Die mediale Vor-, Auf- und Nachbereitung sportlicher Großereignisse nimmt
ein immer größeres Ausmaß an und treibt mittlerweile die
seltsamsten Blüten. So darf vor dem Bonner Marathon in einer viel
gelesenen Lokalzeitung ein hochstudierter - Psychologie, Sportwissenschaft,
Theologie-Autor vom “Marathon als neuzeitlicher Form der Religion“
philosophieren und den Läufer empfehlen “vor allem das Leiden an
sich selbst“ zuzulassen. Nun ja!
5700 Handbiker, Inline-Skater, Walker und Läufer gingen an diesem
Sonntag früh in Bonn auf die 42.195 Meter lange Strecke. Der Wetterbericht
hatte Regen und stürmischen Wind angekündigt. Pünktlich zum
Start fallen dann auch einige Regentropfen. Der große Regen blieb den
Läuferinnen und Läufern jedoch erspart und wer langsam genug war,
durfte am Ende sogar in der Sonne laufen.
Die Strecke beginnt auf Bonns historischem Marktplatz, nach dem ersten
Kilometer überquert das Sportlerfeld den Rhein, um die nächsten sechs
Kilometer durchs rechtsrheinische Beuel zu laufen. Viele Zuschauer stehen hier
an Strecke und veranstalten auch schon am frühen Sonntag viel Lärm
mit allen möglichen Haushaltsgeräten. So haben es sich zwei
ältere Damen bei Kilometer sechs auf Gartenstühlen in einer offenen
Garage gemütlich gemacht und bearbeiten zur Freude der Läuferinnen
und Läufer eine Blechgießkanne mit Spazierstöcken. Zurück
auf der linksrheinischen Seite laufen die Sportlerinnen am Rhein entlang,
vorbei durchs alte Regierungsviertel, immer mit dem wunderbaren Panorama des
Siebengebirges vor Augen, über Bad Godesberg und bis zur Halbmarathonmarke
in Mehlem. Die Zuschauerzahlen sind an diesem Teil der Strecke deutlich
geringer als in den letzten Jahren beim sonnigen Wetter. Erst ab Kilometer
dreißig, in Friesdorf, Dottendorf, Kessenich und Poppelsdorf ist der
Zuschauerzuspruch wieder groß und erreicht an manchen Streckenabschnitten
Kölner Ausmaße. Die Zuschauerinnen und Zuschauer machen hier auch
reichlich Gebrauch von den Vornamen der Läuferinnen und Läufer, die
der Veranstalter auf der Startnummer abgedruckt hat. Einer dieser
fleißigen Zuschauer ist Norbert Blüm, in früheren Zeiten, als
der Begriff “Soziale Marktwirtschaft“ und die “Rente ist
sicher“ noch modern war, lange Jahre Bundessozialminister. Die letzten
fünf Kilometer führen über recht breite Straßen im Norden
von Bonn zurück zum Marktplatz im Zentrum der Stadt. Die letzten Kilometer
sind eine gute Gelegenheit für eine wenig repräsentative Umfrage zum
Thema “Laufen als Religion“ und “Leiden an sich
selbst“. Die Läuferinnen und Läufer sehen ihren Sport
wesentlich entspannter, stellen den Spaß in den Vordergrund und haben
einen optimalen Tipp zum Thema “laufen und leiden“, nämlich:
langsamer laufen.
Essen, Trinken und Gelegenheit für die Nachbereitung des Rennens gibt
es für die Finisher dann unmittelbar hinter dem Ziel in einem schönen
und sonnigen Innenhof der Universität.
Gute Ergebnisse wurden trotz böigen Winds und einer zum Teil recht
kurvenreichen Strecke erzielt. Bei den Damen gewann Romy Spitzmüller aus
Leipzig in 2:32:32 vor Valentina Delion in 2:40:59 und Ivana Martincova in
2:49:48. Schnellster Mann war bereits zu dritten Mal in Bonn Mikhail Minukhin
aus Russland in 2:15:41 vor Pavel Novak in 2:19:53 und Samuel Okemwa in
2:23:26.
Frank Bielefeld