner Athletik-Klubs
eine Geldstrafe von fünf Mark, weil der Verein am „11. März
1906 von 3 3/4 – 4 1/4 Uhr mit ca. 90 Mitgliedern im Grunewald um den
Hundekehlen See ein Wettlaufen veranstaltete, ohne im Besitz einer
polizeilichen Bescheinigung zu sein“.
6. Staffellauf Potsdam – Berlin am 1. Juni 1913 mit 57 Mannschaften und
2850 Läufern. Der Berliner Sport-Club setzte als Schlussläufer Prinz
Karl von Preußen ein und gewann.
Was heute die Marathonläufe hinsichtlich breiter Aktivität und
öffentlicher Resonanz sind, waren vor über 90 Jahren die
Großstaffelläufe in den Städten. Die Reise Berliner Sportler
und Funktionäre zu den Olympischen Spielen 1906 in Athen regte bekanntlich
dazu an, in Berlin für 1908 Olympische Spiele zu veranstalten. Eine
besondere Wirkung hinterließ bei Carl Diem der Marathonlauf, den er auch
in Berlin verwirklichen wollte. Obwohl sich die Durchführung Olympischer
Spiele 1908 in Berlin zerschlug, konnte aber doch ein „gestaffelter
Marathonlauf“ in diesem Jahr veranstaltet werden. Carl Diem
berücksichtigte bei der Vorbereitung seines Marathonlaufs recht trickreich
die bisher schlechten Erfahrungen mit den Berliner Behörden. Sein
Unterfangen, einen Wettlauf durch die Straßen Berlins versuchen zu
wollen, stufte er als wahnwitzig ein, zudem befürchtete er, dass der
Anblick eines Marathonlaufes, wie er ihn in Athen erlebt hatte, nachteilige
Wirkung auslösen würde.
Da man in der Öffentlichkeit bereits bei den harmlosen Waldläufen
Zweifel am Verstande der Sportler und tiefstes Bedauern äußerte,
dass man derartig gegen die „Gesundheit wütete“ und sich die
„Lunge aus dem Hals lief“, benutzte Carl Diem einen Trick:
„Ich verfiel also auf den Gedanken, zwar einen großen Lauf zu
wagen, das Publikum aber zu betrügen, indem jedweder immer einen frischen
Mann sehen sollte. Ich dachte an einen Groß-Staffellauf auf der Strecke
von Potsdam nach Berlin, und zwar vom Potsdamer Stadtschloß bis zum
Berliner Stadtschloß, einmal weil wir immer etwas für das
Pompöse waren und einen großen Start- und Zielplatz haben
wollten.“
12. Staffellauf Potsdam – Berlin am 22. Juni 1919. Zum ersten Mal wird
die Frauenstaffel über 12,5 km gelaufen, der Sport-Club Charlottenburg
gewinnt mit der Schlussläuferin Frau Franke in 40:55,6 Minuten.
Die Polizei lehnte das Gesuch um die Genehmigung des Laufes natürlich
ab. Aufgrund des Bemühens einflussreicher Freunde und Fürsprecher,
die beim kaiserlichen Hofe antichambrierten, genehmigte Kaiser Wilhelm II
schließlich den Lauf von seinem Potsdamer Schloß zur Berliner
Residenz. Allerdings hatte die Polizei erhebliche Einwände gegen den
Start- und Zielpunkt, so dass man sich schließlich auf den Start an der
Glienicker Brücke und das Ziel an der Siegessäule vor dem Reichstag
einigte. Die Besonderheit des Staffellaufes bestand aber darin, dass eine freie
Form gewählt wurde. Jeder Verein konnte 50 Läufer für 25 km so
einsetzen, wie er es für erfolgreich hielt. Der erste Lauf wurde am 14.
Juni 1908 mit acht Mannschaften gestartet, und die Polizei war etwas
überrascht, als statt der erwarteten 400 Läufer nur die acht
Zielläufer an der Siegessäule ankamen!
Gerd Steins
Die Bilder stellte das Sportmuseum von Berlin freundlicherweise zur
Verfügung.