Es war vor einem Jahr, als sich beim Leichtathletik-Meeting im
holländischen Hengelo eine Wachablösung ankündigte. Der junge
Äthiopier Kenenisa Bekele hatte im 10.000-m-Lauf sein großes
Vorbild, den Weltrekordler und Olympiasieger Haile Gebrselassie, zum ersten Mal
geschlagen. Fast über ein Jahrzehnt hinweg hatte Gebrselassie, der auf
einer Stufe steht mit den besten Langstreckenläufern aller Zeiten wie dem
Finnen Paavo Nurmi oder dem Tschechen Emil Zatopek, die Bahn-Langstrecken
dominiert. Schon nach dieser ersten Niederlage gegen Bekele bezeichnete
Gebrselassie seinen Landsmann als seinen Nachfolger – und er wird wohl
Recht behalten. Im vergangenen Jahr verlor Gebrselassie gegen Bekele nur ein
Rennen, am Pfingstmontag verlor er einen Weltrekord.
Nach 12:37,35 Minuten stürmte Kenenisa Bekele im 5.000-m-Lauf von
Hengelo ins Ziel und war damit fast genau zwei Sekunden schneller als Haile
Gebrselassie 1998 in Helsinki (12:39,36). Bereits im vergangenen Winter hatte
Bekele, der in wenigen Tagen erst seinen 22. Geburtstag feiert, seinem Idol
einen Weltrekord abgenommen. In Birmingham hatte er auch in der Halle über
5000 m eine Bestzeit aufgestellt. Seine 12:49,60 Minuten ließen darauf
schließen, dass in dieser olympischen Saison noch mehr kommen würde
von Kenenisa Bekele. Jetzt hat er einen Anfang gemacht und dabei einen Rekord
gebrochen, der außerordentlich stark war und zudem natürlich eine
ganz andere Bedeutung hat als eine Hallen-Bestzeit.
Haile Gebrselassies 5.000-m-Weltrekord von Helsinki war vor sechs Jahren ein
Produkt eines außergewöhnlichen Kampfes gegen die besten Kenianer.
Daniel Komen galt als eines der größten Lauftalente aller Zeiten.
Als 21-Jähriger verbesserte der Kenianer 1997 in Brüssel den
5.000-m-Weltrekord von Gebrselassie auf 12:39,74 Minuten. Ein Jahr später
holte sich der Äthiopier die Marke in Helsinki wieder zurück,
während es Komens Karriere fortan bergab ging. Dem Kenianer fehlte die
Motivation für hartes Training, er hatte zu viel Geld verdient.
Es war also kein ,weicher’ Weltrekord, den Kenenisa Bekele am
Pfingstmontag brach. Und noch eine Runde vor Schluss lag er im Vergleich zu
Gebrselassies Zwischenzeiten von Helsinki sogar noch eine Sekunde im
Rückstand. Doch mit einem 400-m-Sprint von 57 Sekunden schaffte es Bekele
noch. „Ich war mir schon nach 3000 Metern sicher, dass ich den Rekord
laufe. Denn ich habe in Äthiopien sehr gut trainiert“, sagte er. Es
heißt, Bekele, der im März zum dritten Mal in Folge bei der Cross-WM
sowohl die Mittel- als auch die Langstrecke gewann und damit für ein Novum
sorgte, habe deutlich bessere Trainingsleistungen gezeigt als seine
Nationalmannschaftskollegen.
In den letzten zehn Jahren haben die besten Äthiopier und Kenianer die
Weltrekorde über 5.000 und 10.000 Meter in Bereiche gebracht, die für
die stärksten weißen Läufer nicht mehr erreichbar scheinen. Ein
5.000-m-Olympiasieg eines Europäers oder Amerikaners, wie der von Dieter
Baumann 1992 in Barcelona, ist heute ausgeschlossen. Baumann und Bob Kennedy
sind immer noch die einzigen weißen Läufer, die die 5.000 Meter
unter 13 Minuten gelaufen sind. Während Baumann seine Karriere beendete,
wird Kennedy auf die Marathondistanz umsteigen.
Diesen Wechsel plant auch Haile Gebrselassie, der in Hengelo wie zuvor schon
in Birmingham eine andere Distanz lief, um nicht gegen Bekele rennen zu
müssen. Er schaute bei beiden Weltrekorden zu. „Ich freue mich
für Kenenisa. Ich bin vor zehn Jahren in Hengelo meinen ersten
5.000-Meter-Weltrekord gelaufen – jetzt ist er dran“, erklärte
Gebrselassie, der in Athen gerne zum dritten Mal in Folge olympisches Gold
über 10.000 m gewinnen möchte. Doch es steht ihm einer im Weg:
Kenenisa Bekele will in Athen auch diese Strecke laufen.